Pups, Tulli oder Bärli – was die Wissenschaft über Koseformen zwischen Eltern und Kindern und bei Paaren herausgefunden hat.
Dass die Verwendung von Kosenamen nichts über die Nähe in einer Familie aussagen muss, zeigt ein Blick auf die deutsche Sippe schlechthin, die Manns. Bibi (Michael), Medi (Elisabeth), Mönle (Monika), Gölchen (Golo), Eissi (Klaus) und Eri (Erika) – so riefen Großautor Thomas Mann und seine Frau Katia ihre sechs Söhne und Töchter und nannten sie auch in Briefen aneinander so.
Über Monika schreibt Katia an Thomas: „Sie ist immer noch dieselbe alte, langweilige, urige Mönle, die aus der Speisekammer gestohlen hat.“ Und über Michael: „Ich will Dir auch noch ein feines Söhnchen schenken, weil ich doch mit dem Bibi Deinen Geschmack so gar nicht getroffen habe.“ Vor allem Thomas’ Vaterschaft war „durch eine bisweilen extreme Parteilichkeit geprägt“, schreiben Inge und Walter Jens. Während er Eri und Medi überbordend liebte, konnten es ihm Mönle und Bibi kaum recht machen. Die selbstzerstörerischen Lebensläufe des Nachwuchses erzählen davon.
Manche kürzen nur ab, andere sind origineller
Aber nicht nur im literarischen Großbürgertum gehören Diminutive dazu, das zeigt ein Blick ins nahe Umfeld. Während die einen abkürzen und verniedlichen (Evi, Luki, Pauli, Lisalein), sind andere Eltern origineller, greifen etwa auf, wie sich Kinder im Brabbel-Alter selbst bezeichnen (Fidi für Ferdinand, Tulli für Mathilda) oder setzen auf phänotypische Merkmale (Moppel, Käpt’n Käsefuß). Bei wieder anderen weiß man nicht so recht, was sie sich dabei gedacht haben (Pups, Mümpl).
Wer will sein Baby schon Wolfgang nennen?
Ein bisschen fragt man sich, warum Spitznamen überhaupt noch nötig sind. Dass man sein Baby lieber Wolfi und Angi statt Wolfgang und Angelika nannte, leuchtet ein, aber muss man für die Mats, Finns, Lottis und Annis heute wirklich noch Weichergespültes erfinden?
Leider liegt über das Feld der Kosenamen kaum Forschung vor. Vor ein paar Jahren haben Mainzer Germanisten den Stand der Wissenschaft zusammengetragen. Sie schreiben: „Spitznamen dienen der Herstellung von Nähe und Sympathie.“ Mit familieninternen Namen versichern sich Eltern und Kinder ihrer Zugehörigkeit, grenzen sich aber auch zu anderen Sippen ab. Es sei eine Art „verbale Fellpflege“, ein „Lausen und Kraulen“ mittels Koseformen.
Verbale Fellpflege
Weitere wissenschaftliche Erkenntnisse: Mädchen bekommen häufiger Spitznamen als Jungen. Bei Frauen wird eher der Vorname verkürzt, bei Männern der Nachname. In blumigen Kosenamen für Frauen wie Rose oder Lilie spiegele sich das Konzept der Frau als „auf- und verblühendes Naturwesen“, das in der Jugend die größte Wertschätzung bekäme.
Wie ein Ordensname
Interessant auch, was die Sprachwissenschaftler hinter Kosenamen in Paarbeziehungen vermuten: Offenbar sei eine Liebesbeziehung eine „so einschneidende soziale Veränderung, dass sie einen neuen Namen erfordere, ähnlich wie man einen Ordensnamen bekommt“. Der Kosename löse den anderen aus alten Verbindungen, er oder sie werde dem „Namensverwender zugeeignet“.
Außerdem nivellierten Kosenamen wie Schatz, Bärli oder Herz die Geschlechterunterschiede der Partner. Während der Rufname beim Kennenlernen wichtige Hinweise über den anderen liefere – etwa auf Geschlecht, Religion, Alter –, werde später die Person interessanter und das emotionale Band, das sich in besonders liebevollen Benamsungen ausdrückt. Anders gesagt: In der Spitznamen-Phase verschmilzt das Paar zu einem nonbinären Bärli-Herz.
Thomas Mann war das Rehherz
Bei Paaren muss man doch noch einmal zu den Manns kommen. Katia nannte ihren Mann in Briefen poetisch Rehherz, er sie oft Katia oder Mielein, ein Name, den die Kinder ihr gaben. Katia Mann selbst stellte sich übrigens gern als Frau Thomas Mann vor. Aber das ist noch mal eine andere Geschichte.