Letzter Auftritt in Paris: Steven van de Velde. Foto: dpa/Marijan Murat

Der niederländische Beachvolleyballer Steven van de Velde wurde von vielen Zuschauern ausgepfiffen – jetzt ist der verurteilte Sexualstraftäter im Achtelfinale ausgeschieden. Viele Fragen in seinem Fall bleiben offen.

Er hat nicht gesprochen. Auch nicht, als es für ihn vorbei war. Der umstrittenste Athlet der Olympischen Spiele verließ Paris ohne ein Wort. Traurig, so scheint es, ist über das Ausscheiden des niederländischen Beachvolleyballers Steven van de Velde kaum jemand gewesen, und vielleicht ist ja sogar er selbst ein klein bisschen froh darüber, nun nicht mehr der große Buhmann in diesem tollen Stadion direkt am Eiffelturm zu sein. Man weiß es nicht. Und auch die Frage, wie es nun weitergeht mit dem Mann, dessen Fall einen Schatten auf die sonnigen Sommerspiele geworfen hat, blieb offen.

 

Um zu verstehen, was passiert ist, muss man zurückblicken. Zehn Jahre, um genau zu sein. Damals lernte der 19-jährige Steven van de Velde in einem sozialen Netzwerk ein Mädchen aus der englischen Stadt Milton Keynes kennen. Irgendwann erklärte sie ihm, dass sie doch keine 16, sondern erst zwölf Jahre alt sei, getroffen haben sie sich trotzdem. Laut seiner Aussage flog er zu ihr, sie haben Alkohol konsumiert und Sex gehabt. Er bezeichnete diesen hinterher als einvernehmlich, was im britischen Recht aber ohnehin belanglos ist – denn laut Gesetz gilt in Großbritannien jeglicher Sex mit Kindern unter 13 Jahren als Vergewaltigung.

Van de Velde: „Ich muss die Konsequenzen tragen“

2016 wurde Steven van de Velde zu vier Jahren Haft verurteilt, verbüßte ein Viertel davon, ehe er in seine niederländische Heimat überstellt wurde. Dort gelten andere Gesetze, Sex mit Kindern unter 13 Jahren wird als Unzucht bewertet. Nach 13 Monaten war Steven van de Velde wieder ein freier Mann, der in einem TV-Interview davon sprach, den „größten Fehler seines Lebens“ begangen zu haben: „Aber ich kann das Geschehen nicht rückgängig machen und muss dafür die Konsequenzen tragen.“ Auch im Sport.

Im Mai 2017 setzte er seine Karriere fort, seit 2023 spielt er mit Matthew Immers (23). Die Vergangenheit von Steven van de Velde, das ist in Gesprächen mit Athleten immer wieder zu hören, spielt in der Szene kaum eine Rolle, er sei voll integriert und akzeptiert. Das Oranje-Duo qualifizierte sich für die Olympischen Spiele und bekam mit voller Wucht zu spüren, was für eine große Bühne diese sind. Für Athleten – aber auch für Medien, Populisten und Aktivisten.

Polizistin und Beachvolleyballerin: Seine Frau leidet mit

Nach der Nominierung van de Veldes wurde auf der Plattform Change.org eine Online-Petition mit dem Ziel gestartet, den „Kinder-Vergewaltiger“ von den Spielen auszuschließen. Fast 100 000 Menschen haben sich angeschlossen. In der Hoffnung auf hohe Klickzahlen sprangen viele Boulevardmedien auf, unzählige Male betitelten sie den Athleten in ihrer Olympia-Berichterstattung als „Vergewaltiger“ und „Kinderschänder“. Vom Shitstorm, der sich im Netz verbreitete, wurde auch Kim van de Velde erfasst. Unter ihrem Mädchennamen Behrens war die Profi-Volleyballerin und Polizistin eine Zeit lang in Stuttgart stationiert, seit 2022 ist sie mit Steven van de Velde verheiratet, das Paar hat ein Kind. Die Beschimpfungen waren teilweise so übel, dass Kim van de Velde die sozialen Medien mied. Über ihre Situation sprechen wollte sie mit unserer Zeitung nicht.

Geäußert haben sich dafür andere. Bei seinen vier Olympia-Auftritten wurde Steven van de Velde von vielen Zuschauern im Stadion bei jedem seiner Aufschläge ausgebuht und ausgepfiffen – das ist in Paris in dieser Form keinem anderen Athleten widerfahren. Dabei hätte sein Fall statt skandalöser Schlagzeilen und dieser Missfallensbekunden eine tiefgründige, sachliche Diskussion verdient gehabt. Und Antworten auf Fragen wie: Warum soll in einem Rechtssystem, in dem Resozialisierung ein wichtiger Grundstein ist, einem ehemaligen Straftäter verboten werden, an Olympischen Spielen teilzunehmen? Wie viele verurteilte Straftäter gibt es in Paris unter Sportlern, Trainern, Betreuern und Funktionären noch? Aber natürlich auch: Wie ist eigentlich die Perspektive des Opfers? Und ist die Olympische Charta, die unter anderem einen „erzieherischen Wert des guten Beispiels“ fordert, überhaupt noch zeitgemäß?

Mit der Heim-EM geht’s weiter

Antworten darauf wird es in Paris keine mehr geben. Steven van de Velde und Matthew Immers haben ihr Achtelfinale gegen die Brasilianer Evandro/Arthur 0:2 verloren, sind raus. An der Seine wird es, das ist sicher, bis zum nächsten (Klick-)Skandal nicht lange dauern, für die Niederländer steht die Heim-EM an, die schon am Montag beginnt. Und das wahrscheinlich ohne Pfiffe und Buhrufe für Steven van de Velde – der dann ja vielleicht auch wieder sprechen wird.