Beim Champions-League-Spiel der Bayern in Paris steht Sven Ulreich unter Druck. Für den Vertreter von Nationaltorhüter Manuel Neuer geht es nicht nur darum, seinem Club zu helfen – es geht auch um seine eigene Zukunft.
Paris/Stuttgart - Sven Ulreich gab sich viel Mühe, im Bierzelt nicht die Stimmung zu trüben. In Lederhosen saß auch er am Samstag beim Oktoberfest-Ausflug des FC Bayern in Käfers Wiesn-Schänke, an seiner Seite nicht nur Gattin Lisa, sondern auch Thomas Müller, der bekanntlich keinen Alkohol benötigt, um lustig zu sein. Es wurde viel gelacht – mehr jedenfalls, als es Hasan Salihamidzic vermutet hatte. „Das wird ein Scheißtag“, fauchte der Sportchef am Vorabend, nachdem die Bayern nur zu einem 2:2 gegen den VfL Wolfsburg gekommen waren – auch wegen eines Patzers von Sven Ulreich.
Zur Unzeit kam sein Fehlgriff beim 30-Meter-Freistoß von Maximilian Arnold aber nicht allein des jährlichen Wiesen-Besuchs wegen. Viel wichtiger: an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF) treten die Bayern zum Champions-League-Duell bei Paris Saint-Germain an. Für die Münchner ist es ein Schlüsselspiel auf dem Weg ins Achtelfinale. Für Sven Ulreich (29) die ultimative Bewährungsprobe gegen den 466-Millionen-Euro-Sturm mit den Superstars Neymar, Kylian Mbappé und Edinson Cavani.
Die Bayern haben den 36-jährigen Tom Starke aus dem Ruhestand zurückgeholt
Der gebürtige Schorndorfer wird im Pariser Prinzenpark im Bayern-Tor stehen. Daran gibt es keinen Zweifel, auch wenn die Münchner zuletzt Tom Starke (36) aus dem Ruhestand zurückgeholt haben, als weiteren Schlussmann hinter dem erst 17-jährigen Toptalent Christian Früchtl. Ulreich steht unter großem Druck, denn wieder einmal hat ihn die Frage eingeholt: Ist er wirklich ein sehr gute Bundesligatorhüter oder doch nur ein durchschnittlicher?
Die Verantwortlichen des VfB Stuttgart tendierten einst zur zweiten Antwort und komplimentierten ihr Eigengewächs 2015 zum FC Bayern. Hohn und Spott ergoss sich von Teilen der Fans über Ulreich, weil er sich im Alter von 27 Jahren freiwillig mit der Reservistenrolle begnügte. Dabei war sein Schritt gar nicht so schwer zu verstehen: Beim VfB wurde er nicht mehr gewollt und hätte sich auch auf die Bank setzen müssen.
Auf Ulreichs Autogrammkarte stehen zwei Meisterschaften und ein Pokalsieg
Beim Rekordmeister bekam er neben einem Vertrag bis 2018 die Gelegenheit, von Welttorhüter Manuel Neuer zu lernen und Titel zu gewinnen. „Ich bin schon jetzt ein besserer Torwart geworden“, das sagte er bereits wenige Monate nach seinem Wechsel. Während sein Herzensclub aus Bad Cannstatt im Jahr darauf abstieg, stehen mittlerweile zwei Meisterschaften und ein Pokalsieg auf Ulreichs Autogrammkarte.
Der Preis, den er dafür zu bezahlen hatte, bestand darin, keinerlei Ansprüche zu stellen und Hoffnungen zu hegen. Allerdings ist die Ersatzbank des FC Bayern für Torhüter besonders hart, da Manuel Neuer (ebenso wie Torjäger Robert Lewandowski) freiwillig auf keine einzige Spielminute verzichtet. Auch deshalb war Pepe Reina, Ulreichs Vorgänger als Neuer-Ersatz, ein Jahr vor seinem Vertragsende aus München geflüchtet. Beim SSC Neapel ist der 35 Jahre alte Spanier seither die unumstrittene Nummer eins.
Im vergangenen Frühjahr verwarf Ulreich die Gedanken an einen Vereinswechsel
Auch Ulreich trug sich nach nur drei Pflichtspieleinsätzen in 21 Monaten im vergangenen Frühjahr mit dem Gedanken, den Verein wieder zu wechseln – bis sich Neuer im April zum ersten Mal den Mittelfuß brach. Endlich durfte der Ersatzmann nicht mehr nur im Training Bälle fangen (bis am Saisonende auch er selbst passen und seinen Platz wegen einer Ellenbogenverletzung an Tom Starke weiterreichen musste). Jetzt fällt Neuer mit einem erneuten Mittelfußbruch ein zweites Mal wochenlang aus – in diesem Jahr wird der Nationaltorhüter nicht mehr ins Tor zurückkehren können.
Es ist Ulreichs große Chance. In den drei Monaten bis Weihnachten dürfte sich entscheiden, wie sich seine wechselvolle Karriere nach dem Vertragsende fortsetzt – weiter im Hintergrund oder wieder an vorderster Front? Jede gelungene Parade erhöht die Wahrscheinlichkeit, im Sommer bei einem anderen Bundesligaclub die Position des Stammtorhüters zu bekommen. „Es bleibt mein Wunsch, die Nummer eins zu sein“, das hat Ulreich schon vor dieser Saison gesagt.
Fußballerisch hat sich der Torhüter in München weiterentwickelt
„Jetzt hat er die Gelegenheit, sich wieder über einen längeren Zeitraum ins Rampenlicht zu rücken“, sagt Eberhard Trautner, Ulreichs langjähriger Torwarttrainer beim VfB Stuttgart. Aus der Distanz hat Trautner zuletzt beobachtet, dass sich sein früherer Schützling in München vor allem fußballerisch weiterentwickelt hat: „Allerdings war er mit dem Fuß schon immer besser, als er in Stuttgart gemacht wurde. In München hat er nun Vorderleute, die sich anbieten und seine Anspiele besser verarbeiten können.“
Eine starke Leistung bot Ulreich bei 3:0-Sieg der Bayern auf Schalke, seinem ersten Spiel nach Neuers Verletzung. Missraten dagegen der Auftritt gegen Wolfsburg am Freitagabend. Nun also Paris. „Wie ich den Ulle einschätze, wird er nicht mit einer Zitterhand auflaufen“, sagt Thomas Müller, „die Mannschaft steht hinter ihm.“