Die Bereitschaft, Geflüchtete im Land aufzunehmen, ist nach wie vor groß. Foto: dpa/Marcus Brandt

Neue Umfrage zur Stimmung der Baden-Württemberger: In der Flüchtlingspolitik wird die Arbeit der Landesregierung kritisch beurteilt. Für die Geflüchteten selbst gibt es aber großes Verständnis.

Sorgen und Skepsis: ja – Panik: nein. So lässt sich laut dem aktuellen BaWü-Check die Stimmungslage der Menschen in Baden-Württemberg zum Ende des Jahres 2022 wohl am ehesten beschreiben. In einer repräsentativen Meinungsumfrage, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der baden-württembergischen Tageszeitungen durchgeführt hat, wird deutlich, dass die Bevölkerung vollkommen anders auf die aktuelle Flüchtlingswelle reagiert als in den Jahren 2015 und 2016.

Allerdings gibt es ein weit verbreitetes Unbehagen gegenüber der Flüchtlingspolitik des Landes. Nur 27 Prozent der Befragten stellten dem Land ein positives Zeugnis aus, 49 Prozent sehen die Arbeit der Landesregierung in diesem Bereich kritisch. Hier sind die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage:

Wo sind all die Flüchtlinge?

Zwar war auch bei der Flüchtlingswelle 2015/16 das ehrenamtliche Engagement gewaltig. Große Teile der Bevölkerung waren damals aber außerordentlich besorgt. Aktuell, so hat der BaWü-Check ermittelt, hält sich die Beunruhigung der Bevölkerung in Grenzen. Die Frage, wie sich die Fluchtwelle bei den Menschen vor Ort auswirkt, führt zu überraschenden Ergebnissen. Jeder Dritte sagt, dass in der näheren Umgebung viele Flüchtlinge untergebracht worden sind. Genauso groß aber ist die Zahl derjenigen, die den Eindruck haben, dass es nur wenige Flüchtlinge im näheren Umfeld gibt. Sieben Prozent der Befragten sind sogar überzeugt davon, dass in ihrer Gegend so gut wie keine Flüchtlinge angekommen sind. Die restlichen 25 Prozent trauen sich bei dieser Frage keine Antwort zu.

Bürger sehen Aufnahmekapazitäten

Wenn man Städten und Gemeinden glaubt, dann sind die Kapazitäten für die Betreuung der Flüchtlinge in den meisten Kommunen schon seit Wochen nahezu ausgeschöpft – und auch bei der Unterbringung gibt es bereits erhebliche Engpässe. Beim Flüchtlingsgipfel der Landesregierung vor ein paar Tagen haben alle Beteiligten deshalb den Schulterschluss geprobt: Nur gemeinsam werde es möglich sein, den in einem harten Winter weiter ansteigenden Flüchtlingsstrom im Land aufnehmen zu können.

Sprechen die Verantwortlichen von einer Ausnahmesituation, so sieht die Hälfte der Bevölkerung nach wie vor zumindest einen begrenzten Spielraum für weitere Unterbringungen: 13 Prozent sind sogar überzeugt, dass bei ihnen in der näheren Umgebung ohne Weiteres mehr Flüchtlinge aufgenommen werden könnten. Weitere 37 Prozent sehen noch begrenzten Spielraum. Etwas mehr als 25 Prozent haben den Eindruck, die Aufnahmekapazität sei erschöpft.

Flaschenhals Schule

Ein wesentlicher Unterschied zur Flüchtlingswelle 2015/16 ist, dass damals vor allem junge Männer in die EU und dann weiter nach Deutschland gekommen sind. Dieses Mal sind es vor allem Frauen mit Kindern, die die Ukraine verlassen konnten und auch durften. Auf der einen Seite führt das dazu, dass die Flüchtlinge im öffentlichen Raum kaum wahrgenommen werden. An anderer Stelle, in den Schulen des Landes, bereitet diese Tatsache aber erhebliche Probleme. Weit mehr als 20 000 Kinder im schulpflichtigen Alter bereits sind seit Kriegsbeginn nach Baden-Württemberg eingereist – und müssen nun integriert werden.

Das sehen auch die Befragten des BaWü-Checks so. Lediglich sechs Prozent der Bevölkerung sind überzeugt, dass die Schulen die gewaltige Integrationsaufgabe ohne Weiteres bewältigen können. 42 Prozent glauben, dass dies den Schulen nur mit Schwierigkeiten gelingen wird. Sogar nahezu die Hälfte der Befragten – 48 Prozent – spricht von einer völligen Überforderung.

Sporthallennutzung – warum nicht?

Überraschend ist auch die Wahrnehmung bezüglich der Notwendigkeit und der Existenz von Notunterkünften für Neuankömmlinge. Zwar haben in der aktuellen Flüchtlingskrise sehr viele Ukrainerinnen und Ukrainer zunächst Unterschlupf bei Verwandten, Bekannten und Freunden in Deutschland gefunden. Auch ist die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger groß, ukrainische Flüchtlinge bei sich daheim aufzunehmen oder ihnen frei stehende Wohnungen anzubieten.

Dennoch sorgt die schiere Masse der Flüchtlinge dafür, dass immer mehr Gemeinden erneut dazu übergehen, Turnhallen und andere Säle zu Notunterkünften umzubauen. Das wird in politischen Kreisen heftig diskutiert, bei vielen Menschen ist das in der ersten Flüchtlingskrise ausgesprochen heikle Thema noch nicht angekommen. Lediglich 13 Prozent der Bevölkerung berichten, ihnen wären zu Notunterkünften umgewidmete Turnhallen in ihrem Ort bekannt, weitere 15 Prozent, dass solche Maßnahmen diskutiert werden. Beachtliche 46 Prozent – auf dem Land sind es sogar 69 Prozent – der Befragten sind aber überzeugt, dass es solche Pläne bisher nicht gibt.

Allgemein sehen die Menschen in der Belegung von Turnhallen mit Geflüchteten weniger Probleme. Die allgemeine Grundhaltung ist tendenziell positiv: 44 Prozent der Bürgerinnen und Bürger finden die Umwidmung von Turnhallen in Ordnung, 38 Prozent sprechen sich dagegen aus.

Notunterkünfte in der Nähe

Und noch ein bemerkenswertes Ergebnis: Mit der Vorstellung, dass in der Nähe der eigenen Wohnung eine Notunterkunft für Flüchtlinge errichtet würde, hat die Mehrheit der Menschen keine Probleme. Lediglich 26 Prozent der Befragten geben an, dass sie eine solche Unterkunft stören würde, 51 Prozent hätten nichts dagegen.

Ukraine-Flüchtlinge sind willkommen

Die große Mehrheit der Bevölkerung spricht sich dafür aus, auch in den nächsten Monaten weitere Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen. Insgesamt vertreten 73 Prozent der Bevölkerung diese Position, wobei sich jedoch ein Teil für eine Kontingentierung ausspricht: 39 Prozent votieren dafür, nur noch eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen zu versorgen, während sich 34 Prozent dafür einsetzen, auch weiterhin so unbürokratisch wie möglich zu helfen. Lediglich 18 Prozent möchten nur noch sehr wenige oder gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen.

Hohe private Aufnahmebereitschaft

Glaubt man den Umfragewerten, ist jeder Dritte grundsätzlich bereit, Flüchtlinge aus der Ukraine bei sich zu Hause aufzunehmen – wenn es von der Wohnsituation her möglich wäre. 50 Prozent der Befragten geben an, eine solche Lösung käme für sie nicht infrage. Dennoch sprechen die Meinungsforscher aus Allensbach von einer „bemerkenswert hohen Aufnahmebereitschaft“.

Allerdings spielt auch hier der Zeitfaktor eine wichtige Rolle. Eine Aufnahme von Flüchtlingen kommt vor allem bei den Befragten infrage, die davon ausgehen, dass die Flüchtlinge nur kurze Zeit in Deutschland bleiben. Bei den meisten der Aufnahmewilligen scheitert die Umsetzung aber an den eigenen Wohnverhältnissen. Immerhin neun Prozent der Bevölkerung geben an, sie hätten die Möglichkeit, bei sich zu Hause Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen.

Gute Integrationschancen

Insgesamt sieht die Mehrheit der Bevölkerung gute Integrationschancen für Flüchtlinge aus der Ukraine. Dies ist ein gravierender Unterschied zur Einschätzung der Integrationschancen in der Flüchtlingswelle 2015. 54 Prozent sehen heute gute Chancen, dass die Geflüchteten in die Gesellschaft integriert werden können, 34 Prozent äußern sich skeptisch. Diese Zahlen machen deutlich, dass die Flüchtlingswelle aus der Ukraine auf ein deutlich anderes gesellschaftliches Klima trifft als 2015.

Angst vor dem Pull-Effekt

Die positive Grundhaltung bedeutet aber nicht, dass es keine Sorgen in der Bevölkerung gibt. 39 Prozent beschäftigt die weitere Entwicklung der Flüchtlingswelle intensiv. 27 Prozent sind überzeugt davon, dass Deutschland zwar im Moment die Lage im Griff hat, aber überfordert sein könnte, wenn die Zahl der Flüchtlinge weiter deutlich steigt. Kritisch gesehen werden auch die staatlichen Rahmenbedingungen: So machen sich 51 Prozent der Befragten Sorgen über den sogenannten Pull-Effekt, dass also aufgrund der Sozialleistungen viele Flüchtlinge angelockt werden. Ebenso kritisieren viele, dass zu wenig kontrolliert werde, welche Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Der BaWü-Ckeck

Basis
Der BaWü-Check ist eine Umfrage der Tageszeitungen in Baden-Württemberg, die das Institut für Demoskopie Allensbach durchführt.

Zeitraum
Vom 16. bis 25. November 2022 wurden im Land 1060 erwachsene Personen online befragt. Die Teilnehmer erhielten eine E-Mail und konnten über einen Link zum Fragebogen gelangen. Dieser umfasste 15 Fragen. Die Teilnehmer konnten vorgegebene Antworten anklicken. hol