So einfach ist das nicht. Bis ein Rohbau steht, muss ein Bauträger so manche bürokratische Hürde nehmen. Foto: dpa

Tübingens OB Palmer klagt über zu viel Bürokratie beim Wohnungsbau – dabei will die Landesregierung die Hürden doch demnächst abbauen. Kann er hoffen?

Stuttgart - Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer liebt das offene Wort. Dass er seinen Ärger nicht hinunter schlucken kann, wenn ihn etwas stört, dokumentiert der Grünen-Politiker fast täglich auf Facebook oder in Zeitungsbeiträgen. Mal bekommen unsoziale Hausbesitzer ihr Fett weg, mal seine grünen Parteifreunde, mal unfreundliche Wirte. In der jüngsten Ausgabe der „Zeit“ knöpft sich Palmer nun die Baubürokratie vor.

„Wahnsinn mit Methode“ ist sein Erfahrungsbericht überschrieben, in dem er den behördlichen Hürdenlauf beim Bau von Flüchtlingsunterkünften beschreibt. Mal kommt ihm der Naturschutz in die Quere, weil sich auf dem Baugrundstück „in einem halb toten Obstbaum“ kleine Juchtenkäfer eingenistet haben, mal sind es die Lärmschutzvorschriften, die es unmöglich machen, dass er ein Flüchtlingsheim direkt neben Tennisplätze stellt. Sein Fazit: „Die Summe der Vorschriften ist derart gewachsen, dass es unmöglich ist, eine große Anzahl von neuen Gebäuden in kurzer Zeit zu bauen.“

„Wahnsinn mit Methode“

Palmer steht mit dieser Klage nicht allein. Kommunalverbände, Wohnungswirtschaft und Bausparkassen fordern seit Monaten, den Wohnungsbau im Land zu beschleunigen. In einem umfangreichen Grundsatzpapier haben sie aufgelistet, was ihrer Ansicht nach geschehen muss, um schneller zu weiteren Wohnungen zu kommen: von Ausnahmeregelungen beim Artenschutz über gelockerte Bauvorschriften bis hin zu gesenkten energetischen Standards.

Die grün-schwarze Koalition hat darauf reagiert, indem sie im Sommer eine sogenannte Wohnraum-Allianz eingerichtet hat: 50 Vertreter aus Landtag, Kommunen, Wohnungswirtschaft sowie Banken und Naturschutz wollen noch in diesem Jahr erste Vorschläge präsentieren, die schnell umgesetzt werden können. „Dabei geht es auch um die Möglichkeiten, regulatorische Hemmnisse abzubauen“, sagt Gerhard Mauch, der für den Städtetag in der Runde sitzt.

Ausgeprägte Diskussionskultur

Dabei dürfe es keine Denkverbote geben, hat Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) zum Auftakt der Arbeitsgruppen vor wenigen Wochen gemahnt. Doch muss sich erst noch zeigen, ob die Interessenvertreter des Naturschutzes, des Denkmalschutzes oder der Landwirtschaft über ihren Schatten springen zu Gunsten von rascheren Baugenehmigungen. „Da gibt es eine ausgeprägte Diskussionskultur“, sagt Mauch. Was wohl so viel bedeutet wie: Es läuft schleppend.

Auch die Landtagsabgeordnete Gabriele Reich-Gutjahr, die für die FDP in der Runde sitzt, ist skeptisch, ob Palmer bald keinen Grund mehr zur Klage haben wird: „Wenn alle Interessengruppen auf ihre Forderungen beharren, wird das nichts mit einer schnellen Einigung.“ Was ihr in der Wohnraumallianz fehlt, ist ein konkretes, übergeordnetes Ziel: „Wie viel zusätzlichen Wohnraum wollen wir denn in welchem Segment schaffen?“, fragt die Abgeordnete, die beruflich aus der Wirtschaft kommt. Ihr Landtagskollege Tobias Wald (CDU) ist da zuversichtlicher. Wenn alle Beteiligten das Thema Wohnungsnot als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sähen, könne die Runde sehr wohl bald zum Ziel kommen: „Der Ball liegt bei den Teilnehmern selbst.“

Land oder Bund?

Vieles, was Palmer und auch andere Bauträger beklagen, liegt ohnehin nicht in der Verantwortung des Landes, sondern kann nur vom Bund verändert werden - zum Beispiel die Lärmschutzvorschriften im Bundesimmissionsschutzgesetz. „Sollte eine solche Regelung nicht auf der Grundlage von Landesrecht begründbar sein, so sollte sich das Land Baden-Württemberg über eine Bundesratsinitiative für diese verfahrensbeschleunigende Maßnahme einsetzen“, heißt es in dem Papier von Kommunen, Wohnungswirtschaft und Bausparkassen.

Eindeutig in Landeskompetenz sind hingegen die Regeln der Landesbauordnung, die von der grün-roten Koalition erst im vergangenen Jahr reformiert worden ist. So wünschen sich die Kommunen zum Beispiel eine Lockerung der Vorschrift, wonach pro Wohneinheit zwei wettergeschützte Fahrradstellplätze vorhanden sein müssen. „Dadurch werden vermeidbare Zusatzkosten verursacht“, sagt Stefanie Hinz vom Städtetag. Aber auch die Vorschriften zum Brandschutz, zur Barrierefreiheit und zum Energiesparen dürften nicht zu Investitionshindernissen werden, mahnen die Kommunen. Nichts zu tun, da sind sich alle einig, sei keine Lösung. Wald: „Der Druck auf alle Beteiligten ist so groß, dass etwas passieren muss.“