Zielstrebig: Dennis Schröder im Dress der deutschen Basketballer Foto: dpa

Alles Dirk Nowitzki – oder was? Von wegen. Ein ganz anderer Spieler wird die deutsche Basketball-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft (5. bis 20. September) in Berlin anführen.

Stuttgart/Berlin - Diese blonde Strähne, die sein krauseliges Haupthaar ziert, ist sein Markenzeichen geworden. Fans der Atlanta Hawks, des NBA-Clubs, für den Dennis Schröder seit zwei Jahren spielt, haben den Trend des Braunschweigers bereits nachgemacht. Zu den Heimspielen erscheinen sie mit blond getupften Scheiteln. Die Idee für den hellen Fleck hatte Schröder selbst. Sagt er zumindest. Wobei das nur bedingt richtig ist. Um ein Haar hätte seine Frisur anders ausgesehen. Mama Fatou, eine Friseurin aus Gambia, war bei dieser haarigen Angelegenheit involviert. „Sie wollte, dass ich meine Haare komplett blond färbe, doch das wollte ich nicht. Wir einigten uns auf diese Teilfärbung“, erklärt Schröder.

Die Sache mit dem Farbtupfer sollte damit geklärt sein. Die Sache mit der Basketball-EM noch nicht. Denn bei der werden ab diesem Samstag von Schröder, dem Spielmacher der deutschen Nationalmannschaft, auch Akzente erwartet. „Dennis“, sagt Bundestrainer Chris Fleming mit forderndem Unterton, „muss dafür sorgen, dass alle involviert sind, er das Tempo auf dem Feld bestimmt und zu unseren Gunsten nutzt.“ Er, nicht der alternde Superstar Dirk Nowitzki (37), müsse die Führungsrolle übernehmen, der neue Chef sein. Von einem Spielgestalter sollte man das erwarten können. Doch Schröder ist erst 21 Jahre, ein Jungspund auf dem Parkett. Trotzdem traut Bundestrainer Fleming Schröder diese Rolle zu: „Ich habe selten einen Menschen kennengelernt, der mit 21, mit 25 oder auch mit 35 Jahren so selbstbewusst ist wie Dennis.“ Und wer den 1,86 Meter großen Modellathleten kennt, der weiß, was der Nationalcoach meint.

Keine Angst vor Bobby Brown oder Michael Jordan

Dennis Schröder ist kein Typ für leise Töne. Im Gegenteil, er haut gerne mal einen raus. Zu Beginn seiner Karriere tönte er mal: „Ich habe vor niemandem Angst, ob das Bobby Brown oder Michael Jordan ist. Ich versuche, meinem Gegenspieler keinen Respekt zu zeigen.“ Damals spielte er mit 18 für die Braunschweiger Phantoms und wurde zum besten Neueinsteiger („Rookie“) der Bundesligasaison 2012/13 gewählt. Angst und Respekt hat er seither beiseite geschoben. In seinem zweiten Jahr in der besten Liga der Welt – 2013 wurde er von den Atlanta Hawks verpflichtet – ist er zu einem wichtigen Spieler im Team von Trainer Mike Budenholzer geworden. Nach dem NBA-Rekordstart von 19 Siegen in Folge segelten die Adler in die Halbfinal-Play-offs. Auch weil vorneweg der Paradiesvogel aus Niedersachsen flog – mit seinen Tricks, Tempowechseln und dem furchtlosen Zug zum Korb. Seine Bilanz: In 77 NBA-Spielen machte er im Schnitt 10,0 Punkte, 4,1 Vorlagen. Spitzenwerte für einen 21-Jährigen.

Dabei hätte die Welt beinahe nie etwas von Schröders Spielkunst gesehen, wenn nicht Liviu Calin vor zehn Jahren durch den Braunschweiger Prinzenpark spaziert wäre. Der rumänische Basketballtrainer entdeckte Schröder zufällig, als der mit seinen Kumpels Basketball spielte. Er warf dort auf Körbe, weil er eine Pause brauchte. Eine Pause vom Skateboarden. Bis dahin war die Welt des damals Elfjährigen nämlich die Halfpipe und nicht der orangefarbene Ball. „Dieser Knirps konnte jedoch Dinge auf dem Basketballfeld, die ich so noch nicht gesehen hatte“, erzählt Liviu Calin.

Das einzige Problem: Der kleine Dennis war trainingsfaul und undiszipliniert. Keine guten Voraussetzungen für eine Profikarriere. Dass er doch noch den großen Wurf schaffte, hatte einen traurigen Grund. Vor fünf Jahren starb Schröders deutscher Vater mit 47 Jahren. Dessen Herztod hätte den wilden Rotzlöffel auch aus der Bahn werfen können, doch es bewirkte bei ihm einen Wandel zum Guten. Eine Woche vor dem Drama hatte er seinem Dad versprochen, es in die NBA zu schaffen. Und weil Schröder kein Typ für leere Versprechen ist, hat er daran gearbeitet.

Er spielt eher Streetball

Nun, nach seinem zweiten NBA-Jahr, weiß die ganze Welt, was Deutschlands große Basketball-Hoffnung so alles mit dem Ball anstellen kann. In den USA lieben sie den Sonnyboy, der teils amerikanischer ist als die Amerikaner selbst: Er spielt eher Streetball wie einer dieser Hinterhofjungs in New York und strahlt dabei mehr Lässigkeit aus als ein Gangsta-Rapper. Selbst beim Kaugummikauen wirkt er genauso herausfordernd wie früher Michael Jordan. Zudem steht er zu seiner Vorliebe für goldene Basecaps, Gucci und Luis Vuitton. Drei bis viermal wöchentlich lässt er seinen Friseur bei sich aufmarschieren. Bei 1,7 Millionen Euro Jahresgehalt kann sich Schröder das auch leisten.

Nur: In den kommenden zwei Wochen rückt das in den Hintergrund. Es geht nur noch um die EM und um ein Ziel – den siebten Platz, der zur Teilnahme an einem Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele berechtigt. „Ich will in Rio spielen“, sagt Schröder, und er soll das Team dahin führen. Für ihn kein Problem. Obwohl die deutsche Equipe in Berlin trotz des Heimvorteils in der Vorrundengruppe mit Spanien, Serbien, Italien, der Türkei und Island Außenseiter ist, fühlt er sich der Aufgabe gewachsen. „Es ist eine Ehre, dass Dirk Nowitzki sagt, es sei mein Team“, meint Schröder, „aber ich habe die Jungs schon im Vorjahr angeführt.“ Da war wieder so einer dieser selbstbewussten Sätze. Schröder eben. Ein Chef, der von sich überzeugt ist – vom Scheitel bis zur Sohle.