Während sich Deutschland von der Kernenergie verabschiedet hat, zeigt eine aktuelle Umfrage, dass sich die Mehrheit der befragten Eidgenossen für den Bau neuer Atomkraftwerke in der Schweiz ausspricht.
Der Schweizer Bundesrat rüttelt am 2017 beschlossenen Verbot des Baus neuer Atomkraftwerke. Damit reagiert er auf die Volksinitiative „Blackout stoppen“ und den steigenden Strombedarf der Schweiz.
In der Schweiz nimmt die Diskussion um den Neubau von Kernreaktoren Fahrt auf. Eine Mehrheit von 53 Prozent stellt sich hinter die Pläne des Bundesrats zur Aufhebung des Neubauverbots für Atomkraftwerke in der Schweiz. Dabei zeigt sich ein Geschlechtergraben: Nur 44 Prozent der Frauen befürworten den Kurswechsel gegenüber 63 Prozent der Männer. Das geht aus einer neuen Umfrage im Auftrag von „20 Minuten“ und Tamedia hervor.
Der Schweizer Bundesrat hatte die AKW-Diskussion Ende August mit seinem Plan zur Aufhebung des Neubauverbots neu entfacht, nachdem dieses 2027 vom Volk mit 58 Prozent Ja beschlossen worden war. In der Umfrage vom 19. bis 22. September gaben 43 Prozent aller Teilnehmer an, den Neubau von AKW abzulehnen. Keine Angaben machten vier Prozent. Damit zeigte sich eine Kehrtwende gegenüber einer vom 6. bis 10. September erhobenen Umfrage, in der sich 51 Prozent gegen AKW-Neubauten aussprachen.
Rechts-Links-Graben
In der jetzt veröffentlichten Umfrage zeigte sich neben dem Geschlechtergraben der bekannte Rechts-Links-Graben bei der Atomenergie. Grüne lehnten die Aufhebung des Neubauverbots mit 81 Prozent ab, bei der SP waren es 73 und bei den Grünliberalen 59 Prozent.
Die Mitte-Anhängerschaft kippte mit 52 Prozent ins Ja-Lager. Dabei hatte Parteipräsident Gerhard Pfister den Bundesratsentscheid kritisiert. Die Landesregierung wolle den Volksentscheid von 2017 offenbar nicht akzeptieren. Die SVP-Anhänger stellten sich mit 82 Prozent hinter die Aufhebung des Verbots, die FDP-Sympathisanten mit 77 Prozent. Insgesamt 19 552 Personen aus der Deutschschweiz, der Romandie und dem Tessin nahmen an der Umfrage teil.
Dabei hatten die Eidgenossen vor sieben Jahren den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Neue Reaktoren sollten demnach nicht mehr gebaut werden. Die Politik einigte sich darauf, nur die bestehenden Kraftwerke in Betrieb zu lassen – und zwar auch über Jahrzehnte, solange sie sicher sind.
Bei seinem Bau war für das Atomkraftwerk Leibstadt eine Betriebszeit von 40 Jahren vorgesehen, was jetzt mittlerweile vier Jahrzehnte her ist. Das betagte Kraftwerk soll aber mindestens noch 20 Jahre weiterlaufen, weil die Schweiz die Laufzeit nicht begrenzt. Bernd Mücke, der stellvertretende Leiter des AKW Leibstadt, sprach vor wenigen Wochen in diesem Zusammenhang von Investitionen in Milliardenhöhe. Ihm zufolge sei die Anlage auf dem neusten Stand der Technik.
Erster Anlauf war 1979
Rückblick: Der Beschluss von 2017 war nicht der erste Versuch, der Atomkraft in der Schweiz ein Ende zu bereiten: Eine erste Anti-Atom-Initiative wurde im Februar 1979 an der Urne relativ knapp mit 51,2 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Die Atominitiative II (keine weiteren AKW) im September 1984 konnte ebenfalls keine Mehrheit finden. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 führte dann zu einem zehnjährigen AKW-Baustopp und einem geordneten Rückzug aus der umstrittenen Kernenergie. Sechs Jahre später folgte das Kernenergiegesetz, das die Option Kernkraft offenhielt und den Bau neuer AKW einem fakultativen Referendum unterstellte. Erst mit Fukushima sprach sich der Schweizer Bundesrat für einen längerfristigen Atomausstieg aus.
Unsicherheit beim Ausbau der erneuerbaren Energie und der steigende Strombedarf führen mittlerweile zu einem Umdenken in der Politik und Öffentlichkeit: Zwar ist der Weg hin zu einem neuen AKW noch sehr weit und voller Hindernisse, doch schon jetzt beginnt eine Diskussion um mögliche Standorte.
Tatsächlich haben sich zwei Gemeinden bereits in Stellung gebracht. Eine davon ist das aargauische Döttingen, das mit den beiden Beznau-Meilern die ältesten AKW der Schweiz beheimatet. Und auch der Gemeindeammann von Leibstadt bewirbt seine Gemeinde als möglichen Standort für einen Neubau.