Foto: Meinert

Mit dem 1890 uraufgeführten Märchenballet „Dornröschen“ von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky gastierte das Berliner „Royal Classical Ballet“ in der Stadthalle Balingen und bot dem Publikum im ausverkauften Großen Saal eine farbenfrohe und aufwendige Inszenierung des bekannten Klassikers. Das Ensemble ist international besetzt - unter anderem mit Tänzerinnen und Tänzern des legendären Moskauer Bolschoi-Theaters.

Das Ballett basiert auf dem französischen Märchen „La Belle au bois dormant“ („Die Schöne im schlafenden Wald“), das 1696 von Charles Perraults veröffentlicht wurde. Auch wenn der Balletttitel an das deutsche Dornröschen-Märchen der Gebrüder Grimm aus dem Jahr 1812 erinnert, gibt es doch einige Unterschiede.

 

Die Königstochter heißt nicht Dornröschen, sondern Aurora und ihr Prinz Désiré; eine zentrale Rolle nimmt die Flieder-Fee ein, die gute Fee mit der Gabe des Geistes, die immer wieder in die Handlung eingreift und so das Schicksal Auroras lenkt. Auch die Rolle ihrer Widersacherin, der bösen Fee Carabosse entstammt der französischen Vorlage.

Gegenüber der ursprünglichen Version Tschaikowskys – an der Uraufführung wirkten mehr als 150 Tänzerinnen und Tänzer mit – gibt es Einsparungen: Carabosse erscheint ohne ihr Gefolge, und auch auf die Erzählerin, die im Original die einzelnen Szenen beschreibt, wird verzichtet, was durch das Programmheft ausgeglichen wird.

Ansonsten ist die Inszenierung in vielen Details dem Original nachempfunden – von der an die verschnörkelte Kunst des 16. Jahrhunderts erinnernden Bühnenmalerei bis hin zur Darstellung Carabosses durch einen Tänzer, ein zur damaligen Zeit ausdrucksstarkes Stilmittel, um die Bösartigkeit der Fee zu symbolisieren. Gespart wurde leider an der Musik: Diese kam vom Band und ließ jegliche dynamische Differenzierung vermissen, so erklangen die Solopassagen einzelner Instrumente und Register in gleicher Lautstärke wie die Orchester-Tutti.

Aurora soll 100 Jahre lang schlafen. Foto: Meinert

Im Prolog (nachdem die Ouvertüre vor geschlossenem Vorhang abgespielt wurde) präsentiert sich die Fliederfee (Liudmila Titova) solistisch als heimliche Hauptperson der Handlung. Bald füllt sich die Bühne mit der Hofgesellschaft des Königspaares: Sechs Tanzpaare, die durch farbenprächtige Kostüme und perfekte Synchronität begeistern. Dann verkündet der Hofmeister Catalabutte mit einer Babypuppe die Geburt der Königstochter Aurora.

Am königlichen Hof beginnen die Vorbereitungen zum Tauffest. In tänzerischer Lebensfreude und mit opulenter Ausstattung erscheinen die sechs Glücksfeen, die der Königstochter im Gefolge der Fliederfee ihre Geschenke überreichen. Schönheit, Klugheit, Anmut, Beredsamkeit und Kraft werden eindrucksvoll in ausdrucksstarke Körpersprache übersetzt.

Plötzlich verfinstert sich die Stimmung

Doch plötzlich verfinstert sich die fröhliche Stimmung. Rotes Licht und Kunstnebel kündigen die Ankunft der bösen Carabosse an. Weil Catalabutte vergessen hat, sie zum Fest einzuladen, verflucht sie Aurora. An ihrem 16. Geburtstag soll sich Aurora an einer Spindel stechen und sterben. Doch die Fliederfee spricht einen Gegenzauber und wandelt den Tod in 100-jährigen Schlaf.

Anmutige Tänzer begeistern. Foto: Meinert

16 Jahre sind vergangen – Hofstaat und Feen tanzen zu Walzerklängen, um den Geburtstag der Prinzessin zu feiern, die von Ksenia Pukhlovskaya in anmutiger Schönheit dargestellt wird. Vier Prinzen bewerben sich um die Gunst der Königstochter. Als diese einen der vier kurzzeitig zum Favoriten wählt, erscheint Carabosse und überreicht ihr einen Blumenstrauß, in dem die Spindel versteckt ist. Aurora sticht sich an der Spindel und fällt in den angekündigten 100-jährigen Schlaf.

Der zweite Akt wird erneut durch die Fliederfee eröffnet; grüne Beleuchtung und die grünen Kostüme der nun erscheinenden Feen symbolisieren den Wald, in dem bald die Hofgesellschaft um Prinz Désiré erscheint. Doch Désiré (Sergei Skvortsov) kann sich an der Schönheit des Waldes nicht begeistern und schickt seine Gesellschaft fort. Die Fliederfee tritt auf und zeigt ihm in einer Vision die schöne Prinzessin Aurora, die in Nebelschwaden getaucht den Bühnenhintergrund durchtanzt.

Auch Rotkäppchen und der Wolf treten auf

Die Fliederfee führt Désiré zum Schloss, wo er auf die schlafende Aurora trifft und sie durch einen Kuss wieder erweckt. Überschwängliche Tanzfreude stellt die wiedererlangte Lebendigkeit dar. Désiré hält um die Hand Auroras an, und alsbald erscheinen die Hochzeitsgäste, unter ihnen drei Tanzpaare, die Figuren aus anderen russischen Märchen verkörpern und durch ihre ausdrucksvollen Pas-de-Deux begeistern und verzaubern: Eine weiße Katze mit dem gestiefelten Kater, der blaue Vogel mit seiner Partnerin sowie Rotkäppchen und der Wolf.

Nun erscheinen Aurora und Désiré im Hochzeitsgewand und bieten mit ihrem ausdrucksvollen Pas-de-Deux und ihren anschließenden Soli-Tanzkunst in höchster Exzellenz. Nach einem weiteren Pas-de-Deux der beiden und Freudentänzen der drei Märchenpaare endet die bezaubernde Vorstellung nach mehr als zwei Stunden im nicht enden wollenden Applaus des begeisterten Publikums.