Dekan Beatus Wiedmann ist fasziniert von der Balinger Madonna. Foto: Reich

Sie ist wieder da – zumindest als Kopie: Vor rund 500 Jahren wurde die Madonna mit Kind aus dem Gotteshaus, das heute die Balinger Stadtkirche ist, verbannt. Jetzt kann sie wieder an ihrer alten Stätte bewundert werden.

Balingen - Die evangelische Stadtkirchengemeinde Balingen hat vom Rottweiler Dominikanermuseum, wo sich das Original befindet und ausgestellt ist, einen Abguss der Balinger Madonna als Dauerleihgabe bekommen. Diese soll der Öffentlichkeit zweifach präsentiert werden: beim Festvortrag mit Pfarrer Dieter Koch aus Korb am kommenden Samstag, 14. Mai, ab 19 Uhr in der Stadtkirche, und mit einem Festgottesdienst am Sonntag, Kantate, 15. Mai, ab 10 Uhr in der Balinger Stadtkirche.

 

Was macht die Geschichte der Madonna so spannend?

Sie wird Meister Jörg Syrlin dem Jüngeren zugeschrieben. Anderen Quellen zufolge war es hingegen Niklaus Weckmann, ein Bildhauer der in Syrlins Werkstatt arbeitete, der die Figur schuf. Syrlin lebte von 1455 bis 1521 und war von 1483 bis 1516 Zunftmeister der Schreiner in Ulm. Um 1500 soll er die Figur der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind geschaffen haben. Die Figur ist aus Lindenholz geschnitzt und war ursprünglich bemalt. Außer Maria und ihrem Kind, das einen Apfel als Sinnbild des Lebens aus dem Garten Eden in der Hand hält, ist unter den Füßen der Mutter Gottes ein Halbmond zu sehen.

Was zeigt der Halbmond?

Einer Interpretation nach ist er ein Hinweis dafür, dass die Gestirnhoheiten besiegt sind, also die vorchristlichen Gottheiten, die von den Menschen früher angebetet wurden. Einer anderen Auslegung nach ist die so genannte Mondsichel-Madonna auf die Johannesoffenbarung zurückzuführen, wo von einer von einem Drachen verfolgten, schwangeren Frau berichtet wird, die mit Sternen gekrönt und mit der Sonne bekleidet auf dem Mond steht.

 

Wie lange stand die Madonna in Balingen?

Bis um das Jahr 1530 stand sie als Aufsatz über dem Hauptaltar der Kirche. Das 1342 erstmals urkundlich erwähnte Gotteshaus war ursprünglich eine katholische Kapelle, die zur Friedhofskirche gehörte.

Wann wurde die Kirche zur Pfarrkirche?

Aus der Kapelle entstand von 1443 an eine dem heiligen Nikolaus und unserer Lieben Frau (Maria) gewidmete Kirche, die 1516 zur Pfarrkirche erhoben wurde. Seitdem hieß sie Liebfrauenkirche. Davon zeugen noch heute zwei Schlusssteine des 1470 eingewölbten Chores über dem Altar, die die "Liebe Frau" samt Jesuskind sowie St. Nikolaus zeigen. "Maria war nie weg aus der Balinger Stadtkirche", urteilte Dekan Beatus Wiedmann bei der Präsentation der Madonna am Dienstag.

Als sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Reformation von der Schweiz aus in Süddeutschland breitmachte, erreichte sie auch Balingen. Wie andernorts wurden Kirchen gestürmt und Statuen und Gemälde zerstört. In der Geschichte ist dies als "Bildersturm" eingegangen – ein Begriff von Martin Luther.

Warum mussten Bilder uns Statuen verschwinden?

Die Reformer begründeten ihr Vorgehen auf unterschiedliche Weise: Reformatoren wie die Schweizer Zwingli und Calvin lehnten nicht nur die Herstellung und Verwendung von Bildern zur Glaubensausübung ab, sie sahen darin auch eine Ablenkung vom eigentlichen christlichen Gedanke. Nicht das Bild, sondern das Wort, Jesus selbst, sollte die Kirche füllen.

Andere sahen in der Verehrung der Ikonen Götzenanbetung. Dies widersprach dem zweiten Gebot, das besagt: "Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist." Aus dieser Logik heraus wurden unzählige Kunstschätze für immer zerstört, verbrannt, den Bildern Gesichter zerkratzt oder Hände abgehackt, Reliquien in Flüssen versenkt.

Warum wurde Balingens Madonna nicht zerstört?

Wenn Bilder und Skulpturen schon aus dem Kirchenraum verschwinden mussten, dann doch bitteschön nicht gleich kaputtmachen, hieß es in Balingen. Kann man ja vielleicht irgendwann noch mal gebrauchen, so die sparsam-schwäbische Logik. Deswegen wurde die Balinger Madonna kurzerhand auf dem Dachboden eingelagert.

Wie lange war sie auf dem Dachboden eingemottet?

Mehrere Jahrhunderte, bis sie im 19. Jahrhundert von Johann Georg Martin Dursch wiederentdeckt wurde. Der Theologe und Philosoph hatte nach seiner Vikarzeit 1829 als Professor am Gymnasium in Ehingen an der Donau einen Anti-Zölibatverein gegründet, der verboten wurde. Frustriert verlegte er sich auf das Sammeln sakraler Kunst.

Wie kam die Madonna nach Rottweil?

Über mehrere Stationen kam Dursch 1858 als Dekan nach Rottweil. Dort wurde er auf die Balinger Madonna aufmerksam und verleibte sie seiner Sammlung spätgotischer Holzbildwerke und Tafelmalereien ein. Diese Sammlung war seit 1851 in der Lorenzkapelle untergebracht und wurde 1991 in das Dominikanermuseum Rottweil integriert.

Und was kann man jetzt in Balingen bewundern?

Eine Kunststoff-Kopie der Madonna, als Dauerleihgabe des Rottweiler Museums. In der Stadtkirche steht sie am Taufbecken. Dort, wo Kinder in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden, ist nun die Madonna in die Balinger Kirche wiederaufgenommen worden.