Die Mitteltafel des sogenannten "Wildensteiner Altars" in der Staatsgalerie Stuttgart. Das Bild stammt aus dem zur Ausstellung erschienenen Begleitband. Foto: Stadtarchiv Balingen

Stadtarchivarin Yvonne Arras vermutet Joseph Weiß hinter dem berühmten "Namenlosen".

Balingen - In der Staatsgalerie Stuttgart war jüngst die Landesausstellung "Der Meister von Meßkirch" zu sehen. Die vieldiskutierte Frage, ob hinter einem der berühmtesten Namenlosen der Kunstgeschichte die Malerwerkstatt von Joseph Weiß aus Balingen steckt, streift sie zwar nur. Doch lohnt laut Yvonne Arras, der Balinger Stadtarchivarin, ein erneuter Blick in die Quellen.

Die ältesten verwahrt das Balinger Stadtarchiv, darunter auch verschollen geglaubte. 1526 ließ der alsbald in den Grafenstand erhobene Gottfried Werner von Zimmern die Pfarrkirche Sankt Martin in Meßkirch von Grund auf neu erbauen und mit zahlreichen Altären ausstatten. Diese Altäre waren mit Gemälden geschmückt, die zu den delikatesten Hervorbringungen der europäischen Kunstgeschichte jener Zeit zählen.

Zu dem Ensemble gehört zum Beispiel der sogenannte "Wildensteiner Altar" in der Staatsgalerie Stuttgart. Auf dessen goldglänzender Mitteltafel erscheint die Muttergottes mit dem Christuskind in einer Wolkenglorie umsäumt von einem Kranz aus Heiligengestalten. Aber wer jene Werke schuf, hat Gottfried Werner nirgendwo vermerkt.

Ausgangspunkt ist Bild von 1560

Darum behilft man sich mit dem Notnamen "Meister von Meßkirch". Viele Vorschläge zur Identität des "Meisters" stehen im Raum. Einer davon lautet, dass sich hinter dem vermeintlichen Meßkircher Meister in Wirklichkeit die damals in Balingen ansässige Malerwerkstatt von Joseph Weiß verberge.

Ausgangspunkt dieser Vermutung ist ein um 1560 entstandenes Bildnis des Grafen Eitelfriedrich III. von Hohenzollern. Es befindet sich im Fürstlich Hohenzollernschen Museum auf Schloss Sigmaringen. Dieses Gemälde wird mithilfe der Stilkritik, einer kunsthistorischen Methode, die Werkzusammenhänge aufzudecken helfen kann, dem Œuvre des "Meisters von Meßkirch" zugeordnet. Denn es weist in stilistischer Hinsicht Ähnlichkeiten mit den Malereien des Ausstattungsensembles von Sankt Martin in Meßkirch auf.

Aber ebenso wie bei jenen liegen die Entstehungsumstände des Sigmaringer Tafelbildes im Dunkeln. Es bedarf daher der Auswertung archivalischer Quellen, um diese zu erhellen. Anders als für die Meßkircher Malereien scheinen solche für das Bildnis Eitelfriedrichs nämlich erhalten zu sein. Und deren Spur führt nun zur Balinger Malerwerkstatt von Joseph Weiß.

Einzige Kopie der Urkunde im Balinger Stadtarchiv

So scheint zunächst eine Rechnung des hohenzollerischen Rentmeisters aus dem Jahr 1561 mit dem Gemälde des Grafen Eitelfriedrich zusammenzuhängen. Demnach sei das Bild von "Meister Joseph, dem Maler zu Balingen" gefertigt worden. Und mit rund 24 Gulden ließ sich dieser dafür auch fürstlich entlohnen.

"Maler" war in Mittelalter und beginnender Früher Neuzeit die gebräuchliche Bezeichnung für Künstler, die Gemälde schufen. Wie Meister Joseph mit Nachnamen hieß, verrät die Sigmaringer Rechnung dagegen nicht. Damit allein lässt sich somit keine Verbindung zu Joseph Weiß’ Werkstatt herstellen. Die Brücke nach Balingen schlägt eine Urkunde aus dem Jahr 1743, die jene Bauleute namentlich nennt, die 1541 den Turm der Balinger Stadtkirche errichtet haben. Sie wurde 1913 bei der Kirchenrenovierung vom damaligen Dekan entdeckt, gilt aber seit vielen Jahren als verschollen.

Die kunstgeschichtliche Forschung glaubte daher, nicht mehr nachweisen zu können, welche Namen darin tatsächlich aufgeführt werden. Anscheinend wurde bislang aber übersehen, dass sich die offenbar einzige Kopie dieser Urkunde im Balinger Stadtarchiv erhalten hat.

Sie bezeugt nun eindeutig, dass im Jahre 1541 ein Maler mit Namen Joseph Weiß vor Ort war. Er fertigte das vergoldete Sonnen- und Mondsymbol, das auf dem Wipfel der Turmspitze sitzt. Dieser Joseph Weiß dürfte mit dem Malermeister Joseph aus der Rechnung von 1561, der als "Meister von Meßkirch" gehandelt wird, identisch sein. Denn es ist unwahrscheinlich, dass damals zwei namensgleiche Maler in Balingen lebten. Zumal Maler Joseph auch in anderen Quellen immer wieder auftaucht.

Der älteste Nachweis findet sich in den Rechnungen der Sebastiansbruderschaft aus dem frühen 16. Jahrhundert, die sich gleichfalls im Balinger Stadtarchiv befinden. 1521 taucht dort erstmals der Maler Joseph auf; er wurde demnach, wie zu lesen ist, "uf Sant Sebastians tag" desselben Jahres, also am 20. Januar 1521, zum "neuen" Pfleger der Bruderschaft bestellt. Das heißt, er war fortan für die Finanzverwaltung dieses bereits 1468 gegründeten städtischen Wohlfahrtsverbandes zuständig. In den folgenden Jahren erscheint sein Name regelmäßig in den Bruderschaftsrechnungen. Sie unterrichten ferner darüber, dass Joseph zeitweise sogar Bürgermeister gewesen sein soll.

Auch in Stuttgart hütet man Akten, die von der Weiß’schen Werkstatt künden. Sie helfen zwar einige Lücken im Werdegang des künstlerisch versierten Balingers zu schließen. Gleichwohl: Die Komplettierung der komplizierten Konstruktion aus Stilvergleichen und Quellenkunde, die den "Meister von Meßkirch" aus der Anonymität befreien möchte, fußt nicht zuletzt auf Balinger Akten.