Sicherheitskräfte mit Maschinenpistolen haben vor der Europäischen Kommission Posten bezogen, wo Carsten Glietsch seinen Arbeitsplatz hat. Foto: Stoffel

Balinger Carsten Glietsch arbeitet in Brüssel und kehrt dorthin nach dem Heimatbesuch wieder zurück.

Balingen - Carsten Glietsch ist wieder für einige Tage in Balingen. Mit seiner Familie besucht er seine Eltern, fährt dann weiter nach Österreich, wo seine Frau herkommt. Unbeschwert kann er seinen Besuch nicht genießen: Er lebt und arbeitet in Brüssel.

Als er am Dienstag von den Anschlägen in Brüssel erfuhr, war er schockiert, wie er berichtet. Denn eine Bombe, die in der U-Bahn-Station Maelbeek, explodierte in unmittelbarer Nähe zu seinem Arbeitsplatz. Der 46-Jährige ist EU-Beamter und ist in der Europäischen Kommission im Bereich Arbeitsmarkt und Sozialpolitik tätig. Ein "Gefühl der Verwundbarkeit" habe in beschlichen und die Tatsache "Jetzt hat es auch uns erwischt."

Seine Sorge galt denn auch seinen Kollegen. Es hätte gut möglich sein können, dass der eine oder andere zu Schaden gekommen war. Während Carsten Glietsch mit dem Rad zur Arbeite fährt, kommen in dieser U-Bahn-Station zu der Zeit, als der Anschlag passierte, viele Beschäftigte an. Daher habe er gleich in seiner Abteilung angerufen und zu seiner Erleichterung erfahren, dass niemand verletzt oder getötet worden sei.

Aber auch in Balingen bekam er die Ausnahmesituation, in der sich seine Kollegen befanden, mit. Immer wieder erschienen auf seinem Handy klare Anweisungen, wie er sich verhalten soll, zum Beispiel das Gebäude nicht zu verlassen.

Glietsch kann sich gut vorstellen, wie die Situation in Brüssel derzeit ist. Bereits nach den Anschlägen in Paris im vergangenen November, als es Hinweise gab, dass die Spuren der Täter nach Brüssel führen, speziell in das von vielen Moslems bewohnten Viertel Molenbeek, stand das öffentliche Leben in der belgischen Hauptstadt für drei bis vier Tage still. Universitäten, Schulen und Kindergärten waren geschlossen, "es herrschte eine gespenstische Stimmung", erinnert er sich. Es beschlich einen ein "ungutes, mulmiges Gefühl", das sich mit der Zeit aber legte. Dazu trugen die Sicherheitsmaßnahmen bei, die verstärkt worden waren; so wurden auch die Kommissionsgebäude strenger bewacht.

Nun ist es aber wieder da, das mulmige Gefühl. "Ist es denn wahr, was passiert ist?" Das war jetzt der erste Gedanke beim Aufwachen, wobei eben gleich die Einsicht kam: "Es ist wahr!" – und später die Gewissheit, dass so etwas Schreckliches jederzeit wieder passieren kann, bedauert Glietsch. Seiner Ansicht nach sei die Gefahr auf dem Land zwar nicht so groß wie in den Großstädten, auf die sich der Fokus der Terroristen richten könnte. "Wir müssen lernen, damit zu leben", ist sich Glietsch bewusst.

Dennoch will er dem Rat der Bundeskanzlerin folgen und seine Leben wie gewohnt fortführen. Für ihn sei es daher keine Frage, dass er Anfang April wieder ins Flugzeug steigt und nach Brüssel fliegt. Nicht nur, weil er und seine Familie "an einem Strang ziehen" und sich ihre Lebensfreude nicht kaputt machen lassen wollen. Sie fühlen sich außerdem wohl in ihrem Brüsseler Viertel, das sehr bunt sei und eine hohe Lebensqualität biete. Und schließlich sei seine berufliche Tätigkeit zu spannend und motiviert, als dass er daran denke, an seiner Situation etwas zu ändern: "Wir denken gar nicht daran zu flüchten", gibt sich der Balinger selbstbewusst.

Er will auch in Zukunft nicht von den so oft wie möglich nach Balingen kommen, um nach seinen Eltern zu schauen und die Kontakte aufrecht zu erhalten, die er noch zu seinen früheren Fußballkollegen aus Balingen und Endingen hat.