Der Krisenstab tagt in der Geislinger Schlossparkhalle. Überaus fix sind im Zollernalbkreis umfassende Vorkehrungen für die Corona-Lage getroffen worden. Foto: Privat

Vertreter von Politik, Klinikum, DRK und Feuerwehr stellten angesichts des Coronavirus früh die richtigen Weichen.

Zollernalbkreis - Eigentlich müsste man Heiko Lebherz’ Ferien aus öffentlichen Mitteln bezahlen. Gut, öffentliche Mittel bezieht er als Bürgermeister von Ratshausen in Form seines Gehalts schon, aber ein Zusatz-Urlaubsgeld wäre angebracht, weil er sich als DRK-Kreisvorsitzender in jeder freien Bürgermeister-Minute mit Rettungsthemen beschäftigt. Einer seiner letzten Auslandsaufenthalte war nämlich, wie es aussieht, im Zollernalbkreis mit ausschlaggebend für die umfassende Vorbereitung auf die Corona-Krise.

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Lebherz verbrachte vor nicht allzu langer einige Tage in Südtirol. Dort fuhr der ausgebildete Notfallsanitäter im Rettungsdienst der Stadt Meran mit, um sich ein Bild vom Gesundheitssystem in Norditalien zu verschaffen. Knüpfte Kontakte zu dortigen Verantwortlichen. Und die schilderten ihm ab Ende Februar, wie katastrophal die Auswirkungen des Coronavirus bei ihnen ausfallen, dass sie auf die neue Lage schlicht nicht vorbereitet gewesen seien. "Mach’ es besser", so lautete die Botschaft. Die kam an.

Erfahrenes Team, das sich kennt und vertraut

Zusammen mit dem Ersten Landesbeamten Matthias Frankenberg, Kreisbrandmeister Stefan Hermann und Zollernalb-Klinikum-Chef Gerhard Hinger bildet Heiko Lebherz nun, da Corona den Zollernalbkreis mit Wucht erreicht, die Kernmannschaft im Kampf gegen das neuartige Virus. Es ist ein Team, dessen Mitglieder sich seit langer Zeit kennen und schätzen, die sich vertrauen. Das schon andere Krisen gemeinsam gemeistert hat. Etwa die Hochwasserkatastrophe im Killertal 2008. Oder den Flüchtlingsansturm 2015 samt Einrichtung der Lea in Meßstetten. Und das nun, gemeinsam mit der Truppe im Landratsamt, den vielen Mitarbeitern und Ehrenamtlern des DRK und der Feuerwehren sowie der Krankenhäuser in Balingen und Ebingen binnen kurzer Zeit buchstäbliche Berge in Bewegung gesetzt hat mit der Folge, dass der Zollernalbkreis im medizinischen und katastrophenschutztechnischen Bereich nach aktuellem Erkenntnisstand gut aufgestellt ist.

Mit entscheidend dafür war die schnelle Reaktion – dafür steht der Begriff, den Kreisbrandmeister Hermann immer wieder wiederholte, mit der Folge, dass Landrat Günther-Martin Pauli ihn in diesen Tagen täglich benutzt: "vor der Lage". Nicht hinterherhecheln, sondern frühzeitig agieren, damit, wenn die "Lage" eintritt, alles vorbereitet ist. Den ersten Corona-Krisenstab berief Landrat Pauli bereits am Aschermittwoch, 26. Februar, ein. Zu diesem Zeitpunkt galt eine Person im Zollernalbkreis als Verdachtsfall, eine bestätigte Infektion war noch nicht gemeldet.

Der erste bestätigte Infizierte war der Heselwanger Pfarrer Christof Seisser, der wie jedes Jahr mit einer größeren Gruppe über die Faschingstage auf Skifreizeit in Südtirol war. In der Folge stieg die Zahl der bekannten Infektionen zunächst langsam, aber stetig und dann immer schneller an. Der Zollernalbkreis wurde gar zu einem "Hotspot". Im Vergleich zu anderen Landkreisen war die Zahl der Betroffenen hoch: Am 6. März lag der Kreis mit elf Fällen an der Spitze im Land.

In einer Sondersitzung mit den Bürgermeistern sagte Landrat Günther-Martin Pauli am 5. März: "Wir erleben alle eine Herausforderung, wie wir sie noch nie im medizinischen Bereich hatten." Gesundheitsdezernentin Gabriele Wagner sprach die Empfehlung aus, Veranstaltungen mit mehr als 75 Teilnehmern "in den nächsten 14 Tagen" abzusagen. So wolle man die weitere Ausbreitung des Virus abbremsen.

Der Landkreis hielt sich in einem Fall selbst nicht an diese Empfehlung, aber das hatte einen guten Grund: Die Kreistagssitzung am Montag, 16. März, fand statt. Nicht im Landratsamt, sondern in der Geislinger Schlossparkhalle, wo die Tische zwischen den 55 Gremiumsmitgliedern in gebührendem Abstand voneinander aufgestellt werden konnten. Diese Vorsichtsmaßnahme wurde teils belächelt, aber schnell lachte niemand mehr.

In den Tagen davor hatte Klinik-Chef Gerhard Hinger Chefarzt Boris Nohé, Leiter der Zentralanästhesie, damit beauftragt, sich mit dem Corona-Thema zu befassen. Nohé und Hinger präsentierten den Kreisräten in Geislingen das anhand der Verläufe in anderen Ländern plausible Szenario zur Entwicklung der Zahl der Infizierten und der behandlungsnotwendigen Corona-Patienten im Zollernalbkreis. Hinger und Nohé ließen die Alarmglocken schrillen: Verdopplung der Zahlen jeweils alle drei Tage. Eine große Bandbreite an Schutzmaßnahmen, die notwendig seien. Es gelte, schreckliche Zustände wie in Italien, wo das Virus das Gesundheitssystem aufgrund der geballten Vielzahl an Infizierten und Erkrankten fast kollabieren ließ, zu vermeiden: "Vor die Lage" zu kommen.

"Glücksfall": Klinik noch in kommunaler Hand

Diese eindringlichen Worte wirkten. Die Kreisräte genehmigten dem Zollernalb-Klinikum außer der Reihe Geld für die Beschaffung von intensivmedizinischen Beatmungsgeräten (rund 700.000 Euro) sowie dafür, dass das Klinikum auf die Corona-Lage intern um- und aufrüstet. So wurde etwa am Balinger Krankenhaus ein Nebengebäude, das bis dato für Hebammen bereitstand, zu einem Testzentrum umgewandelt.

Als "Glücksfall" bezeichnen es alle Beteiligten im Corona-Zusammenhang, dass das Zollernalb-Klinikum noch immer in kommunaler Hand, der des Landkreises, sei. So habe man Einfluss auf das dortige Geschehen – was andernorts nicht der Fall sei: Einer privatwirtschaftlich betriebenen Klinik kann man nicht mal so eben sagen, dass sie auf Operationen (die Geld bringen) verzichten sollen, dass sie zusätzliche Kapazitäten (die Geld kosten) schaffen sollen.

Ebenfalls in der ersten März-Hälfte traf Heiko Lebherz für das DRK wichtige Entscheidungen: Am 12. März orderte er für seine Organisation separat Beatmungsgeräte – und bekam tatsächlich noch sechs Stück. Am 16. März bestellte er Feldbetten – mit die letzten, die zu diesem Zeitpunkt in Baden-Württemberg überhaupt noch verfügbar waren. Nicht 50, nicht klein denken, sondern offensiv: 500 kamen in Balingen an.

Feldbetten – ein Graus und ein Segen zugleich

Diese Feldbetten gelten mittlerweile, je nach Sichtweise, als Herzlosigkeit oder als Segen. Grausig, weil sie jedem vor Augen führen, dass die Kapazitäten des Zollernalb-Klinikums sowie der Acura-Klinik in Truchtelfingen, wo Betten als Reserve bereitstehen, vielleicht einmal nicht mehr ausreichen könnten und man als Infizierter mit leichten Symptomen dann einige Tage auf so einem Ding verbringen müsste. Segensreich und vielleicht beruhigend deshalb, weil sie zeigen, dass Vorbereitungen für den Ernstfall getroffen sind. Diese Ambivalenz zeigt sich auch daran, dass die Ansammlung der Betten und der medizinischen Ausrüstung in der Balinger Kreissporthalle vom Landratsamt fast schon behutsam-nichtssagend als "Corona-Station" bezeichnet wird, während es doch in Wahrheit und im Ernstfall viel mehr ist. Wiederholt bittet die Landkreisverwaltung darum, die vom DRK organisierte, bisweilen glücklicherweise nicht in Betrieb gegangene "Station" nicht als Not-Lazarett zu bezeichnen. Das klinge so nach Krieg, irgendwie "bäh".

Im Fall des Testzentrums im Hebammenhaus zeigte sich schnell, dass die Kapazitäten nicht ausreichen – dabei wurde vielleicht zunächst zu klein gedacht. Die neue große, heute noch in Betrieb befindliche Lösung kam aber schnell: Abstriche nehmen die DRK-Mitarbeiter seit 21. März auf dem Balinger Messegelände. Mittlerweile mehr als 3000 Zollernälbler ließen sich auf das Virus testen.

Der Balinger Süden entwickelte sich damit zur Corona-Zentrale im Landkreis. Abgerundet wurde diese durch die Schwerpunktambulanz, die der Balinger Mediziner Daniel Urban in der SparkassenArena einrichtete. Wer Angst hat, wer anhand konkreter Symptome befürchtet, sich mit Corona infiziert zu haben, kann dort unkompliziert vorstellig werden. Die Ambulanz, vor den Türen maßgeblich unterstützt durch die Feuerwehr, bedeutet eine enorme Entlastung der Hausärzte im Kreis: Deren Praxen sind wegen Corona nicht mehr verstopft und gefährdet, sie können sich um andere Patienten kümmern – deren Behandlung ja weiterhin notwendig ist.

Auch in punkto Tests war der Zollernalbkreis richtig unterwegs: Statt nur auf auswärtige Labore zu setzen, die sich wie im Falle Ravensburg als problamtisch erwiesen und deren Kapazitäten ohnehin immer enger wurden, wollte Landrat Pauli Kompetenz vor Ort nutzen: Zunächst das "ZAKLab" in Endingen, bald auch noch ein anderes Labor in Straßberg, die eigentlich beide veterinärmedinische Kompetenzen haben, erhielten die Erlaubnis, Corona-Abstriche auszuwerten. Bis es soweit war, galt es einige bürokratische Hürden zu überwinden. Pauli drückte es im Gespräch mit unserer Zeitung so aus: Er sei diesbezüglich gegenüber dem Regierungspräsidium Tübingen mit "heiligem Zorn" aufgetreten. Auch der wirkte: In der vergangenen Woche kam die Genehmigung. Abstriche aus dem Zollernalbkreis können nun vor Ort gestetet werden, deutlich schneller als bisher.

Im Rückblick – sofern ein solcher zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt schon möglich ist – zeigt sich: Im Zollernalbkreis haben angesichts von Corona die in diesen Bereichen führenden Köpfe früh die richtigen Weichen gestellt. Weichen, die mittlerweile anderen Landkreisen etwa Rottweil – als Vorbild dienen. Und Weichen, die über die Corona-Krise hinaus wegweisend sein könnten. So wolle man die Erfahrungen, die man mit dem Virus gemacht habe und weiter mache, in die Konzeption für den Neubau des Zentralklinikums einfließen lassen, sagt Landrat Pauli.

Eines mache die Krise schon jetzt deutlich: Dass das Ziel Zentralklinikum das richtige sei. Es sei notwendig, medizinische Kompetenzen an einem Ort zu bündeln anstatt hin- und her zu jonglieren. Mit der Frage des Zentralklinikums werde sich der Kreistag zu gegebener Zeit befassen. Nach der Krise, wenn Sitzungen wieder stattfinden können. Dann auch dabei: Heiko Lebherz (CDU). Sofern er nicht wieder in einem seiner lehrreichen Urlaube ist.

Im Zollernalbkreis sind am Freitag 22 weitere Corona-Infektionen bestätigt worden, 15 Frauen und sieben Männer zwischen Jugendalter und mehr als 80 Jahre. Damit stieg die Zahl der Infizierten auf 502, wobei 65 bereits genesen sind. An beiden Klinik-Standorten sind 95 infizierte Personen aufgenommen, 82 davon stationär, 13 in intensivmedizinischer Betreuung. Die Zahl der Todesfälle ist um drei auf zwölf gestiegen. In Pflegeheimen im Kreis kam es laut Landesgesundheitsamt zu zwei so genannten Ausbrüchen, das heißt, dass mindestens zwei Corona-Fälle aufgetreten sind, die im Zusammenhang stehen.