Salzburger Forensiker am Werk: Pirjo Aittamaa, Jan Cemper-Kiesslich und Edith Tutsch-Bauer (von links) untersuchen die Überreste des unbekannten Toten, der im "Horrer-Schacht" im Salzburger Untersberg entdeckt wurde. Einer der Entdecker war der Balinger Manfred Brenner. Foto: Ratzer

Balinger Höhlenforscher Manfred Brenner findet Leiche in 250 Metern Tiefe. Unbekannter lag seit Jahrzehnten im Berg.

Balingen/Salzburg - Eine Frage beschäftigt derzeit nicht nur die Salzburger Gerichtsmediziner, sondern auch den Balinger Chemielehrer und begeisterten Höhlenforscher Manfred Brenner: Wer ist der unbekannte Tote aus dem Untersberg? Mit Schülern seiner Höhlen-AG an der Tübinger Berufsschule (wo er im normalen Leben unterrichtet) war der Balinger in einen Schacht im Untersberg zwischen Salzburg und Berchtesgaden abgestiegen – und hatte dort einen grausigen Fund gemacht.

Eigentlich ging es darum, auf Bitte des österreichischen Höhlenforschers Georg Zagler, mit dem Brenner gut befreundet ist, einen kürzeren Einstieg zum Forschungspunkt in einer 40 Kilometer langen Höhle zu finden: Am 4. Oktober hatte der Balinger mit einem ehemaligen Schüler den unerforschten Schacht erstmals "befahren". In etwa 100 Meter Tiefe entdeckten sie auf einem Absatz Reste von ledernen Bergschuhen. "Da haben wir noch gewitzelt, dass wir wohl doch nicht die Ersten in der Höhle seien", sagt der 47-Jährige. Am 17. und 18. Oktober ging es dann zu sechst weiter, durch einen senkrechten Schacht bis in 250 Meter Tiefe. Dort öffnete sich eine etwa zehn Meter breite Halle. Darin lagen weit verstreut Knochen. "Erst dachte ich, dass sie von einem Tier stammen. Aber dann habe ich einen Knochen gefunden, der wie ein Oberschenkel aussah, und kurze Zeit später haben wir die Schädeldecke entdeckt", erzählt Brenner. Auch ein Holzski mit Langriemen-Bindung und die Spitzen der Skistöcke lagen auf dem Höhlenboden. Kleidungsstücke hätten sie nicht entdeckt.

Skifahrer vor 80 Jahren in Felsspalte gestürzt?

Sie hätten daraufhin auch überlegt, die Fundstücke nach oben zu bringen. "Aber wir waren der Meinung, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, auch nach seinem Tod." Bis zur Bergung verging fast ein Monat: Erfahrene Alpinpolizisten und österreichische Bergretter drangen Anfang dieser Woche bis in eine Tiefe von 320 Metern vor und bargen die Knochen und Teile der Ausrüstung. Sofort war klar: Der Unbekannte lag seit Jahrzehnten im Berg. Anhand der Ausrüstung wurde vorsichtig geschätzt, dass er vor 80 Jahren bei einer Abfahrt in den Felsspalt gestürzt sein könnte. Das Rätselraten begann. "Es gibt eine lange Liste von Vermissten am Untersberg", weiß Brenner. "Der Jüngste ist vor zwei Jahren verschwunden."

Die Bergung des unbekannten Toten dauerte einen ganzen Tag. Die Leichenteile wurden per Hubschrauber in die Salzburger Gerichtsmedizin gebracht. Ein Teil des Kieferknochens deute darauf hin, dass der Unbekannte zum Todeszeitpunkt noch jung war, sagte eine Forensikerin.

Nachdem die Meldung veröffentlicht worden war, gingen etliche Hinweise ein. Seit gestern gibt es eine konkrete Spur: Beim unbekannten Toten könnte es sich um einen 20-jährigen Salzburger handeln, einen Glasersohn, der seit März 1929 nach einer Skiabfahrt vom Hochthron vermisst wird. Eine DNA-Probe könnte Gewissheit bringen: Der Verschollene habe einen heute 99 Jahre alten Bruder und weitere nahe Verwandte, heißt es in einer Mitteilung der österreichischen Polizei.

Derweil haben Brenner und die Schüler aus seiner Höhlen-AG den Schacht genau aufgezeichnet und ihm auch schon einen Namen gegeben: "Horrer-Schacht", nach dem Leiter der Tübinger Berufsschule, Erwin Horrer. Und eine Kennzahl im internationalen Höhlenkataster: 1339/366. Die erste Zahl steht für den Untersberg, die zweite für die Höhle selbst: So viele Hohlräume habe man in dem Kalksteinmassiv bereits erforscht. "Es ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse", sagt Brenner.