Mit hochgezogener Augenbraue: Boris Retzlaff hat für unsere Zeitung das Balinger Jahr 2012 unter die kabarettistische Lupe genommen. Foto: Maier

Wuse, geplatzte Ehe und Eyach-Arkadien: Kabarettist schaut auf das szuende gehende Jahr zurück.

Balingen - Balingen erwarte 2012 ein tolles, ein interessantes Jahr: Das hatte Oberbürgermeister Helmut Reitemann im Dezember 2011 angekündigt. Wie es tatsächlich gelaufen ist, was sich alles ereignet hat, was hängen bleiben wird – das sagt der Balinger Kabarettist Boris Retzlaff im nicht immer ernst gemeinten Jahresrückblick.

Herr Retzlaff, was war für Sie 2012 in Balingen die größte Sauerei?

Mein Favorit: Die Sau Wuse, allgemein das Wannental. Ich frage mich, wie es zu der Entscheidung im Landratsamt kam, dass dieses Hängebauchschwein dort nicht mehr leben soll – und ich habe eine mögliche Antwort gefunden: In der gemeinsamen Kaffeepause der Veterinäramts-Mitarbeiter ist denen vielleicht aufgefallen, dass Sauen nicht gern alleine sind. Und dann nahm die Sache ihren Lauf. Ich bin gewiss kein Experte für Tierhaltung, aber was ich so höre, ist, dass so eine Sau erst dann glücklich ist, wenn sie zusammen mit Tausenden von Artgenossen in einer großen Halle lebt, sich die Hufe an einem Metallgitter wundstößt und, ganz wichtig, regelmäßig ihr Kraftfutter und Antibiotika bekommt. So gesehen muss man der Behörde dankbar sein, dass sie Wuse aus diesen unhaltbaren Zuständen befreit hat.

Landwirt Heinz Schühle sieht das aber ganz anders.

Klar, das tut er, aber man muss festhalten, dass auch er nicht artgerecht lebt. Er trinkt Wasser aus einer eigenen Quelle, statt sich den Bauch mit Coca-Cola vollzupumpen, er schaut sich Sonnenuntergänge live im Wannental an anstatt auf Fotos bei Facebook. Mit so einer Lebensweise eckt man an, keine Frage.

Kommen wir zu Klatsch und Tratsch: Was sagen Sie zur geplatzten Hochzeit zwischen den Volksbanken Balingen und Rottweil?

Tja, was soll man da nur sagen? Die Braut aus Balingen hat sich halt nicht getraut, ist buchstäblich vom Altar geflohen. Vielleicht hatte der Bräutigam aus Rottweil ja schlechte Zähne, vielleicht konnte diese Beziehung, die ja zunächst nur auf Distanz möglich war, nicht gutgehen, als es dann zum Schwur kommen sollte. So läuft es ja öfters. Ich hoffe für den Bräutigam, dass er nicht allzu sehr getroffen ist und deswegen nicht im Liebeskummer versinkt – auch Banker sollen ja ein Herz haben. Und die Balinger Braut zeigt eine typische Trotzreaktion, meint, sie komme alleine viel besser klar. Wir werden sehen, wem sie sich in der Zukunft noch an den Hals wirft.

Wie sehen Sie eigentlich die Zukunft der Eyach-Arkaden?

Rosig, durchweg rosig. An dieser Stelle möchte ich auch die Bedenken der Anwohner aufgreifen: Sicher ist es nicht schön, wenn einem eine mehr als 100 Meter lange Wand vor die Nase gebaut wird oder wenn frühmorgens Lastwagen Waren anliefern – aber abseits solcher Kleinigkeiten muss man doch die Bedeutung der ganzen Sache für Balingen sehen: Auch die Chinesen haben eine große Mauer, da hatten es die Anwohner anfangs sicher auch nicht leicht. Und heute? Genau: Ist diese Mauer eine Attraktion sondergleichen. Ich glaube fest daran, dass das geplante Bauwerk ein ähnliches Potenzial hat, dass dereinst die Goethes und Schillers kommender Tage zu den "Eyach-Arkadien" pilgern werden, um sich von diesem grandiosen Bauwerk zu Gedichten und Sonetten inspirieren zu lassen.

Nun ein ernstes Thema: der Vandalismus in Balingen. Wie bewerten Sie die Arbeit der Sicherheitsleute, die in Balingen in den Sommernächten auf Streife gehen?

Ich meine, dass wir Jugendliche brauchen, die manchmal über die Stränge schlagen – sonst würde den Security-Leuten ja nachts bei Regen Wind und Wetter ganz langweilig, sie hätten nix zu tun. Und das wäre das Schlimmste: Dann würden sie nämlich nach Recht und Ordnung schauen, wo sie schon besteht – wie in Balingen.

Im Parkhaus Wilhelmstraße wurde jetzt die Videoüberwachung in Betrieb genommen – meinen Sie etwa: grundlos?

Einen Grund findet man sicher immer. Ich finde es vor allem übertrieben, dass ich und 33 970 andere Balinger auch wegen vielleicht 30 Jungs, die gegen Recht und Gesetz verstoßen haben, gefilmt werde. Ist das verhältnismäßig? Ich will im Parkhaus in der Nase bohren und mich am Hintern kratzen können, ohne dabei gefilmt zu werden. Zum Glück gibt es ja noch andere Parkhäuser in der Stadt.

Die Mitglieder der Bürgerinitiative Balinger Unordnung sagen, dass in Balingen zu viele Vandalen unterwegs sind. Ihre Meinung dazu, Herr Retzlaff?

Jaja, die Vandalen. Es ist sicher nicht schön, nachts von grölenden und randalierenden Menschen aus dem Schlaf gerissen zu werden oder morgens einen vollgepinkelten Hauseingang oder zerdepperte Scheiben vorzufinden. Das sollte, das muss niemand hinnehmen. Inzwischen aber gibt es ja glücklicherweise eine gute Alternative, gar nicht weit weg: Wem es in der Innenstadt zu laut ist, der kann ja ins Wannental ziehen. Dort ist es garantiert ruhig, da kann man durchschlafen, da schauen fast ganz sicher keine Vandalen vorbei – und garantiert pinkelt dort künftig auch keine Sau mehr wild herum.

 Fragen: Steffen Maier