Am 2. Juli soll im Agenten-Prozess das Urteil verkündet werden. Foto: dpa

Bundesanwaltschaft fordert siebeneinhalb Jahre. Offenbar geheime Dokumente an NATO und EU weitergeleitet.

Balingen/Stuttgart - Ein Maulwurf im niederländischen Außenministerium und USB-Sticks in Erdlöchern: Der Balinger Agentenfall klingt wie ein Filmskript. Der Bundesanwalt fordert klare Strafen für die Angeklagten.

Wegen jahrelanger Spionage drohen einem mutmaßlichen russischen Agenten-Ehepaar Strafen von mehreren Jahren. Die Bundesanwaltschaft forderte gestern vor dem Oberlandesgericht siebeneinhalb Jahre Haft für den Hauptangeklagten und viereinhalb Jahre für seine Frau. Der Vorwurf lautet auf »geheimdienstliche Agententätigkeit«. »Es gilt klarzustellen, dass der deutsche Staat eine Souveränitätskränkung solchen Ausmaßes in hohem Maße missbilligt«, betonte Oberstaatsanwalt Wolfgang Siegmund in seinem rund vier Stunden langen Plädoyer. Der Geheimnisverrat wiege schwer. Der Spionageprozess zählt zu den größten seit Ende des Kalten Krieges. (Az.: 4b - 3 StE 5/12)

Elitepolizisten der Anti-Terror-Einheit GSG 9 stürmten im Oktober 2011 im Marburger Stadtteils Michelbach in Hessen ein Einfamilienhaus und ertappten die Frau, als sie gerade verschlüsselte Nachrichten mit einem Funkempfänger absetzen will. Zeitgleich wurde ihr Ehemann in seiner Zweitwohnung in Balingen (Zollernalbkreis) festgenommen. Der Mann war bei einer Technologiefirma in einem Balinger Stadtteil beschäftigt.

Von den beiden Städten aus sollen die beiden getarnt als biederes Ehepaar mit den Aliasnamen Heidrun und Andreas Anschlag dem russischen Geheimdienst SWR über Kurzwelle, Satellit und Verstecke mehrere hundert geheime Dokumente zu NATO, EU und den Niederlanden zugespielt haben.

Nach Hochrechnungen Siegmunds waren es allein von 2008 bis 2011 rund 500 Unterlagen und Notizen. Dafür soll das Ehepaar zuletzt etwa 100.000 Euro jährlich kassiert haben.

Ein Mitarbeiter des niederländischen Außenministeriums besorgte die Dokumente. Viele waren »für den Dienstgebrauch«, hätten aber laut Bundesanwalt einen höheren Sicherheitsstatus haben müssen. Unter anderem ging es um Kosovo, Afghanistan und Libyen. Der Maulwurf ist inzwischen in den Niederlanden zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Andreas Anschütz habe ihn angeleitet, sagte Siegmund. »Er hatte die Aufgabe, den Mitarbeiter zum Strolch zu machen und durch Schmiergeld dafür zu sorgen, dass er ein Strolch blieb.« Die niederländischen Dokumente habe Anschlag auf USB-Sticks übertragen und dem russischen Geheimdienst unter anderem über genau festgelegt Erdlöcher – sogenannte »tote Briefkästen« – zugespielt.

Die wahren Identitäten der Eheleute kennt selbst das Gericht nicht. Nach Angaben in ihren österreichischen Pässen, die auf Basis falscher Urkunden ausgestellt wurden, haben sie südamerikanische Wurzeln. In Wirklichkeit sind sie wohl Russen und etwa über 50 Jahre alt. Die erwachsene Tochter soll von der Agententätigkeit der Eltern nichts gewusst haben. Als der Bundesanwalt sie im Plädoyer erwähnte, flossen bei der Mutter die Tränen.

Das Urteil könnte nach derzeitiger Planung am 2. Juli im Oberlandesgericht Stuttgart verkündet werden.