Die Richterin verhängt eine Geldstrafe von 7200 Euro. (Symbolfoto) Foto: dpa

Über Gehweg gefahren und Fußgängerin voll erfasst. Mann muss Geldstrafe zahlen.

Balingen/Rosenfeld - Der hochbetagte Mann läuft ganz langsam und gebeugt zur Anklagebank, gestützt auf eine Gehhilfe. Er kommt in Begleitung seiner Frau, einer Tochter und eines Enkelkinds. Seine ersten Worte zu Richterin Gekeler, nachdem diese ihn nach seinem Namen gefragt hat: "Ich bereue den Unfall, es ging so schnell." So schnell, und dann war eine Frau tot.

Vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässige Tötung lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft Hechingen, die am Freitag am Balinger Amtsgericht verhandelt wurde. Das Unfallgeschehen an sich ist unstreitig, diskutiert wird allerdings darüber, worin genau nun das Fehlverhalten, die Fahrlässigkeit des 87-Jährigen gelegen hat, das zu dem tragischen Tod einer 52-jährigen Rosenfelderin mit türkischen Wurzeln führte.

Es ist der späte Vormittag des 4. August 2018, als die Frau mit einer 42-jährigen Verwandten bei einem Spaziergang durch Rosenfeld unterwegs ist. Sie kommen an die Fußgängerampel an der Bickelsberger Straße nahe dem Autohaus Holweger, warten, es wird grün. Sie gehen rüber, grüßen noch den Bekannten, der zufälligerweise das erste Auto fährt, das an der Ampel wartet. Als die beiden Frauen fast schon den gegenüberliegenden Gehweg erreicht haben, passiert es.

Auto kam laut Zeugin "angerauscht"

Die 42-Jährige schildert als Zeugin vor Gericht, wie sie aus dem Augenwinkel bemerkte, dass ein Auto "angerauscht" kam. Nicht auf der Straße, sondern auf dem Gehweg, der kurz vor der Ampel in eine breite Hauseinfahrt übergeht. An den wartenden Wagen vorbei. Vor der Ampel wird es wieder nach links auf die Straße gelenkt. An der 42-Jährigen fährt es haarscharf vorbei, ihre Verwandte wird voll erfasst, etwa mit Tempo 50, wie der Sachverständige errechnet hat. Das Geräusch des dumpfen Aufpralls habe sie bis heute im Ohr, sagt sie unter Tränen. Die 52-Jährige wird davongeschleudert, der Sachverständige spricht vor Gericht nüchtern von einer "Längswurfweite" von 14 Metern. Die Frau stirbt wenige Tage später an ihren schweren Verletzungen im Schwarzwald-Baar-Klinikum Villingen-Schwenningen.

Wie konnte es zu diesem Unfall kommen? Warum lenkte der 87-Jährige seinen Wagen auf den Gehweg, anstatt zu bremsen und hinter den vor der Ampel stehenden Autos zu warten? Und warum fuhr er, als er auf dem Gehweg war, ausgerechnet wieder zurück auf die Straße – und dabei über den Fußgängerüberweg? Anstatt zu bremsen oder geradeaus zu fahren.

All diese Fragen kann der angeklagte Rosenfelder selbst nicht beantworten. An das Geschehen hat er keine Erinnerung. Vor dem Zusammenstoß sei er in der Apotheke gewesen, Medikamente holen, das wisse er noch. Er war dabei mit Hausschuhen unterwegs, die eigentlich fürs Autofahren verboten sind. Er kann nicht mehr sagen, ob er die rote Ampel, ob er die davor wartenden Autos wahrgenommen hat. Nach Darstellung des Sachverständigen hatte er freie Sicht an diesem Tag, und der 87-Jährige hätte auch ausreichend Zeit gehabt, abzubremsen.

Mit Hausschuhen von Pedalen abgerutscht?

Möglicherweise, das hatte der Angeklagte gegenüber seinem Anwalt geschildert, sei er mit seinen Hausschuhen von den Pedalen abgerutscht und habe deshalb nicht mehr bremsen können. Rechtsanwalt Ott geht allerdings eher davon aus, dass sein Mandant in dieser Situation eine "neurologische Ausfallerscheinung" erlitten habe. Warum auch immer habe er sich dazu entschieden, auf den Gehweg zu fahren. "Voll in Panik", überfordert und möglicherweise geistig weggetreten sei er dann zurück auf die Straße gefahren und habe auch die Fußgängerinnen nicht wahrgenommen.

Es ist kein Fall wie so viele andere, in denen fahrlässige Tötung im Straßenverkehr angeklagt ist. Zumeist geht es dabei um Überholvorgänge, die schlimm enden, oder Alkohol am Steuer. Um Raserei. Das aber liege bei seinem Mandanten alles nicht vor, sagt Anwalt Ott. Und deutet einen anderen "Schlüssel für das Geschehen" an, der seiner Meinung nach am schlüssigsten sei: das Alter des Mannes.

Jahrzehntelang war der Angeklagte ohne Auffälligkeiten im Straßenverkehr unterwegs. Seinen Führerschein machte er 1952. Nicht nur privat fuhr er Auto, auch berufsbedingt in Diensten des Rosenfelder Bauhofs. Muss man, kann man überhaupt als betagter Mensch erkennen, dass man besser nicht mehr Auto fährt? Es ist eine Frage, die immer wieder gestellt wird, wenn Senioren Unfälle verschulden.

Richterin: "Verhängnisvolle Kette in Gang gesetzt"

Man könne diese Frage stellen, so Rechtsanwalt Ott, aber fahrlässig im Sinne des Gesetzes sei es eben nicht, wenn man sich auch im hohen Alter noch ans Steuer setze. Er forderte deshalb einen Freispruch.

Richterin Gekeler sah es anders: Ihrer Meinung nach war es keine "Ausfallerscheinung" die zu dem tragischen Unfall führte. Sondern das Fehlverhalten des 87-Jährigen. Dieser habe ausreichend Zeit gehabt, zu bremsen – sein erster Fahrfehler habe eine "verhängnisvolle Kette in Gang gesetzt", an deren Ende das Zurücksteuern des Wagens auf die Straße und der Zusammenstoß mit der Fußgängerin gestanden habe. Strafbar als fahrlässige Tötung. Ein vorsätzliches Handeln erkenne sie aber nicht, so die Richterin, absichtlich rücksichtslos sei der 87-Jährige nicht unterwegs gewesen.

Gekeler verhängt eine Geldstrafe von 7200 Euro. Die von Staatsanwältin Gauß geforderte Freiheitsstrafe auf Bewährung komme nicht in Betracht, weil damit kein Einfluss auf das künftige Verhalten des 87-Jährigen genommen werden könne: Dessen Führerschein wurde nach dem Unfall sichergestellt. Er wolle ihn, das erklärte er am Freitag vor Gericht, auch nicht wiederhaben. Das Auto sei verkauft: "Ich fahre nie wieder."