Walter Zanker, Vorstand der Balinger Wohnbau, steht auf dem Mühltor-Areal in Balingen. Dort wollen die Wohnbau und die Stadt Balingen gemeinsam ein großes Projekt stemmen, das nun allerdings durch archäologische Funde bedroht ist. Foto: Maier

Wohnbau steckt im Denkmal-Dilemma - und die Stadt mit dazu. Hilft ein Schreiben an Minister Schmid?

Balingen - Anfang Juli konnte Walter Zanker noch lachen. Vor rund zwei Monaten rückten die Denkmalpfleger aus Stuttgart an, um auf dem Gelände rund um die ehemalige Schlosserei Herter in Balingen nahe der Eyach zu sondieren, ob sich im Boden historisch bedeutsame Überreste, unter anderem des früheren Gerberviertels und der Stadtmauer, befinden. Für ein Foto ließ sich Zanker, Vorstand der Balinger Wohnbaugenossenschaft, damals mit den alten Steinen ablichten. Die Graber wurden fündig.

Seitdem lacht Zanker nicht mehr. Und auch bei der Stadtverwaltung ist man darüber irritiert, was die Funde, die streng genommen nicht neu sind, auslösen: Es geht um hohe Kosten und nun auch darum, ob die Wohnbau die geplante Bebauung in Fortführung zum Viertel Klein-Vendig überhaupt noch angeht – und ob damit ein weiteres wichtiges Balinger Projekt, das aufwändig gemeinsam mit der Stadt geplant wurde, platzt. Genau danach sieht es derzeit aus.

"Chance auf fachgerechte archäologische Untersuchung"

Der Grund dafür, dass das Projekt infrage steht, ist der Umfang, mit dem das Landesdenkmalamt der Geschichte auf den Grund gehen will. Die Denkmalschützer wollen auf dem Mühltor-Areal, wo seit dem Mittelalter bis in die Neuzeit Müller und Gerber ihre Handwerke verrichteten, die Besiedlungsgeschichte rekonstruieren. Dort bestehe erstmals in der Stadt Balingen die "Chance auf eine fachgerechte flächige archäologische Untersuchung".

Wie genau das vonstatten gehen soll, das wurde Walter Zanker in einem Schreiben mitgeteilt. Der Inhalt versaute ihm den Sommerurlaub. Neun Monate lang sollen die Grabungsarbeiten dauern, drei Monate sollen sie während des Winters ruhen. Zwölf Monate Buddelei, das bedeutet ein Jahr Verzögerung mit dem Bau. Dem Schreiben angefügt war auch ein Kostenvoranschlag: 300.000 Euro würden die Grabungen kosten – nicht das Landesdenkmalamt, sondern die Wohnbau, die als Grundstückseigentümerin und Bauherrin für die Bergung und Dokumentation der historischen Überreste verantwortlich ist und dafür aufkommen müsste, sobald sie mit dem Bau beginnt (siehe Info).

Zu den Gehältern für die Archäologen, die die Wohnbau übernehmen müsste (schon die jetzt getätigten Probebührungen schlagen mit rund 8000 Euro zulasten der Wohnbau zu Buche), kommen laut Zanker Sach- und Nebenkosten, und obendrauf die Kosten, die aufgrund der steigenden Baupreise während der einjährigen Verzögerung des Projekts durch die Grabung entstehen. Alles in allem rechnet Zanker mit 464 000 Euro. Bei einer geplanten Wohnfläche von 1700 Quadratmetern bedeutet das eine Kostensteigerung von 275 Euro pro Quadratmeter.

Zanker sagt: "Das ist Wahnsinn." Er findet den Aufwand der geplanten Grabungen und die Höhe der Kosten "unzumutbar". Da hilft es auch nichts, dass eine Mitarbeiterin des Landesdenkmalamts ihm sagte, er solle das mit den Kosten und der Bauverzögerung "leicht nehmen": "Schließlich graben wir für Sie!"

Von einem "überzogenen Vorhaben" spricht auch Baudezernent Ernst Steidle. Steidle versichert, dass ihm die Belange des Denkmalschutzes durchaus am Herzen liegen. Im Fall des Mühltorplatzes aber müsse man genau prüfen, ob der Aufwand berechtigt sei. Schließlich seien die Dinge, die nun dokumentiert werden sollen, schon lange bekannt und im Stadtarchiv auch erfasst. In einem Schreiben bat Steidle das Landesdenkmalamt, die Intensität der geplanten Grabung in Balingen zu überdenken. Die Denkmalschützer antworteten nüchtern, dass sie an dem Vorhaben festhalten wollen.

Für Steidle ist die Lage auch deshalb problematisch, weil die Stadt bei dem Projekt dabei ist. Während die Wohnbau Häuser bauen will, plant die Stadt drumherum einen neuen Platz. Es wäre die Vollendung der in den 1990er-Jahren begonnenen Sanierung des zentralen innerstädtischen Quartiers Klein-Venedig, das mittendrin liegt in der Gebietskulisse der Gartenschau im Jahr 2023.

Weil das Vorhaben so wichtig ist und eigentlich genau auf Linie der Landespolitik liegt, wonach Baulücken in Innenstädten geschlossen werden und Wohnraum geschaffen werden soll, hat sich die Stadtverwaltung mit einem Brief an den baden-württembergischen Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) gewandt, der qua Amt oberster Denkmalschützer im Land ist. Man müsse in diesem Fall, so Steidle, die Interessen des Denkmalschutzes sorgfältig gegen die Interessen der Wohnbau und der Stadt abwägen. Seiner Meinung nach könne es nicht sein dass Belange des Denkmalschutzes ein für Balingen so bedeutendes Projekt verhindern.

Denn genau danach sieht es – Stand heute – aus: Man versuche alles, damit das Vorhaben am Mühltor nicht scheitert, aber bleibe es bei der ungeteilten Kostenforderung an die Wohnbau, dann werde das Projekt storniert, sagt Walter Zanker. Die Folge wäre, dass das Mühltor-Areal wohl auf längere Zeit brachliegt. Sobald dort ein Bagger anrollte, hätten die Denkmalschützer den Fuß in der Tür – und wer auch immer dort baute, müsste wiederum die Kosten für die Grabungen übernehmen. "Das Ganze ist ein Witz", sagt Walter Zanker. Aber eben einer, über den er nicht lachen kann.

Info: Wer bezahlt?

Die Lage, in der die Wohnbau steckt, droht jedem Grundstückseigentümer und jedem Bauherrn. Eigentümer und Besitzer von Kulturdenkmalen sind nach dem Denkmalschutzgesetz zu deren Erhaltung und Pflege verpflichtet. Diese Pflicht umfasst bei archäologischen Denkmalen, die oft zufällig im Boden gefunden werden, die Erhaltung der Denkmalsubstanz und ihres Befundzusammenhangs. Kommt es durch ein Bauvorhaben zur Zerstörung des Bodendenkmals, muss eine Rettungsgrabung zur Bergung und Dokumentation der Funde erfolgen.

Bezüglich der Kosten gilt das sogenannte Veranlasserprinzip: Wer als Bauherr wirtschaftlich aus einer Baugenehmigung Nutzen ziehen will, ist finanziell zur Rettung dessen verantwortlich, was durch seine Tätigkeit in Mitleidenschaft gezogen wird – so wie nun die Wohnbau. Das Landesdenkmalamt spricht indes von einer "eigentümerfreundlichen Regelung": Die Höhe der Kostenbeteiligung werde zugunsten der Denkmaleigentümer auf in der Regel fünf bis sieben Prozent der Investitionskosten beschränkt; für Privatleute sind dabei, anders als für gewerbliche Bauträger wie die Wohnbau, Zuschüsse möglich.

Das Veranlasserprinzip gilt in Baden-Württemberg seit dem Jahr 2012 – davor hatte das Land die Kosten für die Sicherung von archäologischen Denkmalen übernommen. Seitdem, so heißt es, graben die Denkmalschützer deutlich häufiger.