Die Plettenbergschule ist das einzige Ausbildungszentrum für Physiotherapie im Zollernalbkreis. Bei der schriftlichen Prüfung soll es dort zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Foto: Schnurr

Schüler kannten Fragen offenbar im Voraus. Angehende Physiotherapeuten ließen "Top-Secret"-Mails kursieren.

Balingen-Engstlatt/Tübingen - Das Regierungspräsidium Tübingen (RP) hat die im August von 46 angehenden Physiotherapeuten an der Plettenbergschule in Engstlatt abgelegten Prüfungen für ungültig erklärt und die mündlichen Prüfungen im September abgesagt. Die Behörde geht davon aus, dass die Antworten zu allen Fragestellungen im Vorbereitungsunterricht besprochen wurden.

Einige der Schüler haben dem RP inzwischen eine Erklärung vorgelegt. Sie behaupten, dass Ablauf und Durchführung der Prüfung "absolut regelkonform" gewesen seien, dass die Lerninhalte aus "seriösen und zulässigen Quellen stammen" und die Schülergemeinschaft sich "keiner Schuld bewusst" sei. Das RP bleibt aber dabei: "Die vorgelegten Dokumente lassen keine anderen Schlüsse zu, als dass die Aufgabenstellung bekannt war", steht in einem Schreiben des RP, das unserer Zeitung vorliegt.

Zwar hält sich das RP mit Schuldzuweisungen gegenüber den Schülern zurück, gibt ihnen gebührenfrei die Chance, im November erneut zur Prüfung anzutreten, erhebt aber den Vorwurf einer "gewissen Mitwisserschaft". Tatsächlich kursierten unter den angehenden Physiotherapeuten schon Wochen vor dem Prüfungstermin E-Mails, die unserer Zeitung und auch dem RP vorliegen und in denen die schriftlichen und mündlichen Prüfungsthemen in Spezieller Krankheitslehre (SKL) genannt werden. Die Betreffzeile lautet "TOP SECRET", im Text heißt es: "So dank der hartnäckigen A-Klasse haben wir jetzt alles!!! Unglaublich aber wahr." Und vor dem abschließenden Gruß, garniert mit vier Smileys: "Danke Birgit".

Gemeint ist damit möglicherweise die Schulleiterin Birgit Schultheiß. Die Physiotherapeutin und Pädagogin ist seit 1994 Leiterin der staatlich anerkannten Plettenbergschule GmbH, seit 2008 auch ihre Inhaberin und betreibt zudem mehrere eigene physiotherapeutische Praxen, die auch als Kooperationspartner der Schule fungieren. In ihrem Prüfungsvorbereitungsunterricht sollen die Fragen an die Schüler gelangt sein.

Die Plettenbergschule, das einzige Ausbildungszentrum für Physiotherapie im Zollernalbkreis, hatte im Juni, basierend auf den Fragen, die sie bei den Dozenten und Lehrern vorher eingesammelt hatte, dem RP zwei Vorschläge (Version A und B) für den schriftlichen Teil des Examens eingereicht. Das RP wählte Version A und teilte dies der Schule mit einem Schreiben vom 5. Juli mit. Die schriftliche Prüfung fand dann am 22. und 23. August statt. Die mündlichen Prüfungen waren für Montag, 23. September, angesetzt. Am Freitag, 20. September, erreichte die Schüler eine E-Mail der Plettenbergschule, in der sie darüber informiert wurden, dass der Prüfungstermin vom RP abgesagt wurde.

Das RP hatte zwischenzeitlich Dokumente vorliegen, die einen "zunächst begründeten Verdacht" für mögliche Unregelmäßigkeiten aufkommen ließen. Zum Beispiel "Aufschriebe, die die Fragestellungen der später gestellten schriftlichen Prüfung wortwörtlich enthalten", und: Auch die Version B mit den Fragen aller vier Fächergruppen hatten die Schüler sich notiert. Das RP ließ sich deshalb alle Ergebnisse zuschicken und verglich sie mit Notizen aus dem Prüfungsvorbereitungsunterricht der Schulleiterin. Ergebnis: "weitere Auffälligkeiten", insgesamt "ein wesentlicher und gravierender Verstoß" gegen die Prüfungsordnung.

Benjamin Haenle, Geschäftsführer der Plettenbergschule, bestätigte, dass die Prüfung für ungültig erklärt wurde. Warum, das wisse er aber nicht, er könne es sich nicht erklären. Von Seiten des RP habe er nichts Schriftliches vorliegen.

Schulleiterin Birgit Schultheiß sprach gestern gegenüber unserer Zeitung lediglich von einem "Verdacht" des Regierungspräsidiums und versicherte: "Wir versuchen, das aufzuklären, wir sind kooperativ." Aus ihrer Sicht unterscheiden sich die Prüfungsergebnisse aber nicht von denen der Vorjahre: "Da ist doch gar nichts Auffälliges."

"Ich kenne die Mail", räumte Schultheiß zudem ein. Diese habe aber "keine rechtsgängige Bedeutung" und sei nichts, worauf sich das RP in irgendeiner Weise stützen könne: "Ich habe die Schüler auf die Mail angesprochen. Die haben sich aber sehr bedeckt gehalten. Was weiß ich, wie die an die Fragen rangekommen sind." Das "Danke Birgit", so Schultheiß, könne ja auch zynisch gemeint sein. "Gerüchte" gebe es viele.

Die Schüler bezahlen für die dreijährige Ausbildung in Engstlatt bei der Anmeldung 200 Euro, monatlich 400 Euro und für die Anmeldung zur Prüfung noch einmal 700 Euro. Viel Geld, um den Titel "Staatlich anerkannter Physiotherapeut" zu erlangen. Viele versuchen, diesen Abschluss auf dem zweiten Bildungsweg zu erreichen, sind Umschüler, werden von ihren Eltern finanziell unterstützt oder beziehen Bafög. Insgesamt gibt es 34 staatlich anerkannte Physiotherapie-Schulen in Baden-Württemberg.