Ein Klassiker auch für Klassikmuffel. Eigenproduktion in Stadthalle überzeugt.
Balingen - Göttervater Jupiter im Donald-Trump-Style, Plutos Diener mit Desinfektionsmittel und Jugendliche, die sich mit dem Zustand der Welt nicht einfach so abfinden mögen – die Balinger Version der Operette "Orpheus in der Unterwelt" hat am Freitagabend so einiges durcheinander gewirbelt. Und den Besuchern mächtig Spaß bereitet.
Klassische Stücke sind nicht jedermanns Sache. Doch wenn mythologische Vorlagen einen modernen Anstrich bekommen, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch Klassikmuffel ihr Vergnügen haben. Zumindest dann, wenn die modernen Elemente nicht aufgesetzt wirken. Ganz so, wie es bei der aktuellen Eigenproduktion der Stadthalle Balingen der Fall ist, die am Freitag Premiere feierte.
Ganze Arbeit geleistet
Regisseurin Gillian Hughes und ihr Team haben in den vergangenen Monaten ganze Arbeit geleistet. Die kreativen Köpfe haben ihren Gedanken freien Lauf gelassen, junge Menschen wurden in den Entwicklungsprozess mit einbezogen und haben dabei so manchen wertvollen Impuls gegeben. Die Suche nach dem Olymp über Smartphone und Google Maps entstand beispielsweise erst wenige Tage vor der Premiere als kurzweilige Pauseneinlage. "Die Sorgen und Gedanken der Jugend sind uns wichtig, wir zeigen aber auch, dass die Jugendlichen selbst keine Heiligen sind", sagt Hughes.
Herausgekommen ist am Ende eine Orpheus-Inszenierung, die Tiefgang hat und gleichzeitig sehr viel Spaß macht. Davon konnten sich die Besucher am Freitagabend selbst überzeugen. Neben den hervorragenden Solisten und dem stimmgewaltigen Opernchor haben vor allem die Einlagen der Schüler und die klug verteilten Spitzen der Hauptrollen für Abwechslung gesorgt. Die schauspielerische Leistung war nicht von schlechten Eltern, auch wenn natürlich nicht jeder ein Profi wie Berthold Biesinger ist. Der "Lindenhofbub der ersten Stunde" setzte als Hans Styx alias Plutos Diener einen der vielen Glanzpunkte.
Schon zu Beginn der Vorstellung zeigten Schüler aus Balingen und Mössingen, was Sache ist. Mit Transparenten wie "Fischer Fritz fischt Plastik" oder "Die Zukunft ist aussichtsloser als mein Mathe-Abi" stürmten die jungen Menschen quer durch den Saal auf die Bühne und machten der "Fridays for Future"-Bewegung alle Ehre.
Politischer Sprengstoff
Dass bei allem politischen Sprengstoff, den die Auseinandersetzung der Generationen über die Zukunft der Erde beinhaltet, das eine oder andere auch mit einem süffisanten Unterton präsentiert wurde, machte die existenzielle Diskussion umso unterhaltsamer. So war auf einem anderen Plakat beispielsweise auf Englisch zu lesen: "Dieser Planet wird heißer als Didi Schöller-Manno." Der musikalische Leiter und seine Musiker der arcademia sinfonica hatten sich zu diesem Zeitpunkt längst auf Betriebstemperatur gebracht und zeigten sich ebenso spielfreudig wie die Sänger auf der Bühne.
Allen voran die gut aufgelegten Solisten: Carla Frick füllte die Rolle der Eurydike voll aus und gab ihr eine moderne, selbstbewusste Note. José Carmon musste sich als Musiklehrer Orpheus mit den sozialen Medien und der Stimme der öffentlichen Meinung herumschlagen. Vladislav Pavliuk mimte den tier- und Eurydike-liebenden Bio-Bauern Aristeus, der sich später als Pluto, Herrscher der Unterwelt, offenbart, authentisch und mit viel Energie. Teuflisch gut war auch Göttervater Jupiter, der von Frazan Adil Kotwal verkörpert wurde und einige unverkennbare Ähnlichkeiten mit Donald Trump mit sich brachte.
"Uns war es wichtig, die Anliegen der jungen Generation in das Stück zu integrieren, ohne dass Offenbach untergeht", betonte Gillian Hughes. Das ist geglückt!
Wer die Premiere verpasst hat, hat noch zwei Möglichkeiten, die Eigenproduktion der Stadthalle zu erleben: an diesem Sonntag ab 16.30 Uhr und am Dienstag, 10. März, ab 19.30 Uhr.