Stellen auf dem BVL-Kongress in Würzburg ihr Lernspiel vor (von links): Jochen und Katharina Brandelik und Heiko Holz. Foto: Privat Foto: Schwarzwälder Bote

Bildung: Katharina und Jochen Brandelik haben ein Spiel für Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche entwickelt

Balingen/Tübingen. Angenommen, es gibt ein Märchenland, das Prosodiya heißt, und das unter einer dichten Nebeldecke liegt. Und angenommen, dass Kinder, die eine Reise durch dieses Land unternehmen und denen es gelingt, am Drachenhort und am Glasblütensee vorbeizukommen und dabei den Nebel zurückzudrängen, Lesen und Schreiben lernen. Katharina und Jochen Brandelik haben zusammen mit den Informatikern Heiko Holz und Benedikt Beuttler und in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen ein Lernspiel für Tablets und Smartphones entwickelt – speziell für Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwäche.

Katharina Brandelik hat an der Uni Tübingen über Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) promoviert. Mit den Sorgen und Nöten von Familien mit LRS-Kindern sah sich Jochen Brandelik, Geschäftsführer des gleichnamigen Balinger Lernforums, immer wieder konfrontiert. Er und sein Team aus Lerntherapeuten unterstützen betroffene Kinder seit 1998 durch Lerntherapie. "Uns wurde klar, dass das Problem in der richtigen Betonung der Wörter liegt", sagt er. "Kinder mit LRS haben Schwierigkeiten, die Betonung wahrzunehmen."

Genau hier galt es, bei der Förderung anzusetzen. Und wenn, dann digital. Vor fünf Jahren haben sie mit der Entwicklung der App angefangen. "Es gab zu dem Zeitpunkt für LRS nichts Zeitgemäßes, das digital und wissenschaftlich fundiert war", sagt Brandelik. Über die Uni Tübingen wurde ein "Exist-Gründungsstipendium" beantragt – und zugesagt.

"Die Bedingung war, dass wir binnen zwei Wochen einen Informatiker finden", erinnert er sich. "Wir haben Heiko Holz gefunden, er kam ins Team, hat die technische Leitung übernommen und das Programm adaptiv gemacht." Das heißt, es passt sich an die jeweilige Entwicklung und damit die Bedürfnisse des Kindes an.

Dann habe man losgelegt, über das Gründungsstipendium habe man Kontakt zu Game-Designern bekommen, Das sei wichtig gewesen: "Es war Neuland, es gab zwar solche Spielchen, aber die waren grafisch nicht schön umgesetzt. Wir wollten ein Lernspiel, das auch gut aussieht und Spaß macht."

Was es bis dahin gegeben habe, sei analog gewesen, oder man habe Bestehendes genommen und es digitalisiert. "Wir haben es komplett neu entwickelt und im Lernforum mit Kindern getestet." Unterstützung kam von Digital Content Funding, der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, die Entwickler von interaktiven und crossmedialen Inhalten fördert.

Einer professionellen Umsetzung stand so nichts mehr im Wege: Das Team konnte mit Benedikt Beuttler als Game Developer verstärkt werden, und eine Kooperation mit dem bekannten Zeichner Daniel Lieske wurde erreicht: "Wir dürfen die Hintergründe aus seinen Comics The Wormworld Saga für unser Spiel verwenden."

Die Idee kam an: Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gab es Fördermittel, um das Lernspiel weiterzuentwickeln. Bei einem Treffen mit der Wissenschaftsministerin und bei Fachkongressen hat Katharina Brandelik für Prosodiya geworben, hat einen Wissenschaftspreis für ihre Arbeit bekommen.

Im November wurde den Machern von Prosodiya der "Gala Award for Serious Games" verliehen. Bei der Spiele-Messe "gamescom" wurde es präsentiert. Und mittlerweile promovieren Heiko Holz und Benedikt Beuttler an der Uni Tübingen – über Prosodiya. Für das Vorhaben wurde eigens eine Firma gegründet: die "TIL GmbH". Das steht für "Tübinger Institut für Lerntherapie". Es sei eine gemeinsame Ausgründung der Uni Tübingen und des Lernforums, sagt Brandelik.

Derzeit gibt es eine Beta-Version von Prosodiya. Bunte Comics-Figuren arbeiten sich durch Silben und Wörter über verschiedene Levels – und kommen nur ans Ziel, wenn der Spieler richtig betont. "Für das achtwöchige Trainingsprogramm suchen wir Probanden aus Klassenstufe zwei bis vier", sagt Jochen Brandelik. "Kinder, die LRS haben, oder Partnerschulen, die mit ganzen Klassen teilnehmen möchten. Es wäre cool, wenn sich jemand melden würde. Die Teilnahme an der Studie kostet nichts." Es geht darum, nachzuweisen, dass die Therapie erfolgreich ist.

Im Sommer, schätzt Jochen Brandelik, werde es die erste marktreife Version geben. Übrigens: Prosodiya gibt es parallel dazu auch analog, mit bunten Comics-Figuren und erklärenden Karten, in einer Holzkassette, für den Einsatz an Schulen. Hergestellt wird es in den ISBA-Werkstätten, und an verschiedenen Schulen wird es bereits von Lerntherapeuten verwendet.

Weitere Informationen: Telefon 07433/9 99 35 70