In öffentlicher Sitzung sagten gestern weitere Zeugen aus. Foto: Archiv

Prozess gegen 36-Jährige und 42-jährigen Noch-Ehemann geht weiter. Großeltern durften Enkel nicht sehen.

Hechingen/Balingen - War sie nur eine übertrieben fürsorgliche Mutter, die ihre Kinder möglichst lange unter ihren Fittichen halten wollte und keine äußeren Kontakte und Einflüsse gestattete? Litt sie deswegen unter Waschzwang? Und hatte sie ihren Mann tatsächlich so unter dem Pantoffel, dass der sie einfach schalten und walten ließ und ihr blind vertraute? Im Prozess gegen eine 36-Jährige und ihren 42-jährigen Noch-Ehemann, deren kleine Tochter bei der ganzen Abschottung unbemerkt zu verhungern drohte, sagten am Donnerstag vor dem Hechinger Amtsgericht weitere Zeugen aus.

Der Schulleiter aus dem Ort, wo die Familie anfangs gewohnt hatte, erzählte von den Einschulungsterminen der beiden älteren Kinder des angeklagten Ehepaars. Bei der ersten Tochter seien beide Eltern gekommen und hätten beantragt, das Kind zurückzustellen. Er habe festgestellt, dass das Mädchen schulreif sei und eingeschult werden müsse. Daraufhin hätten die Eltern eine Schulbezirksänderung beantragt. Die sei genehmigt worden, das Kind sei an der Waldorfschule angemeldet worden. Aber dort sei es nicht lange geblieben, weil man täglich Hände schütteln musste – und dabei hätten ja Krankheitskeime übertragen werden können.

Zum Einschulungstermin des ein Jahr jüngeren Sohnes sei die Mutter allein erschienen. Sie habe auch in diesem Fall gebeten, das Kind noch einmal zurückzustellen. Das hätte er auch getan, sagte der Schulleiter im Zeugenstand, vorausgesetzt, das Kind hätte einen Kindergarten oder eine Eingangsklasse besucht. Die Mutter lehnte ab. Sie selbst könne das Kind am besten fördern, habe sie erklärt und unter Tränen gebeten, ihr das Kind nicht "wegzunehmen". "Da haben bei mir die Alarmglocken geläutet, und ich habe das Jugendamt informiert", sagte der 62-Jährige.

Die Eltern des Angeklagten zeichneten ein düsteres Bild: Anfangs seien sie froh gewesen, dass ihr Sohn eine Frau gefunden habe und "dass wir Oma und Opa wurden". Aber das Verhältnis sei von Anfang an "nicht so herzlich gewesen", wie sie sich das gewünscht hätten. "Wir durften die Kinder kein einziges Mal auf den Arm nehmen. Die Frau konnte die Kinder einfach nicht loslassen. Sie dachte, nur sie macht es richtig", sagte die 70-jährige Mutter. Den Enkelsohn habe sie nie nackt sehen dürfen, "ich hätte nicht sagen können, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist".

Die jüngste Enkeltochter, die mittlerweile in einer Pflegefamilie lebt – den Eltern wurde das Sorgerecht wegen "akuter Gefährdung des Kindeswohls" entzogen worden –, habe sie nur von Fotos gekannt, denn davor sei es zum Bruch gekommen: Ihre Schwiegertochter habe nämlich geglaubt, dass sie es gewesen waren, die das Jugendamt eingeschaltet hatten. Ab dem Zeitpunkt habe man die Schwiegertochter und deren Familie nicht mehr getroffen, Besuche seien unerwünscht gewesen, Geschenke auch. Ab und zu sei der Sohn vorbeigekommen – ohne Kinder, die habe er nicht mitbringen dürfen, weil die Frau sonst "ausgerastet" wäre. Zuweilen sei sie dann aggressiv geworden. "Wir durften nicht Oma und Opa sein, so, wie wir uns das gewünscht hätten", sagte die Zeugin.

Das ging so, bis der Sohn anrief und mitteilte, dass die kleine Tochter schwer krank im Krankenhaus liege, Hände und Füße seien geschwollen, sie habe einen Ausschlag im Genitalbereich und sei stark abgemagert. Anzeichen habe es gegeben, sagte die Mutter des Angeklagten im Zeugenstand. Auf den Fotos, die der Sohn bei seinen Besuchen mitbrachte, habe man die Kleine nie lachen gesehen, auf dem Bild, das die Kleine in der Badewanne zeigt, könne man die geschwollenen Hände und Füße erkennen.

Die Familie der Angeklagten zeichnete ein ganz anderes Bild: Von "liebevollem Umgang" war die Rede, von einer "glücklichen Ehe". Die Kleine habe sehr wohl auch gelacht. Und von "Waschzwang" könne keine Rede sein.

Die Verhandlung wird am Mittwoch, 19. November, ab 9 Uhr fortgesetzt.