Riss die Zuhörer buchstäblich von den Sitzen: Bernhard Hub hatte für den Tag der seelischen Gesundheit das Thema "Embodiment" im Gepäck. Das Publikum konnte an Ort und Stelle Übungen machen, die er in der täglichen Praxis im Vinzenz-von-Paul-Hospital seinen Patienten empfiehlt. Fotos: Thiercy Foto: Schwarzwälder Bote

Soziales: Rappelvolle Balinger Stadthalle beim Tag der seelischen Gesundheit / Vorträge, Theater und Austausch geboten

Die Depression hat ein Gesicht: Rolf heißt der Protagonist im Stück des Zürcher Theaters Knotenpunkt. Die Schauspieler zeigten am Samstag beim Tag der seelischen Gesundheit in der Balinger Stadthalle den dunklen Alltag mit der großen Traurigkeit. Und suchten gemeinsam mit dem Publikum danach Wege aus dem Tief.

Balingen. Simple Rückenschmerzen, Stress, sich einigeln – Bernhard Rewes kennt die vielen Gesichter psychischer Erkrankungen aus der eigenen Praxis. Er begrüßte in Vertretung des Schirmherrn, des Balinger Oberbürgermeisters Helmut Reitemann, die Besucher und fasste den Kerngedanken des von Selbsthilfegruppen und der Kontaktstelle KIGS unter Leitung von Renate Liener-Kleinmann und Isabella Manos initiierten Veranstaltung: Arzt, Psychologe und Selbsthilfegruppen helfen gemeinsam, einen gesunden Umgang mit der Krankheit zu finden.

Von der laut Robert-Koch-Institut bundesweit 2,6 Millionen Menschen betroffen sind – die Dunkelziffer nicht mitgerechnet.

Was das Team auf die Beine gestellt hatte, glich schon einer Fachtagung. An den Ständen stellten sich die einzelnen Selbsthilfegruppen dar, auf der Bühne gab es Infos aus erster Hand. Von Carola Kleinschmidt zum Beispiel. Die Hamburger Wissenschaftsjournalistin und Autorin recherchiert seit Jahren zum Thema Burnout. Und weiß aus Interviews mit Betroffenen: "Ein gutes Leben nach Burnout, nach einem psychischen Tief ist möglich."

Seit Jahrzehnten sei der wichtigste Silvesterwunsch der Deutschen: "weniger Stress". Was scheinbar nicht umgesetzt werden kann, auch nicht bei den Nachbarn aus Italien, denen man ja per se ein entspanntes Leben nachsage. Warum? Kleinschmidt erklärte anschaulich die biologischen Zusammenhänge im Körper. Der ist nun mal weltweit so gebaut, dass der Hormonspiegel bei Stress dafür sorgt, sich nur auf das Problem zu fokussieren. Taucht beim Autofahren ein Reh auf der Straße auf, bremst man in Sekundenbruchteilen, sieht nur noch das Tier. Unfall vermieden, durchatmen.

Doch wenn der Stress nie nachlässt? Dann sieht man irgendwann nur noch Probleme und Gefahren. Hält nicht mehr an, um Luft zu holen. Und rauscht sehenden Auges in Depression, Burnout oder Angsterkrankung. Kleinschmidt sieht darin auch eine gesellschaftliche Dimension. Menschen, die zum Beispiel in Chemnitz auf die Straße gehen, hätten nur noch einen Frustblick, verursacht durch psychischen Stress. "Taucht dann etwas Fremdes auf, wird nur noch das gesehen."

"Wir müssen auch ein Tabu brechen", rief die Referentin in Balingen auf. "Psychische Probleme sind nämlich ganz menschlich." In ein gesundes inneres Schwingen zu kommen, sei zwar kein Spaziergang, aber ein machbarer Weg. Als ein Beispiel gab sie den Zuhörern mit, sich einen so genannten "heiligen Termin" zu machen. Tango, Sport, was einem eben Freude macht. Neigt man dazu, diesen zu verschieben, weil die Arbeit vermeintlich wichtiger ist, sei das ein Alarmsignal. Dann gelte es, gesund "nein" zu sagen. In drei Schritten: Ja zu sich selbst, Ja zum Gegenüber oder dem Vorhaben und Nein zur auferlegten Aufgabe.

Wie Körper und Seele zusammenspielen, erlebten die Zuhörer beim Auftritt von Johannes Hub. Der Chefarzt des Rottenmünsters sorgte für jede Menge Bewegung im Saal, forderte die Leute zum Mitmachen auf. Es wurde gelacht, der Daumen nach oben gereckt, gemeinsam gesummt oder mit den Füßen gestampft. "Embodiment" nennt sich diese Schiene der Psychotherapie die meint, dass alle Organe bis auf die letzte Zelle auf Gefühle reagieren. Entspannung, Dankbarkeit und Achtsamkeit sind weitere Säulen, auf die er und sein Team in der Rottweiler Klinik setzen. Auch er hatte einen handfesten Tipp parat: "Stecken Sie sich jeden Morgen fünf Bohnen in die Hosentasche. Jedes Mal, wenn Sie für etwas dankbar sind, wandert eine Bohne in die andere Tasche."

Für die wohl größte Sitzung einer Selbsthilfegruppe, die es in der Region je gegeben hat, sorgte das Schweizer Theater. Rolf, eindringlich gespielt von Sören Ehlers, hat Depressionen. Die Truppe gab im Stück einen Einblick in das Familienleben. Und forderte dann das Publikum auf, selbst zum Beispiel in die Rolle von Ehefrau Barbara oder die des Arbeitgebers zu schlüpfen. Was können Angehörige, was Unternehmen tun? Die Schauspieler setzten die unzähligen Anregungen aus dem Publikum um.

Das Fazit des Tages zog eine Betroffene, die mutig zum Mikrofon griff. "Meine Krankheit gehört in die Therapie oder in meine Selbsthilfegruppe", sagte die Frau mit fester Stimme. "Meine Familie aber ist da, um sich mit mir zu freuen."