Eine Runde "Mensch ärgere dich nicht": Vincent Simonis und Naemi Stiller (vorne) spielen im Rahmen des Projekts "Abwechslung im Klinikalltag" mit Patienten der Geriatrie im Balinger Krnakenhaus. Die Lehrerinnen Michaela Mühlebach-Westfal (hinten links) und Ulrike Erath schauen zu. Foto: Maier Foto: Schwarzwälder Bote

Soziales: Schüler des Balinger Gymnasiums gestalten besondere Nachmittage für Patienten des Krankenhauses

Balingen. Vincent Simonis ist wohl das, was man einen aufgeweckten Jungen nennt. Als der erste Patient an diesem Nachmittag, ein älterer Mann mit Rollator, den Aufenthaltsraum im Balinger Krankenhaus betritt, kann’s der Zwölfjährige kaum erwarten. Simonis geht direkt auf ihn zu und fragt: "Soll ich Ihnen etwas vorlesen?" Der Senior ist etwas überrascht, setzt sich erst einmal, dann kommen weitere Patienten. Als alle am Tisch sitzen, geht’s los.

 

Es ist ein stinknormaler Mittwoch, für die Patienten der Geriatrie in Balingen ist es ein besonderer Nachmittag: Seit Anfang des Jahres kommen Schüler des Balinger Gymnasiums regelmäßig vorbei. "Abwechslung im Klinikalltag" heißt das Projekt. Es findet ganz unten im Klinikgebäude statt – in Sachen Anteilnahme, Herzlichkeit und Einsatz junger Leute kann man es indes nicht hoch genug ansiedeln.

Den Auftakt an diesem Tag gestaltet Naemi Stiller. Die 13-Jährige liest aus dem Märchenbuch der Gebrüder Grimm – "Doktor Allwissend". Ein recht unbekanntes Märchen, keiner der Senioren am Tisch kannte es bis dato. Eine offenkundig lustige Geschichte auch: Während Naemi Stiller liest, wird öfters gekichert.

Vorlesen ist mittlerweile ein Klassiker im Programm von "Abwechslung im Klinikalltag", das im ganz kleinen Rahmen im vergangenen Jahr begonnen hat. Zwei Schülerinnen, Verena Hahn und Laura Schlegel, hatten an den Kreativtagen des Balinger Gymnasiums die Idee, den Patienten im Krankenhaus Freude zu schenken. Sie bastelten und gestalteten Karten mit Genesungswünschen und verteilten diese in allen Stationen. Das kam gut an.

Passenderweise rief die Sparkasse Zollernalb im Sommer 2017 die dritte Auflage des Bildungswettbewerbs aus. Motto: "Integration und Teilabe – Chance für alle!" Dabei waren Projekte gefragt, mit denen der soziale und kulturelle Austausch zwischen den Generationen, zwischen Menschen mit und ohne Handicap und unabhängig der Herkunft gefördert werden sollte. Die beiden Lehrerinnen Michaela Mühlebach-Westfal und Ulrike Erath bewarben sich mit "Abwechlslung im Klinikalltag" – und erhielten eine Förderzusage.

Bis es tatsächlich losgehen konnte, musste indes einiges geklärt werden. Enorm hilfreich war dabei, dass Ulrike Erath nicht nur als Religionslehrerin am Gymnaisum, sondern auch als Klinikseelsorgerin tätig ist. Sie kennt die Leute, sie kennt die Strukturen, sie weiß, wie man so etwas am besten einfädelt. Im Februar ging’s los.

Seitdem sind ein Mal in der Woche Schüler des Gymnasiums zu Gast, nicht auf allen Stationen, sondern immer und ausschließlich in der Geriatrie. Dort werden ältere Patienten behandelt. Neben der Versorgung akuter und chronischer Krankheiten geht es auch um Prävention und Rehabilitation. Die Patienten sind oft länger dort. Einen Teil der Behandlung in Form von Unterhaltung, Animation, geistiger Herausforderung und Bewegung steuern die Schüler bei, auch und vor allem mitmenschlichen Kontakt.

In kleinen Gruppen besuchen die Fünft- bis Zwöltklässler die Senioren. Es wird gesungen, gebastelt und gemalt, es werden Witze erzählt. Die Schüler überlegen selbst, was sie am liebsten mit den oder für die Patienten machen wollen. Oft wird auch improvisiert. So wie an diesen Tag: Vincent Simonis liest ein Stück aus den "Montagsgedichten" von Erich Kästner, aber das Zuhören fällt den Patienten schwer. Dann wird eben schnell das große "Mensch ärgere dich nicht" herausgeholt. Als Simonis die Figur einer Patientin herausgekelt, sagt er ihr keck: "Pech im Spiel, Glück in der Liebe!" Die ältere Frau lacht: "Was? Das weißt du auch schon?"

Bis zu den Sommerferien stehen die Termine für "Abwechslung im Klinikalltag" fest. Schüler dafür zu finden sei kein Problem gewesen, sagen Michaela Mühlebach-Westfal und Ulrike Erath. Sie hoffen, die Nachmittage und damit auch das Miteinander zwischen dem Gymnaisum und dem Balinger Krankenhaus langfristig etablieren zu können. Eine Überlegung: Schüler der Klasse 9 könnten die Nachmittag künftig im Rahmen des Sozialpraktikums auf die Beine stellen und betreuen. Aus einer kleinen Idee würde damit eine festes Projekt.