Stadtarchivarin Yvonne Arras informiert über die Geschichte des Frauenwahlrechts. Foto: Thiercy Foto: Schwarzwälder Bote

Politik: Ausstellung in der Zehntscheuer eröffnet / Margarete Hauff erste Gemeinderätin in Eyachstadt

Balingen. "Helga Zimmermann-Fütterer wird für seine Verdienste im Kreistag…" – besagte Frau sorgte mit dieser Anekdote mit männlicher Anrede am Ende der Vernissage zu 100 Jahren Frauenwahlrecht in der Balinger Zehntscheuer für Lacher. Ausgestellt wurde diese Urkunde im Jahr 2009.

Vor genau 100 Jahren bekamen Frauen die Chance, zu wählen und sich wählen zu lassen. Ein Meilenstein für die Demokratie, wie Oberbürgermeister Helmut Reitemann sagte.

Stadtarchivarin Yvonne Arras habe ganz tief im Archiv gewühlt. Sie sei voller Elan ans Werk gegangen, um herauszufinden, wie die Balinger auf die Gesetzesänderung reagiert hatten. Der OB appellierte in diesem Zusammenhang zum Kreuzchenmachen am 26. Mai bei der Kommunal- und Europawahl. "Machen Sie alle vom Wahlrecht Gebrauch und stärken sie Europa." Dafür applaudierte auch Landrat Günter-Martin Pauli, ebenfalls in die Zehntscheuer gekommen.

Als sich Arras an die Arbeit machte, glaubte sie an unzählige Fundstücke. Und wurde enttäuscht. Denn das, was Frauen wie Clara Zetkin oder Helene Wessel erkämpft hatten, schwappte nur langsam auf die Zollernalb. Die Plakate mit kampfeslustigen Politikerinnen schienen in der Kreisstadt keine Wirkung zu zeigen. Warum die Zurückhaltung der Balinger? Arras ging in ihrem durchaus humorvollen Vortrag darauf ein, suchte Erklärungen. Material bekam sie auch aus Albstadt und Geislingen. Auch in der Lokalpresse wurde sie fündig.

So berichtete der "Balinger Volksfreund" zurückhaltend. Und: "Das Wahlrecht war neben vielen Reformen zur Presse- und Religionsfreiheit nur eine von vielen Änderungen in der damaligen Republik."

Von den Balinger Frauen kamen keine Jubelrufe und, so Arras, das Frauenwahlrecht "wurde von besonderen politischen Amtsträgern kategorisch abgelehnt." Dass sich Frauen für die Gemeinderatswahl aufstellen lassen können, wird damals mit keiner Silbe erwähnt. Die Balinger, witzelt Arras, könnten ja nichts dafür, dass auf einmal 37 Frauen in der Nationalversammlung säßen.

Solche Zahlen und Fakten hat sie seit Herbst recherchiert, abgeglichen, zu interpretieren versucht. Und zitiert einen Zeitgenossen: "Muss man sich Weiber auf dem Rathaus gefallen lassen?" Als Musterbeispiel nannte sie die Wahl in Frommern 1919. Frauen werden mit keiner Silbe als wahlberechtigt oder wählbar erwähnt, stattdessen heißt es: "Ihr Männer von Frommern, wählet Männer!"

Dennoch ließen sich in Balingen vor 100 Jahren zwei Frauen auf die Wahlliste setzen. Die 35 Jahre alte Eugenie Maier und die 59-jährige Metzgerwitze Christine Bames. Keiner gelang der Sprung in die Lokalpolitik, sie erhielten verschwindend geringe Stimmen. Warum aber votierten die Balinger nicht für die Frauen, fragte sich Arras. Waren sie eingeschüchtert? Oder glaubten sie an die Presseberichte, die da sagten: "Das Wahlrecht ist für die Frauen wie eine vorzeitig vom Sturm heruntergewehte Frucht."

37 Jahre mussten ins Land ziehen, ehe die erste Frau einen Sitz im Balinger Gemeinderat ergatterte. Margarete Hauff war die erste Lokalpolitikerin der Kreisstadt. Die Zeitungen von damals erwähnen sie mit keinem Buchstaben. Drei Jahre später, 1959, zog in Ebingen die erste Frau in den Rat ein. In Geislingen dauerte es bis 1989, ehe die erste Frau ein politisches Mitspracherecht bekam. Einen Pionier in familienfreundlichem Denken nannte Arras den Bürgermeister Albert Hagenbuch.

In den 1950ern war er der erste, der die Frauen der Herren Gemeinderäte zu Veranstaltungen einlud. Und ihnen die Teilnahme überhaupt erst ermöglichte. Denn wenn die Herren um 7 Uhr morgens zur ganztägigen Waldbegehung aufbrachen, waren ihre Frauen noch mit dem Versorgen der Kinder beschäftigt. Hagenbuch ließ die Damen zwei Stunden später mit einem Shuttle einsammeln und zur Gruppe bringen.

Frauenpower gab es am Samstagabend auch musikalisch. Lehrerin Gabriele Richter war mit ihren Mädchen von der Jugendmusikschule am Start. Fanny Zettel und Julia Roth spielten Flöte. Stephanie Wiesmath, Vanessa Baur und Julia Roth sowie Kathrin Leykam und Sonja Zirkel zeigten am Piano ihr Können.

 Die Ausstellung "100 Jahre Frauenwahlrecht" ist bis zum Weltfrauentag am 8. März zu sehen. Am 7. Februar findet ab 17 Uhr eine Führung statt. Bis Mai gibt es weitere Veranstaltungen.