Im Wandelgang der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule Balingen: Hier beginnt für Filmon Mihretab aus Eritrea am Montag ein neues Leben. Foto: Maier

Vor einem Jahr kam 22-Jähriger nach Balingen. Im Berufsschulzentrum beginnt für ihn neues Leben.

Balingen - Filmon Mihretab läuft am Mittwoch dieser Woche übers Gelände der Philipp-Matthäus-Hahn Schule, übern Schulhof, durch den Wandelgang, er sieht die Mensa und entdeckt dann ein Schild: "E" wie Elektrotechnik. "Da muss ich am Montag hin", sagt der 22-Jährige. Hier, am Berufsschulzentrum in Balingen, beginnt für viele Auszubildende in der nächsten Woche ein neuer Lebensabschnitt. Für Mihretab beginnt, das sagt er selbst so, etwas Größeres: ein neues Leben.

Filmon Mihretab kam vor etwas mehr als einem Jahr nach Deutschland, seit dem 18. Juli 2014, das Datum weiß er genau, lebt er in Balingen. Mihretab ist aus Eritrea geflohen, einem Land im Nordosten Afrikas, aus dem derzeit viele Leute, vor allem junge Leute, nur noch wegwollen.

Allgemein anerkannte Menschenrechte gelten dort wenig. Amnesty International spricht von einer Diktatur, die wirtschaftlichen Perspektiven sind mau, auf der Rangliste der Pressefreiheit liegt das Land weltweit auf dem 180., dem letzten Platz und damit noch hinter Nordkorea. Auch Filmon Mihretab hat es dort nicht mehr ausgehalten, wollte, wie er sagt, ein "normales Leben".

Seine Flucht in Richtung Europa begann im Oktober 2013, wenige Monate, nachdem er an der technischen Schule in der Stadt Nakfa die Ausbildung zum Elektriker abgeschlossen hatte. Über den Sudan, durch die Sahara und Libyen führte sein Weg, dann ging’s auf Wasser, übers Mittelmeer. In Italien angekommen zog er weiter nach Frankreich. Bei Straßburg überquerte er die Grenze zu Deutschland, wurde nahe Offenburg von Polizisten angehalten und offiziell als Flüchtling registriert. Nach einem Monat in der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe kam er an den Fuß der Schwäbischen Alb. "Es ist schön hier", sagte Mihretab.

Damit der Traum vom neuen Leben Wirklichkeit wird, hat er sich von Beginn an richtig reingehängt. Er lernte Deutsch, dabei wurde er auch von einem Balinger angetrieben, der ihm immer wieder sagte: "Wenn du etwas erreichen willst, musst du die Sprache beherrschen." Das hat Filmon Mihretab verinnerlicht. In Balingen besuchte er seit Ende 2014 die neu eingerichtete VAB-O-Klasse an der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule, die speziell für junge Flüchtlinge eingerichtet wurde. Sie lernen dort vor allem eines: Deutsch. Ziel ist es, die jungen Leute sprachlich auf die Arbeits- und Berufswelt vorzubereiten.

Er ist ein Beispiel dafür, dass es klappen kann

Filmon Mihretab ist ein Beispiel dafür, wie das klappen kann. Schon nach wenigen Monaten sprach er so passabel Deutsch, dass eine seiner Lehrerinnen, Gerlinde Bien, ihm einem Balinger Unternehmen als Praktikanten empfahl. 14 Tage lang schnupperte Mihretab bei Sicherheitstechnik König rein. In dieser Zeit stand in dem Betrieb auch der jährliche Ausflug auf dem Programm, Mihretab war dabei. Der Chef, Edwin König, schaute sich an, wie er mit den Leuten klarkam, und er merkte schnell: Der junge Mann aus Eritra gehört irgendwie schon dazu.

Edwin König ist überzeugt davon, dass die Flüchtlinge, die nach Europa, nach Deutschland kommen, hier nicht einfach auf ein schönes Leben hoffen. Im Gegenteil: "Sie wollen arbeiten, etwas erreichen." Das habe er bei Filmon Mihretab schnell gemerkt während der Praktikumstage: Der 22-Jährige sei keiner, "den man schieben muss, er strengt sich richtig an".

Das gab für König den Ausschlag, dem jungen Eritreer einen Ausbildungsplatz als Elektroniker, Schwerpunkte Energie- und Gebäudetechnik, anzubieten. Wichtig sei auch gewesen, sagt der Firmenchef, dass die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass Mihretab als Asylbewerber anerkannt werde, dass er auf Dauer hierbleiben könne: Schließlich wolle er nicht einfach einen billigen Azubi, sondern einen fachlich qualifizierten Mitarbeiter ausbilden, der möglichst lange im Betrieb bleibe.

König spricht damit Punkte an, auf die auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) und Handwerkskammer Reutlingen immer wieder, besonders aber in den vergangenen Wochen hingewiesen haben. 1056 junge Leute fangen in diesen Tagen im Zollernalbkreis eine Ausbildung an, bei der Suche nach Azubis haben Betriebe aber immer wieder Probleme, fähigen Nachwuchs zu finden – das Potential, das junge Flüchtlinge bieten, müsse stärker genutzt werden, auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels.

Die Kammern fordern deshalb schon länger, Flüchtlingen wie Betrieben eine verlässliche Perspektive zu bieten – beispielsweise durch die "3 + 2"-Regelung: Asylbewerber wie Filmon Mihretab, die noch kein dauerhaftes Bleiberecht haben, sollen für die Zeit der dreijährigen Ausbildung und für zwei anschließende Beschäftigungsjahre die Sicherheit haben, in Deutschland bleiben zu können.

"Unternehmen investieren in die Ausbildung junger Menschen und haben deshalb großes Interesse, die von ihnen ausgebildeten Fachkräfte im Unternehmen zu halten", sagt IHK-Präsident Christian O. Erbe. Gerade die duale Ausbildung sei eine der besten Möglichkeiten zur Integration von jungen Flüchtlingen, so Erbe weiter.

Die Befürchtung, dass er seine Ausbildung nicht zu Ende führen kann, hat Filmon Mihretab derzeit nicht. Seine Gedanken kreisen um den Montag. Er freut sich darauf, sich beweisen, eine Ausbildung beginnen zu können. Auf eine neue Zukunft.