Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges forderte die Bevölkerung mehr politisches Mitspracherecht, wie hier im November 1918 bei einer Versammlung im Schweinweiher in Ebingen. Fotos: Stadtarchiv Ebingen/Stadtarchiv Balingen /Stiegler Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Michael Walther spricht über die Folgen des Ersten Weltkrieges im Oberamt Balingen

Balingen. "Als ich jung war, habe ich in der Schule wenig über diese Zeit gelernt. Die Lehrer waren ja Soldaten im Zweiten Weltkrieg gewesen, und die Zeit zwischen 1914 und 1918 wurde im Unterricht ausgeklammert. Das will ich jetzt nachholen", sagt ein älterer Besucher im Balinger Landratsamt. Dort sprach Michael Walther im Rahmen der Vortragsreihe der Heimatkundlichen Vereinigung über die sozialen und politischen Umbrüche in der Folge des Ersten Weltkriegs im Oberamt Balingen.

Deutlich wurde dabei, dass die Faszination für den Ersten Weltkrieg und dessen unmittelbare Folgen für die deutsche Bevölkerung ungebrochen ist. Der Krieg ging vor 100 Jahren zu Ende, seine Auswirkungen waren indes noch lange wahrnehmbar. In den Köpfen vieler Menschen bis heute.

Walther erläutert die epochale Zäsur, die der Erste Weltkrieg in der deutschen Geschichte darstellt, in deren Folge die Stabilität des 19. Jahrhunderts zerbricht, aber auch die Möglichkeit zum Anstoß von politischen und sozialpolitischen Reformprozessen entsteht.

Zur Verdeutlichung dieser Veränderungen konzentriert sich Walther auf die Situation im Oberamt Balingen und stützt sich dabei auf zwei lokale Chronisten: den 1872 geborenen Lehrer Louis Landerer aus Balingen und den 1869 geborenen Ortschronisten und Heimatdichter Gottlob Friedrich Hummel aus Ebingen. Die Quellenlage sei schwierig für diesen Zeitabschnitt, die Gemeinderatsprotokolle wenig hilfreich und persönliche Notizen und Tagebücher kaum zu finden, so Walther.

Die Kriegsjahre hatten auch im Oberamt Balingen wirtschaftliche Einbrüche und eine mangelhafte Versorgung der Bevölkerung zur Folge. Viele Firmen und Betriebe litten während der vierjährigen Kriegszeit unter Engpässen bei der Rohstofflieferung, was zu massenhaften Entlassungen führte. In Ebingen, so berichtet Chronist Hummel, seien alle ledigen Personen unter 20 Jahren entlassen worden. Lediglich die Textilindustrie – der damals mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig in Ebingen, Tailfingen und Balingen – und die lederverarbeitenden Betriebe wie die großen Balinger Schuhfabriken Strasser, Fink und Falkenstein kamen relativ gut durch die Kriegsjahre. Wohl auch weil kriegswichtige Produkte hergestellt werden konnten.

Profiteurin des Kriegs war die Ebinger Munitionsanfertigungsstelle "Munast", die im Gewann Weiherwuhr gebaut wurde und etwa 700 Menschen eine gefährliche Arbeit bot. Auch das Balinger Zementwerk hatte auf Kriegsproduktion umgestellt: In der dort ansässigen Granatendreherei kamen auch französische Kriegsgefangene zum Einsatz.

Besonders hart traf der Krieg die Landwirtschaft. Württemberg war zu dieser Zeit in seiner Agrarstruktur vorwiegend kleinbäuerlich geprägt. Viele Menschen in der ländlichen Gegend besaßen ein kleines Stück Land mit einigen Haus- und Nutztieren, so auch der Schuhfabrikarbeiter Karl Neher, der nach dem Krieg für die SPD im Balinger Gemeinderat sitzen sollte.

Da kontinuierlich Männer in den Kriegsdienst einberufen wurden, fehlten Arbeitskräfte für die Bewirtschaftung der Felder, was die Unterversorgung der Bevölkerung nur noch verschärfte.

Das Leid und der Mangel der Kriegsjahre führten letztlich auch dazu, dass die Bevölkerung nach Kriegsende umso stärker politische Partizipation forderte. Dies hatte, wie im ganzen Land, auch in Balingen, Ebingen und Tailfingen die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten zur Folge. Obwohl sich diese Räte nur wenige Monate halten konnten, da die Interessen der Arbeiterschaft in den kommunalen Gremien bald darauf durch die Sozialdemokraten vertreten wurden, seien sie doch ein wichtiger, von außen kommender Anstoß für grundlegende Veränderungen gewesen, die noch heute sichtbar seien, so Walther.

Gerade die gesellschaftlichen, alltäglichen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, die Mangelernährung und Unterversorgung der Menschen, hätten sich tief ins kollektive Bewusstsein der hiesigen Bevölkerung eingegraben und seien innerhalb der Familien über die vergangenen 100 Jahre hinweg weitererzählt worden. Zum Ende des Veranstaltung erinnert sich eine ältere Besucherin: "Ich muss an meinen Vater denken, dessen Bruder auch in den Krieg musste damals. Der konnte dann natürlich nicht auf dem Feld helfen. Und die Hasen, die man sich heute als Kuscheltiere hält, die waren dann das einzige Essen, das es gab."