In einer etwas anderen Schulstunde geht es um Prävention: Aufmerksam verfolgen die Schüler die Erklärungen des Betreuers. Foto: Schule Foto: Schwarzwälder-Bote

Prävention: Strafgefangene besuchen die Realschüler in Frommern / "Ihr müsst nicht den gleichen Weg gehen wie wir"

Balingen-Frommern . Unterricht mal ganz anders, und dabei herrscht höchste Aufmerksamkeit. Das Klassenzimmer ist voll. Die achte Klasse der Realschule Frommern sitzt in einem Halbkreis, auch einige Lehrer und Günther-Martin Pauli als Vorsitzender der Kriminalprävention im Zollernalbkreis nehmen am Gespräch teil. Grund für die respektvolle Stille: ein Strafgefangener und ein ehemaliger Häftling, die mit ihrem Betreuer innerhalb des Projekts "Chance" den Morgen gestalten.

2013 war die Grund- und Werkrealschule Frommern bei der Erarbeitung eines Präventionskonzepts auf das Projekt "Chance" gestoßen. Seither war schon ein paarmal Besuch aus Creglingen da.

Der Betreuer moderiert das Gespräch. Es kommt zum Dialog zwischen Schülern und ehemaligen Straftätern. Doch am beeindruckendsten ist die Botschaft, die von den beiden jungen Männern ausgeht.

Es sind klare Regeln, nach denen die jungen Straftäter in Creglingen leben. Der noch bis Januar inhaftierte junge Mann trägt sie den Schülern vor: "Erstens: Respekt. Zweitens: Ich respektiere mein Eigentum und das der Anderen. Drittens: Ich bringe mich aktiv im Unterricht und in der Klasse ein..."

Der Betreuer fragt daraufhin eine Schülerin: "Machst du immer deine Hausaufgaben?" Ja, aber es gebe manchmal Ausnahmen, antwortet das Mädchen. So etwas komme bei den Straftätern nicht vor, sagt der Betreuer. Auch das Miteinader spiele eine große Rolle. "Wenn jemand etwas nicht so gut kann, bekommt er Hilfe von den Anderen. Es gehe darum, einander gegenseitig zu unterstützen", so der Gefangene, der sich zum Tutor des Projekts hochgearbeitet hat.

Die Schüler hören beeindruckt zu, manche stellen Fragen. "Sind Sie stolz, wenn Sie sehen, dass diese Regeln so gut eingehalten werden?", fragt eine Schülerin den Betreuer.

Dieser gibt die Frage weiter an die zwei Männer. Der Inhaftierte antwortet: Das Wichtigste ist eigentlich, dass wir uns an die Regeln halten, weil wir das selbst wollen. Wir machen das nicht für jemand anderen."

Er erklärt den Schülern außerdem, dass sie diese Grundnormen selbst aufgestellt haben.

Die Schüler fassen immer mehr Vertrauen. Sie sind beeindruckt und fragen weiter. Bei der Frage: "Wann war bei euch der Knackpunkt, an dem ihr verstanden habt, dass ihr etwas an eurem Leben ändern müsst?" merkt man, wie emotional das Gespräch auch für die Männer aus Creglingen ist. Der ehemalig Inhaftierte erzählt: "Meinen Vater enttäuscht zu sehen, als er mich in der Untersuchungshaft besuchte. Das hat mich am meisten mitgenommen!"

Über das Gefühl in der Gefangenschaft sagt er: "Es fühlt sich an, wie wenn man Liebeskummer hat, ohne mit einem Freund oder einer Freundin darüber reden zu können."

Man merkt, wie die Worte der zwei Männer direkt bei den Schülern ankommen. "Sie kommunizieren mit den Schülern auf einer Ebene, die wir Lehrer selten erreichen", bemerkt eine Lehrerin.

Die Schüler lernen, welche Konsequenzen eine Straftat hat. Der Betreuer fragt beispielsweise: "Wenn ihr Schuhe geklaut habt, waren diese Schuhe dann umsonst?" Der ehemalige Straftäter antwortet: "Nein, sie haben mich drei Jahre meines Lebens gekostet."

Ihre wichtigste Botschaft an die Schüler lautet: "Ihr müsst nicht den gleichen Weg gehen wie wir. Seht die Schule als Chance, etwas aus eurem Leben zu machen, und genießt die Zeit, ihr werdet sie vermissen!"

Seit diesem Jahr ist der Präventionsgedanke direkt im Lehrplan verankert. Das Projekt deckt die meisten dieser Punkte ab. So werden beispielsweise Themen wie die Selbstregulation, aber auch ressourcenorientiertes Denken und Problemlösen in der Schule angestrebt.

Schulrektor Martin Kettner betont: "Langfristig funktioniert die Idee der Prävention nur, wenn auch andere Schulen an dem Projekt teilnehmen."

Beim abschließenden Feedback zeigen die Schüler den jungen Männern gegenüber Respekt dafür, dass sie ihre Fragen beantwortet haben, und bedanken sich für die Ehrlichkeit der Beiden. "Ich hatte ein richtiges ›Fack ju Göhte-Feeling‹", beschreibt Günther-Martin Pauli die Stimmung im Nachhinein.