Viele junge Mütter aus dem Zollernalbkreis sind auf den Balinger Marktplatz gekommen, um ihre Geburtshelferinnen zu unterstützen. Foto: Ungureanu

"Es ist 5 vor 12": Geburtshelferin Sandra Jurkovic macht mit Aktion auf drohendes Aus für Berufsstand aufmerksam.

Balingen - Schauplatz Balinger Marktplatz, 5 vor 12 Uhr: Ungewöhnlich viele junge Mütter mit Babys haben sich versammelt. Die Albstädter Hebamme Sandra Jurkovic hat zum Flashmob aufgerufen, um auf die verzweifelte Situation der freiberuflichen Geburtshelferinnen aufmerksam zu machen.

In dem Zelt vor dem Rathaus, das die Aufschrift "Kreißsaal" trägt, spielt sie vom Smartphone ein Musikstück ein. Dann ruft sie ins Mikrofon: "Wir brauchen eine Hebamme!" Etliche "Schwangere" simulieren Geburtswehen, wollen in den "Kreißsaal", aber Sandra Jurkovic winkt ab: "Kein Platz, der Kreißsaal ist wegen Überfüllung geschlossen. Sie müssen ins nächste Krankenhaus, das ist nur 40 Kilometer weit!"

Etliche "Schwangere" simulieren Geburtswehen

Sie wolle "wachrütteln, und zwar Sie alle!", ruft Jurkovic. Die Situation sei nämlich dramatisch, es sei im wahrsten Sinne des Wortes "5 vor 12". Die neuen Haftpflichtversicherungen seien nicht mehr bezahlbar, die "Eins-zu-eins-Betreuung" könne man vergessen. Die sei unmöglich zu leisten, wenn daneben Qualitätsmanagement gefordert werde, der Kreißsaal geputzt, die Kinderkurve geschrieben und die Standesamtspapiere ausgefüllt werden müssten – und im Zweifelsfall fünf Frauen im Schichtdienst zu betreuen seien.

Schon jetzt reiche es ihr kaum zum Leben, sagt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Nebenbei halte sie sich mit Babyschwimmkursen und anderen Tätigkeiten über Wasser, die mit dem Hebammenberuf nichts zu tun hätten. Enttäuschend finden die Hebammen, die auf den Balinger Marktplatz gekommen sind, um ihre Albstädter Kollegin zu unterstützen, dass kein einziger Entscheidungsträger aus der Politik erschienen ist, obwohl sie alle eingeladen worden seien. Etwas enttäuschend auch, dass keine Beleghebamme vom Zollernalb-Klinikum da sei. Versprechungen? Ja, die seien gemacht worden, aber erst am Montag, nachdem die Hebammen mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit gegangen waren.

Wenn es gelte, das Steuer noch einmal herumzureißen, sei die Politik gefragt. Die Verhandlungen mit den Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) lägen auf Eis. Wahrscheinlich, so vermuten die Hebammen, weil die GKV "jetzt noch geschwind den Gebührenkatalog anpassen möchte".

Dass es vom Bund bis Juli 2016 einen Sicherungszuschlag gebe, um die überteuerten Haftpflichtversicherungen auszugleichen, sehen die Betroffenen nur als "Galgenfrist". Und zu der gehört auch etwas Galgenhumor: Ein Plakat, das an dem "Kreißsaal"-Zelt hängt, lädt ein, die kostenlose "Geburten-App" aufs Smartphone herunterzuladen, als "Leitfaden" für den Fall, dass keine Hebamme mehr da sei und man sein Baby ganz allein auf die Welt bringen müsse.