In diesem Briefkasten in Schörzingen landete die Post vom Finanzamt mit der Aufforderung, die Steuererklärung einzureichen – zu diesem Zeitpunkt war der Adressat aber schon acht Monate tot. Foto: Maier

Elektronik und Gesetzänderungen treiben seltsame Blüten. Tochter erbt mit dem Haus auch die Schulden.

Balingen - Evelin Hirt versteht die Welt nicht mehr. Acht Monate nach dem Tod ihres Vaters entdeckte die Dietingerin im Briefkasten des Verstorbenen in Schörzingen eine Aufforderung des Balinger Finanzamts: Er solle doch bitte binnen vier Wochen die Steuererklärung 2010 einreichen.

"Mein Vater war seit 14 Jahren Rentner, seit 2002 Witwer und bezog die gesetzliche Rente sowie eine kleine Betriebsrente seines jahrzehntelangen Arbeitgebers, der Firma Holcim", sagt Evelin Hirt. Seit seinem Renteneintritt habe ihn das Finanzamt noch nie aufgefordert, eine Steuererklärung abzugeben.

Evelin Hirt rief beim Finanzamt an und sagte, dass ihr Vater keine Steuererklärung mehr abgeben könne, weil er tot sei. "Das Amt war vom Arbeitgeber meines Vaters schriftlich informiert worden, ganz abgesehen von den beglaubigten Urkunden, die man als Erbe an alle Ämter im Rathaus weiterzuleiten hat."

Ihr wurde mitgeteilt, dass sie als Erbin die Steuererklärung 2010 für ihren Vater nun zu erledigen habe. Das wiederum konnte sie nicht tun: Ein paar Monate nach dem Tod ihres Vaters war das Haus in Schörzingen ausgeräumt worden, Unterlagen gab es nicht mehr. "Das Finanzamt hatte ja alles elektronisch gespeichert und hätte anhand der Daten den Steuerbescheid erstellen können", sagt sie. Sie schickte die Sterbeurkunde ein weiteres Mal ans Finanzamt, und siehe da: Ende November lag wieder ein Brief an den toten Vater im gleichen toten Briefkasten, obwohl sie mittlerweile einen Zettel angebracht hatte: "Bitte keine Post einwerfen!" Zufällig entdeckte Evelin Hirt den Brief, als sie nach Schörzingen kam, um das Grab ihres Vaters zu pflegen.

"Jagdsaison auf Rentner - tot oder lebendig"

Sie nahm einen Tag frei, packte den ganzen Briefwechsel und die Unterlagen ein und fuhr nach Balingen, um den Sachbearbeiter beim Finanzamt zu informieren. "Da es in der Akte meines Vaters keine Unterlagen gab, einigten wir uns darauf, dass das Finanzamt anhand der gespeicherten Daten entscheiden müsse." Das Ende vom Lied: Kurz vor Weihnachten bekam Evelin Hirt den Bescheid, dass sie als Erbin für die Jahre 2005 bis 2011 Steuern in Höhe von 2602 Euro und 22 Cent nachzuzahlen habe. Sie zahlte, mit der Bemerkung: "Hallali, die Jagdsaison auf Rentner – tot oder lebendig – ist eröffnet!" Ihr Steuerberater habe ihr gesagt, dass alles rechtens sei und sie als Erbin verpflichtet sei, für die Steuern ihres toten Vaters aufzukommen.

Es ist kein Einzelfall: Die Finanzämter treiben zurzeit bei Rentnern mögliche Steuerschulden aus den zurückliegenden sieben Jahren ein. Dabei gehen die einzelnen Behörden ganz unterschiedlich und nicht immer mit der gebotenen Sensibilität vor. Allein in Baden-Württemberg wurden eine Million Überweisungen geprüft und 70.000 mögliche Nachzahler angeschrieben.

Finanzamts-Chef Wilhelm Kallenberg versteht die Verärgerung der Frau, verweist aber auch auf die gesetzliche Regelung: Seit 2005 werden Rentner steuerlich veranlagt; zunächst seien 25 Prozent der Rente versteuert worden, später wurde der Betrag – aufgrund eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts – sukzessive auf 50 Prozent angehoben. "Daher die unterschied- lichen Beträge für die einzelnen Jahre", sagt Kallenberg. Rein rechtlich gesehen habe die Tochter das Erbe ihres Vaters nicht abgelehnt. Somit müsse sie auch für seine Steuerschulden aufkommen.

Dass die Briefe an die falsche Adresse geschickt wurden, erklärt der Finanzamts-Chef durch die elektronisch gespeicherten Adressen: "Die Post war vermutlich schon unterwegs, als Frau Hirt uns mitteilte, dass in dem Haus in Schörzingen niemand mehr wohnt und der Briefkasten nicht mehr geleert wird."