Das Karfreitagsoratorium 2019 in der Martinskirche: Ein solches Konzert mit Orchester ist mit den momentan geltenden Abstandsregeln nicht realisierbar. Die fehlenden Proben drohen die Chöre noch weiter zu spalten und einen Mitgliederschwund hervorzurufen, der seit den letzten Jahren ohnehin ein wachsendes Problem darstellt.Archiv-Foto:Eyrich Foto: Schwarzwälder Bote

Chöre: Die Coronavirus-Krise bereitet den Chören große Sorgen / Konzerte sind längerfristig undenkbar

Den Chören geht der Nachwuchs aus. Dieser Trend wird durch die Pandemie noch verstärkt. Aber auch die finanziellen und sozialpädagogischen Folgen der Krise belasten die Kantore und Chorleiter im Kreis. Nun gilt es, die Proben kreativ zu gestalten.

Zollernalbkreis. "Die Chorleiter und Sänger sind wieder am Boden!" Mit diesen Worten stellt Michael Diefenbacher, Dirigent des Konzertchors "Eintracht Ebingen", die aktuelle Situation der Chöre im Teil-Lockdown dar. Die große Frage ist, ob die Gesangsgruppen noch einmal aufstehen können?

Die Coronavirus-Pandemie macht den Chören bundesweit schwer zu schaffen – ein Ende der Flut der Konzertabsagen ist nicht in Sicht. Nach dem Lockdown im Frühjahr seien alle Chorsänger "schwer enttäuscht gewesen", so Diefenbacher. "Der soziale Aspekt ist bei uns von größter Bedeutung. Als ehrenamtlicher Chor leben wir von den gemeinsamen Treffen im Zuge der Proben."

Die Stimme darf nicht einrosten

Aber auch die Stimme darf nicht einrosten, und so war Diefenbacher kreativ, um Stimmproben in der Hochphase der Pandemie möglich zu machen: "Ich habe personalisierte Audiodateien an die Sänger geschickt und am ursprünglichen Programm festgehalten." Online-Plattformen seien insbesondere für ältere Chormitglieder schwer verständlich und somit keine Option gewesen. "Vier Wochen Zwangspause bringen die Stimme aber nicht aus der Übung, dauert es länger, wird es problematisch."

Länger dauert es wohl auch bis zum nächsten Auftritt: Corona machte nämlich auch einige, schon lange eingeübte Konzerte unmöglich. So habe das Chorteam ein ganzes Jahr lang auf eine Operngala in der Festhalle Ebingen im September hingearbeitet. "Die ist nun auch ins Wasser gefallen", sagt der Dirigent, der seit 2013 den Konzertchor Eintracht Ebingen dirigiert. Dennoch seien die Sängerinnen und Sänger weiterhin motiviert und von Lethargie sei keine Rede.

"Anfangs blieben einige Chormitglieder aus Angst vor dem Virus zu Hause. Und natürlich ist so eine längere Zwangspause auch ein Beschleuniger für Sänger, die schon vor der Pandemie damit liebäugelten, den Chor zu verlassen." Die 40 Mitglieder starke Gruppe blieb dennoch zusammen und übt nun ein Barockkonzert für das kommende Jahr ein, das zur Not auch unter freiem Himmel stattfinden kann. "Durch die Abstandsregeln kann ich nie mit der ganzen Gruppe proben. Ich picke mir meist die einzelnen Stimmen heraus, aber ein größeres Konzert ist so nicht planbar", erläutert Diefenbacher. Mehrere Hundert Zuschauer kann sich der Chorleiter in den nächsten Monaten sowieso nicht vorstellen und bangt damit um das Überleben der Chöre.

Die neuen Corona-Auflagen mag der 39-Jährige nicht so ganz verstehen: "Wir haben hieb- und stichfeste Sicherheitskonzepte." Sobald Proben wieder möglich sind, wird der Konzertchor Eintracht Ebingen die Arbeit wieder aufnehmen. "Wir hoffen auf Dezember, realistisch sind aber wohl eher Januar oder Februar", blickt der Dirigent voraus.

Die große Aufgabe ist es zu verhindern, dass die Chöre von der Bildfläche verschwinden. Durch die finanziellen Einbußen gehen viele Chöre auf dem Zahnfleisch, weiß Thomas Meinert, Chorsprecher der Kantorei in Balingen und Vorsitzender des katholischen Kirchenchors in Hausen am Tann.

"Die Konzerteinnahmen sind für weltliche Chöre existenziell", erläutert Meinert die kritische Lage. Der "Schwäbische Chorverband" zahle zwar das Chorleitergehalt weiter und auch einmalige staatliche Zuschüsse aus dem Corona-Hilfsfonds für kulturschaffende Vereine würden helfen, den Ausfall für hauptamtliche Chöre zu ersetzen. Ohne Konzerte in Aussicht sei es dennoch fraglich, wie lange und wie viele Chöre überhaupt die Pandemie überleben. Meinert blickt auch mit großer Sorge auf die Mitgliederzahlen in den Chören: "In Balingen hat sich die Zahl der aktiven Mitglieder von 100 auf 70 Sänger reduziert. Ich kenne Chöre, bei denen die Pandemie die Mitgliederzahlen halbiert hat."

Dabei hat sich Meinert, selbst Sänger in einigen Chören im Kreis, extra ein besonderes Hygienekonzept ausgedacht, das Proben möglich machen sollte. "Den Ort der Probe haben wir aufgeteilt. Zwei 45-minütige Stimmübungen – zuerst in der Balinger Stadtkirche, anschließend im Gemeindehaus – hätten auch die Lüftungsproblematik gelöst." Dieses Konzept sei nun vorerst nicht mehr umsetzbar. Nur mit driftigem Grund, beispielsweise für einen Gottesdienst, dürfen acht Personen miteinander proben, so die Corona-Verordnung des Landes. "Mit acht Sängern kann ich aber keine Details einüben und vierstimmig singen lassen", beklagt Meinert.

Viele ältere Sänger hören in der Krise auf

Finanziell aufgrund der ehrenamtlichen Tätigkeit zwar nicht belastet, dennoch traurig über die aktuelle Situation, ist der "Chor-Effata" der katholischen Kirchengemeinde Margrethausen unter der Leitung von Martin Wäschle. "Wir haben Online-Videos der einzelnen Sänger zu einem ›Konzertvideo‹ zusammengeschnitten", berichtet der Chorleiter über die Aktivitäten der Gesangsgruppe in der Zwangspause.

Dabei hätte das Jahr 2020 zu großen Konzerten gerufen – wäre da nicht das Coronavirus. So seien ein Konzert in Schömberg und ein Auftritt in Ebingen geplant gewesen. "In einer WhatsApp-Gruppe tauschen wir nun Noten aus und versuchen, die Stimmen zu trainieren", so Wäschle über das Pandemie-Ersatzprogramm.

30 Mitglieder zählt der Chor, und so sei nur eine gemeinsame Probe im Freien denkbar. Dort ist aber die Akustik "nicht mit der in einem Raum zu vergleichen", weshalb der "Chor-Effata" darauf verzichtet. Er könne das neuerliche Kontaktverbot aber verstehen: "Aerosole spielen beim Singen eine große Rolle." Für 2021 sei deshalb nichts Größeres geplant.

Mit einer ganz anderen Herausforderung kämpft Theresa Hinz, Dekanatskirchenmusikerin, die in St. Elisabeth in Tailfingen den Kirchenchor leitet. "Bei mir kommt erschwerend hinzu, dass ich erst im Mai, also während der Pandemie, Chorleiterin wurde." In der Zeit, wo Proben möglich waren, habe sie aber Kontakte zu allen Mitgliedern geknüpft und sich auch gefreut, dass musizieren wieder möglich war.

Die studierte Kirchenmusikerin nutzte die Räumlichkeiten der St. Franziskuskirche, um Proben mit 20 Chormitglieder abzuhalten. "Normalerweise sind wir 35 Leute. Viele Ältere nehmen die Pandemie nun zum Anlass, um das Chorleben hinter sich zu lassen", so Hinz. In einer WhatsApp-Gruppe tauscht Hinz mit den Chorsängern Noten aus, um einstimmig daheim Proben zu ermöglichen. In den Gottesdiensten sehe sie jede Woche verschiedene Sänger – in einem rotierenden System begleiten immer vier Sänger die Gottesdienste musikalisch. Dennoch sieht sie neben all den Problemen auch Chancen durch die Pandemie: "Durch die Proben mit Abstand verbessert sich die individuelle Qualität der Sänger. Der Einzelne kommt mehr aus sich heraus", beobachtet Hinz. Sie fürchtet, dass die einzigartige Chorlandschaft durch die Pandemie aussterben könne. Durch die ausfallenden Proben und die fehlende Planbarkeit von Konzerten für das nächste Jahr, übernimmt Hinz andere Aufgaben in der Kirchengemeinde. "Ich bin viel in Organisatorisches eingebunden und gebe etwa Orgelunterricht."

Der Mitgliederschwund im Chor sei jedoch nicht nur in Folge der Viruskrise ein Thema. Steffen Schwarz, Kantor der Martinskirche in Ebingen bedauert, dass die Nachwuchsarbeit im Chor nur bedingt Früchte trägt. Das liege insbesondere am Wandel der Gesellschaft: "Früher war es üblich, als Kind in einem Chor zu singen, dem man treu blieb." Im Sommer hätten mehrere Sänger des evangelischen Kirchenchors der Martinskirche ihr 70-Jahr-Jubiläum im Chor gefeiert. "Heutzutage ist nach der Einschulung kein Platz mehr für den Chor", so Schwarz. Auch die Stimme als Gesangsinstrument – dabei ist es das natürlichste Instrument überhaupt – verliere an Anerkennung. "Das haptische Gefühl eines Instruments, beispielsweise einer Geige, macht bei den Jüngsten mehr Eindruck." So falle es schwer, Leute zu rekrutieren. Das Virus beschreibt Schwarz daher als "Brennglas, das schon vorhandene Schwächen verschärft". So nahmen ältere Sänger die Krise zum Anlass, aus dem Chor auszutreten. Auch der Kantor beklagt Finanzausfälle für den diesjährigen Karfreitagsauftritt des Chors, der 2019 noch rund 600 Zuhörer angelockt hatte. "Das Regierungspräsidium ersetzt uns die Kosten für die Noten und die Vorbereitung nicht." Die Proben gestalteten sich für die 50 bis 60 Sängerinnen und Sänger ohnehin schwierig. Der Kirchgarten an der Martinskirche diente zunächst als Herberge für die Proben. "Mit 30 Sängern ist der Platz aber aufgebraucht", so Schwarz.

Größere Veranstaltungen erst wieder im Sommer

Mit einem größeren Oratorium des leistungsstarken Chors der Martinskirche im nächsten Jahr rechnet er nicht; deshalb ist auch nichts Konkretes geplant. "Wir hoffen, im Sommer wieder größere Veranstaltungen planen zu können. Momentan können wir wegen der Schutzvorschriften aber nicht mal auf ein Orchester zurückgreifen, beschreibt Schwarz die grundlegenden Nöte der Chöre.

Für die Gemeinde bietet der gebürtige Stuttgarter in den kommenden Wochen und Monaten YouTube-Videos mit Orgelmusik an – weitere Online-Angebote sind in Planung. Für den Chor muss nun erstmal der Haushalt für das kommende Jahr neu aufgestellt werden. Dieser sei sehr knapp kalkuliert, denn ohne Konzerte lässt sich bekanntlich für die Chöre nichts verdienen – egal ob im Zollernalbkreis oder in Stuttgart.