Birgit Wurster ist Pfarrerin der evangelischen Stadtkirchengemeinde Balingen. Foto: Schwarzwälder Bote

Religion: Balinger Stadtkirchen-Pfarrerin Birgit Wurster sieht die biblischen zehn Gebote als unverrückbare Wertmaßstäbe

Balingen. Vor der Corona-Krise besprachen wir im Religionsunterricht der siebten Klasse das Thema "Das Gewissen". Vor allem das schlechte Gewissen kennen wir. Schülerinnen und Schülern fallen gleich Beispiele ein: wenn sie die Hausaufgaben nicht gemacht haben oder nicht das tun, was die Eltern von ihnen erwarten.

Bei uns Erwachsenen ist das entsprechend. Wir haben ein schlechtes Gewissen, wenn wir dem nicht nachkommen, was in Beruf und Familie von uns erwartet wird, wenn wir nicht erfüllen, was wir für unsere Pflicht halten oder an Ansprüchen an uns selbst stellen. Das gute Gewissen haben wir dann im Umkehrschluss, wenn wir all dem gerecht werden.

Doch wie kommt es überhaupt zu einem Gewissen? Wodurch wird es geprägt? Im Grunde durch alles, was wir seit Anbeginn unseres Lebens erfahren. Vor allem die Eltern vermitteln uns, welches Verhalten richtig und welches falsch ist. Ebenso Freunde und alle anderen Menschen, die wir erleben, beeinflussen uns. Darüber hinaus setzen auch die Medien Wertmaßstäbe. Das zusammen übernehmen wir dann – bewusst oder unbewusst – als inneren Kompass für uns selbst.

Im Laufe der Zeit hat sich das Gewissen der Menschen verändert. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als es selbstverständlich war, in geschlossenen Räumen zu rauchen.

Erst seit Kurzem gibt es den Begriff "Flugscham": Er beschreibt das schlechte Gewissen, durch das Unterwegssein mit dem Flugzeug die Umwelt zu schädigen. So führen neue Erkenntnisse immer wieder zu einem veränderten Gewissen und einem anderen Verhalten.

Durch die Corona-Pandemie sind wir noch einmal herausgefordert. Was bisher ein völlig normales Verhalten war, ist nun plötzlich für andere Menschen gefährdend: Sich treffen, Hände schütteln, sich umarmen oder mit unbedecktem Gesicht einkaufen. Wir sind gezwungen, uns umzustellen. Das kommt obendrauf zu den anderen massiven Veränderungen in unserer Welt, mit denen wir auch vor der Krise schon zu kämpfen hatten. All das kann uns ins Schlingern bringen und muss erst mal bewältigt werden.

Für Christinnen und Christen gibt es aber eine feste Basis. Die Grundorientierung bleibt gleich, auch wenn sich äußere Gegebenheiten ändern.

Wir haben als feste Wertmaßstäbe die zehn Gebote und Jesu Doppelgebot der Liebe: "Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst." Daran orientiert sich unser Gewissen. Dieser feste Halt ermöglicht dann die flexible Konkretisierung.

Wenn über die unterschiedlichsten Kanäle versucht wird, Einfluss auf Menschen zu nehmen, Meinung zu bilden und die Gewissen zu prägen, so haben wir Christinnen und Christen einen festen Grundstock, der uns die Richtung vorgibt: der Bezug auf Gott und die Nächstenliebe. Das spielt eine Rolle bei Themen wie zum Beispiel dem Schutz vor Krankheiten, den Lebensverhältnissen bei Arbeitnehmern in Schlachthöfen, der Entlohnung in Pflegeberufen oder der Produktionsorte von Waren.

Ich finde, als Christinnen und Christen können wir einen wertvollen Beitrag zur Gewissensbildung leisten. Das kann jede und jeder tun, bei Gesprächen im Freundes- und Familienkreis ebenso wie bei Kommentaren im Netz. Bringen wir unsere christliche Stimme mit ein im demokratischen Prozess der Meinungsbildung.