Auf dem Deck der "Mosnes" mit einer Kanne in der Hand: Ingold Daub. Foto: Privat Foto: Schwarzwälder Bote

Abenteuer: Ingold Daub wanderte mit 19 Jahren nach Norwegen aus – mit 20 schipperte er bis nach China

Seit er im Ruhestand ist, hat Ingold Daub Zeit. Zeit, in der seine Gedanken abschweifen und er sich auch immer wieder einmal an seine Jugend erinnert. Vor allem an einen Abschnitt vor rund 60 Jahren, der für ihn einschneidend werden sollte und der von ihm vor allem eins abverlangt hat: Mut.

Balingen. Der fast 80-Jährige wuchs mit seiner Mutter und drei Geschwistern in Balingen auf. Mit nicht einmal 14 Jahren begann er eine Lehre als Handschuhmacher, die er nach drei Jahren, mit gerade einmal 17, abschloss. "Danach war ich selbstständig", erinnert sich Daub, aber auch offen für Neues: "Ich spürte eine Abeneteuerlust."

Die Gelegenheit, sie auszuleben, kam auch recht schnell: Durch Zufall erfuhr er, dass eine norwegische Handschuhfirma dringend Mitarbeiter suchte. Auf sein Bewerbungsschreiben folgte prompt die Antwort: sofort kommen.

Und Daub ließ sich nicht zweimal bitten: Zusammen mit dem 18-jährigen Alfred Pape machte er sich im August 1957 als 19-Jähriger vom Balinger Bahnhof aus auf, zunächst ins dänische Hjorring, von dort zur Hafenstadt Hirtshals, danach mit der Fähre nach Kristiansand in Norwegen und weiter nach Lyngdal. "Wir waren vier Tage lang unterwegs", beschreibt Daub die beschwerliche Anreise.

Obwohl sich der Balinger schnell einlebte – die Arbeit lief gut von der Hand, in seiner Freizeit fuhr er wie die Einheimischen Ski, und er trainierte eine Jugend-Fußballmannschaft –, lockte ihn die weite Welt. Weil der Konzern, zu dem die Handschuhfirma gehörte, auch eine Reederei besaß, wurde er dort nach rund einem Jahr in Kristiansand vorstellig. Bei der Musterung stellte man zwar eine Rot-Grün-Blindheit fest, die ihm eine Ausbildung an der Seemannschule verbaute. Sie stand aber einer Tätigkeit als Messejunge auf einem Schiff nicht im Wege. Er heuerte daher im August 1958 auf der "MS Mosnes" an, einem 10 000-Tonnen-Frachter mit einer Länge von 140 Metern und der Besatzung von 37 Seeleuten.

Für deren Verpflegung war er zuständig. Mehrmals am Tag lief er mit Kannen und Schüsseln zwischen der Küche, die sich in der Mitte des Schiffes befand, und der Messe am Heck hin und her. "Ich hatte viel zu tun", erinnert sich Daub an Zwölf-Stunden-Arbeitstage. Bei hohem Seegang galt es, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, um nicht von der Gischt durchnässt zu werden.

Während seiner Seereise, die rund ein halbes Jahr dauerte, hat er in einem Taschenkalender die wichtigsten Daten festgehalten. Beim Durchblättern in seinem Wohnzimmer werden die Erinnerungen wieder wach: an Liverpool, wo die MS Mosnes als erstes einlief, einen neuen Anstrich erhielt und von englischen Hafenarbeitern in Anzügen be- und entladen wurde. An Antwerpen, von wo aus Daub noch schnell nach Brüssel zur Weltausstellung fuhr. An das chinesische Tsingtao, das die "Mosnes" nach 43 Tagen und einem Orkan erreichte. An Chinwantao, wo die Crew bei eisiger Kälte Weihnachten und Silvester feierte.

Drei Monate lang schipperte die "Mosnes" von einem chinesischen Hafen zum anderen. Als so genanntes "Tramp-Schiff" wurde der Frachter immer wieder neu angeheuert, so dass die Crew nie genau wusste, was auf sie zukam. Noch heute sieht Daub die großen Schilder mit dem Konterfei von Mao und die Chinesen in den einheitlichen blauen Anzügen vor sich. "Bis zum Umfallen haben die Hafenarbeiter geschuftet", vergleicht er die Asiaten mit deren Kollegen in Liverpool.

Weil das Ende seiner Seemannstätigkeit sich abzeichnete – in einem Telegramm wurde ihm mitgeteilt, dass er in der Handschuhfabrik benötigt wird –, genoss er die Rückreise in vollen Zügen: Über den Indischen Ozean ging es zum Roten Meer, durch den Suez-Kanal ins Mittelmeer und an Gibraltar vorbei wieder nach Antwerpen. Am 5. März 1958 machte Daub seinen letzten Eintrag in sein Reisetagebuch: Abmusterung in Rotterdam.

"Der Abschied von der Crew ist mir fast schwerer gefallen als der von Balingen und der Familie", hält der Balinger fest. Auch wenn er mit vielen auf engstem Raum zusammen leben musste, habe es nie Streit gegeben. Noch heute bedauert er, dass er nicht dabei war, als die "Mosnes" in Amerika durch den St.-Lawrence-Kanal zu den Großen Seen schipperte. Davor musste sie aber von einem Hochseeschlepper aus Seenot gerettet werden, weil sie in stürmischer See die Schiffsschraube verloren hatte.

Daub war nach seiner Abmusterung wieder nach Lyngdal zurückgekehrt, wo er heiratete und ein Haus kaufte. Dort kamen auch seine beiden Kinder zur Welt. 1968 kam er wieder nach Balingen, seiner "ersten Heimat". "Norwegen ist aber immer meine zweite geblieben", betont er. Jahrelang machte er im Hardanger Fjord, einer kleinen Insel, Urlaub. 2001 war er zum letzten Mal in Norwegen. Zwei Tage war er mit dem Auto und dem Schiff unterwegs, wobei sich die Strapazen gelohnt hätten: "Ich habe damals viele Bekannte von früher wiedergesehen."