Martin Strobel. Foto: Privat

Früherer Handballprofi des HBW Balingen-Weilstetten veröffentlicht erstes Buch. Vom Spiel- zum Teammacher.

Balingen - Es gibt wahrscheinlich bessere Momente, ein Buch zu beginnen. Bei Martin Strobel war es an einem Wintermorgen 2019 um 4.38 Uhr, im Bett einer Spezialklinik in Markgröningen. Die Ärzte dort hatten eben sein lädiertes Knie operiert, Strobel war wieder einigermaßen wach. Und klappte am Krankenbett seinen Laptop auf.

Für den Handballprofi war es, sagt er, der perfekte Moment, um mit dem Schreiben zu beginnen. Die Idee, den Traum, ein Buch zu veröffentlichen, habe er schon lange gehabt. Nun hatte er auch Zeit, nachdem er sich im Weltmeisterschafts-Spiel gegen Kroatien so übel verletzt hatte. Aber nicht nur das: Er hatte den für ihn passenden Moment gefunden. "Höhepunkt am Tiefpunkt" ist das Buch betitelt, das am 1. Oktober erscheint.

Es sei, sagt der 34-Jährige, ein Sachbuch mit biografischem Hintergrund. Es handelt von seiner sportlichen Entwicklung, davon, wie er als junger Bub mit dem Handball begann, in seinem Heimatort Hausen im Landkreis Rottweil. Der SV habe quasi nur aus der Handballabteilung bestanden. Im Alter von vier Jahren ging Klein-Martin Strobel zum Mini-Handball. Sein Vorbild: der drei Jahre ältere Bruder Wolfgang. Ihm eiferte er nach, sein Bruder sei ihm Ansporn gewesen, habe ihm Mut gegeben.

Das Buch ist derweil deutlich mehr als eine Beschreibung des Wegs vom jungen Handballer zum Profi, der schon in jungen Jahren als Talent beschrieben wird, der in der Bundesliga Anerkennung, bei seinem langjährigen Verein HBW Balingen-Weilstetten fast schon Verehrung erfährt und der als Nationalspieler mit dem Gewinn der Europameisterschaft 2016 und der Bronzemedaille bei Olympia im selben Jahr an großen Erfolgen maßgeblich beteiligt ist. Die rund 150 Seiten sind auch ein kritischer, oft selbstkritischer, in jedem Fall ein reflektierter Blick auf eine besondere Sportlerkarriere. Mit Höhen wie Tiefen, mit Zweifeln auch, die Strobel indes nie haben verzweifeln lassen, weil er – es klingt wie eine Binsenweisheit – sich von Tiefpunkten nicht erschüttern ließ. Sondern sie als Erfahrungen sieht, aus denen er lernen kann. Martin Strobel ist, könnte man also sagen, ein Kämpfer, aber das griffe zu kurz. Im Gespräch mit unserer Zeitung erscheint er vielmehr als ein in sich ruhender, nachdenklicher Mann, ein Optimist fast schon durch und durch.

Dass Höhe- und Tiefpunkte oft eng zusammenliegen, das erlebte Strobel im Verlauf seiner Handballerjahre immer wieder. Etwa 2016, als er mit den Medaillen von den internationalen Turnieren zum HBW zurückkehrte und mit seiner Mannschaft im Liga-Alltag gegen den Abstieg spielte. Ganz besonders aber 2019. Er beschreibt es als sein persönliches Schlüsseljahr. Es beginnt mit der Handball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Der damalige Bundestrainer Christian Prokop nominiert Strobel für den Kader – obwohl der Rückraumspezialist zu diesem Zeitpunkt mit dem HBW in der zweiten Bundesliga spielte. Im eigenen Land, vor toller Kulisse, in vollen Hallen – der Traum jedes Sportlers.

Für Strobel ging die WM im Hauptrundenspiel gegen Kroatien zuende. Er beschreibt es so: "Beim Einspringen in den Zweikampf und gleichzeitig Abdruck meiner Körpertäuschung verdrehte ich mein linkes Knie so stark, dass ich nur ein kurzes Knacken hörte, das mit einem stechenden Schmerz entlang meines inneren Oberschenkels verbunden war. Ich fiel einfach in mich zusammenund schlug bereits mit dem Gedanken an eine schwere Verletzung auf dem Boden auf."

Binnen Millisekunden, bevor die Therapeuten und Ärzte bei ihm auf dem Spielfeld waren, seien ihm viele Gedanken durch den Kopf gegangen. Was ist kaputt? Wie lange falle ich aus? Kann ich überhaupt noch einmal spielen? Die Diagnose der Ärzte in Markgröningen lautete "Totalschaden".

Martin Strobel sagt, er sei die schwere Verletzung, diesen Schock strukturiert angegangen. Selbstmitleid? Nicht sein Ding. Er richtete den Fokus auf den Heilungsprozess. Und rief sich, wie in anderen Situationen während seiner Karriere auch, Bilder und Emotionen ins Gedächtnis, die dabei halfen. In diesem Fall die 20 000 Fans, die das Spiel gegen Kroatien in der Halle verfolgt hatten und die seinen Namen riefen, als er von der Platte getragen worden war. Für ihn sei vollkommen klar gewesen, dass er trotz des "Totalschadens" zurück aufs Spielfeld wollte.

Wo er auch beim HBW schmerzlich vermisst wurde. Als Kapitän, als Führungsspieler, der nun ausfiel. Viele schrieben den Wiederaufstieg der "Gallier von der Alb" in die erste Bundesliga mit der Verletzung Strobels ab. Doch die Mannschaft schaffte es – auf dem Feld ohne und doch irgendwie mit ihm: Strobel sagt, er habe Vertrauen in die junge Mannschaft gehabt, war bei ihr. Auf der Platte konnte er nicht eingreifen, daneben unterstützte er, wo er konnte.

Ende 2019 griff Strobel wieder als Spieler und Lenker ins Geschehen ein, nach 286 Tagen. Im ersten Spiel, beim ersten Angriff netzte er gleich ein. Tolle Gefühle. Aber zugleich habe er gemerkt, dass er nach der Verletzung mehr für den Erhalt seiner Leistungsfähigkeit tun musste, dass er nach Spielen längere Zeit zur Regeneration brauchte. Schon einige Zeit davor habe er sich intensiv Gedanken darüber gemacht, was nach dem Handball kommen könnte. Er habe Lust auf eine neue Herausforderung gehabt. Im Dezember sagte er für die EM 2020 ab. Und im Februar kündigte er an, seine Karriere nach der Saison 2019/20 zu beenden, die wegen Corona dann selbst abrupt bereits im März abgebrochen wurde.

Soll es das also gewesen sein? Martin Strobel sagt auf die Frage nach dem "perfekten Ende", dass er diese nicht beantworten könne, jeder habe davon eine andere Vorstellung. Vom Verein wurde er bisher nur in kleinem Rahmen verabschiedet. Ein Abschiedsspiel in der Balinger "Hölle Süd" wäre schön gewesen, sagt Strobel, aber niemand wisse, wann dieses angesichts der Corona-Lage möglich sei.

Mit dem Handball habe er abgeschlossen, sagt Strobel, einen Ball nehme er nicht mehr in die Hand. Außer für seine beiden Söhne, wobei der ältere den Papa zuhause in Dietingen ohnehin eher mit Lego beschäftigt.

Aus dem Handball heraus entstand derweil nicht nur das Buch. Vielmehr nutzt Strobel seine vielfältigen Erfahrungen nun als selbstständiger Berater in Sachen Personal- und Teamentwicklung. Bereits während der Handballkarriere absolvierte er ein Studium Internationales Managment, bildete sich zudem laufend weiter, etwa in den Bereichen Kommunikation, Führungspsychologie und Sportmanagement. Vom Rückraum-Mitte-Spieler, der eine Mannschaft lenkt, entwickelt er sich zum Teammacher, der Unternehmen Impulse in Richtung Erfolg geben will, so etwa bei einem Vortrag am 8. Oktober im Meßstetter Restaurant Schwane. "Die Arbeit mit Menschen macht mir Spaß", sagt Strobel. Früher auf, nun eben neben der Platte.

Weitere Informationen: Martin Strobels Buch "Höhepunkt am Tiefpunkt. Extreme erleben und Chancen ergreifen" (18 Euro) erscheint am 1. Oktober. Infos zu seiner neuen Karriere gibt’s auf www.martinstrobel.de sowie www.agentur-siedepunkt.de.