Fotos: Stadtarchiv Foto: Schwarzwälder Bote

Vor 125 Jahren wurde die beschauliche Eyach zum todbringenden Fluss

Genau 125 Jahre ist es her, dass Balingen von einer bislang beispiellosen Flutkatastrophe heimgesucht wurde. Das Jahrhunderthochwasser richtete unbeschreibliche Schäden an und brachte 41 Menschen den Tod.

Balingen. Am 4. Juni 1895 war es in der Region extrem schwül. Die Menschen stöhnten unter der Hitze, am Himmel zogen sich dunkle Gewitterwolken zusammen. Über dem Hörnle und Dürrwangen sowie vom Nordwesten her entluden sich die Wolken. Eine dreiviertel Stunde lang prasselte der Hagel nieder und zerstörte die Ernte. Zwischen Frommern und Laufen wurden die Eisenbahngleise zerstört, Erdrutsche wurden ausgelöst und Straßen weggeschwemmt.

Besonders hart traf es die Mühlen: Die Obere Mühle – sie stand dort, wo heute der Freibadparkplatz ist – und die Stadtmühle waren nicht mehr erreichbar, weil die Brücken weggerissen waren, die zu ihnen führten.

Doch es kam noch schlimmer: Am darauffolgenden Tag, es war ein Mittwoch, brauten sich erneut mächtige Gewittermassen zusammen. Zwischen 19 und 21 Uhr ergoss sich ein zweistündiger Wolkenbruch über der Region. Das war zuviel für die bereits vollgesogene Erde. Das Wasser konnte nicht mehr versickern und floss in zahllosen Wildbächen in die Eyach. Das beschauliche Flüsschen wuchs zum reißenden Strom an.

In Margrethausen und Pfeffingen hatte die Flutwelle um 21 Uhr ihren Höhepunkt, um 21.30 Uhr erreichten die gewaltigen Wassermassen Lautlingen und richteten große Schäden an. Nur eine Viertelstunde später traf es Laufen. 15 Menschen verloren dort in den Fluten ihr Leben.

In Dürrwangen zerstörte die reißende Eyach zahlreiche Häuser und schoss um 22.30 Uhr durch Frommern. Sie riss Häuser und Brücken mit sich, schwemmte die Landstraße weg und tötete zehn Menschen.

Um 23 Uhr toste die braune Flut schließlich auf die Stadt zu. Die Obere Mühle wurde komplett zerstört. Baumstämme, die die Eyach mit sich riss, wirkten wie Rammböcke und durchschlugen die Mauern der Häuser. Die Bewohner flüchtete auf ihre Dächer, die Feuerwehrmänner, die zu Hilfe eilten, standen teilweise bis zum Hals im Wasser. Häuser stürzten ein, unzählige Tiere ertranken im Stall. Vor dem Gerbertor stand das Wasser zweieinhalb Meter über dem Straßenniveau.

Besonders schlimm war die Situation für die Balinger, die zwischen Eyach und Mühlkanal wohnten. Hier tobte das Wasser von zwei Seiten. Menschen ertranken in ihren Wohnungen wo das Wasser bis zu den Zimmerdecken stand.

Auch die Brücken konnten den Fluten keinen Widerstand bieten. Selbst die massiven Steinbrücken nach Heselwangen und in Richtung Engstlatt wurden schwer zerstört. An der Kirchhofbrücke türmten sich Balken und Bäume und bildeten so ein Stauwehr. Dadurch strömte die Eyach über das rechte Ufer und zerstörte die Anlagen der Gärtnerei Leuthe. Am Friedhof stürzte die Mauer ein, Gräber wurden ausgespült, Särge tanzten auf den Wellen.

Am kommenden Tag, am 6. Juni vor 125 Jahren, zeigte sich das ganze Ausmaß der Katastrophe: Die Leichen der 41 Todesopfer lagen verstreut im Tal. Das Wasser hatte ihnen die Kleider vom Leib gerissen und sie teilweise schwer entstellt. Die Ergebnisse der Zerstörung waren bis Owingen zu sehen, wo die Eyach einen breiteren Verlauf nimmt.

Tags darauf trafen 84 württembergische Pioniere aus Ulm ein, die das Ministerium des Inneren geschickt hatte. Sie begannen unverzüglich damit, die Trümmer zu beseitigen, Straßen wiederherzustellen und Notbrücken zu errichten.

Am 8. Juni machte sich König Wilhelm II. von Württemberg vor Ort ein Bild über das Ausmaß der Zerstörungen. In der Folge gab es finanzielle Unterstützung für die betroffenen Familien, in Zeitungen im In- und Ausland wurden Spendenaufrufe veröffentlicht, Hilfsgelder kamen selbst aus Brasilien, China, Korea, Indien und Ägypten.

Heute erinnert das Hochwasserdenkmal an der Paulinenstraße/Ecke Robert-Wahl-Straße an die Katastrophe. Auf dem Granit-Obelisken wird der 41 Menschen gedacht, die in den Fluten ihr Leben ließen.