"Er ist auf Erden kommen arm" – Wolfgang und Ferdinand Ehni, die Evangelische Kantorei und die Arcademia Sinfonica interpretieren Bachs Weihnachtsoratorium im Gottesdienst in der Balinger Stadtkirche. Foto: Meinert Foto: Schwarzwälder Bote

Religion: Gottesdienst in der Stadtkirche bringt mit Bach-Kantate Jubel über die Geburt Jesu zum Ausdruck

Den Jubel über die Geburt Jesus Christi haben die Evangelische Kantorei und die Arcademia Sinfonica im Gottesdienst am ersten Weihnachtsfeiertag in der Balinger Stadtkirche mit der ersten Kantate aus Bachs Weihnachtsoratorium prunkvoll mit Pauken und Trompeten zum Ausdruck gebracht.

Balingen. Eine Kantate des Weihnachtsoratoriums in ihrer ursprünglichen Funktion als Kantate innerhalb einer festlichen Liturgie erleben zu dürfen, ist ein seltenes und wertvolles Geschenk – ermöglicht durch das hohe sängerische Potenzial der Evangelischen Kantorei, die in diesem Gottesdienst zugleich als Konzertchor und als Kirchenchor in Erscheinung trat, und durch die Gesamtkirchengemeinde Balingen, die die finanziellen Mittel für Orchester und Solisten zur Verfügung gestellt hat. Ermöglicht aber auch durch eine Predigt, die den Kontext des Werks beeindruckend in die Liturgie des Tages eingebunden hat.

Der Eingangschor "Jauchzet, frohlocket" wurde zum fulminanten Einzug, dessen Botschaft im Gemeindelied "Fröhlich soll mein Herze springen" aufgegriffen wurde. Nach Eingangswort, Amen, Psalmgebet, Eingangsgebet und Glaubensbekenntnis folgte als Lesung das Rezitativ des Evangelisten, kunstvoll vorgetragen durch Tenor Johannes Kaleschke. Die Rolle des kommentierenden Zwischengesangs nach der Lesung übernahmen Arioso und Arie, die von Mezzosopranistin Mirjam Kapelari einfühlsam interpretiert wurden, virtuos begleitet von der Arcademia Sinfonica und Ferdinand Ehni an der Orgel. Das Wochenlied wurde ersetzt durch den Choral "Wie soll ich dich empfangen", den die Gemeinde mit der zweiten und dritten Strophe nahtlos übernahm. Dass hierbei sowohl von Bach als auch von der Gemeinde die Melodie von "O Haupt voll Blut und Wunden" verwendet wird, ist ein subtiler Hinweis auf die spätere Passion des neugeborenen Jesuskindes.

In seiner zweigeteilten Predigt machte Pfarrer Christof Seisser den Satz "Alles wird auf Anfang gesetzt" zur zentralen Aussage, die sich wie ein roter Faden durch den gesamten Gottesdienst zog: So habe Kaiser Augustus, dessen Regierung den Anfang einer zweihundertjährigen Friedensepoche setzte, mit der ersten Volkszählung "alles auf Anfang gesetzt" und damit die Voraussetzung geschaffen, dass die Geburt Jesu in Bethlehem erfolgte, der Stadt Davids, die den Anfang für das Leben des späteren Königs David setzte. Während die Volkszählung aus weltlicher Sicht der Anfang einer neuen Ära gewesen sei, so Seisser, sei aus Sicht des Glaubens die Geburt und Menschwerdung Gottes der Anfang einer neuen Ära geworden.

Unterbrochen wurde die Predigt durch den Evangelisten, der die Geburt Jesu beschrieb, und durch den Choral "Er ist auf Erden kommen arm" als sechste Strophe des Luther-Chorals "Gelobet seist du, Jesu Christ", den Bach mit einem Bass-Rezitativ ergänzt. Torsten Müller kommentierte den Choraltext durch sein Rezitativ und kündigte in der anschließenden Bass-Arie "Großer Herr und starker König" die Macht des Neugeborenen.

Pfarrer Seisser führte die Predigt fort und beschrieb die Geburt aus Sicht der Eltern. Für jedes Elternpaar sei die Geburt des ersten Kindes ein besonderes Ereignis, das "alles auf Anfang" setze. Das Leiden aller Eltern bestehe darin, das Schicksal des Kindes in fremde Hände geben zu müssen. Die Macht über die Entwicklung des Kindes abgeben zu müssen, könne nur dadurch gelöst werden, die Zukunft des Kindes Gott anzuvertrauen. Schließlich stellte Seisser die Frage, warum der Retter der Menschheit in Gestalt eine kleinen Kindes erschienen sei, und lieferte auch die Antwort: Nur die Wandlung von Macht in Liebe könne die Welt weiterbringen. So setze Gott mit Jesus als Liebe verlangendes Kleinkind alles auf Anfang.

Als Lied nach der Predigt sang die Kantorei aus dem Weihnachtsoratorium den Choral "Ach mein herzliebes Jesulein", den die Gemeinde mit den beiden letzten Strophen des Lutherchorals "Vom Himmel hoch, da komm’ ich her" fortführte. Nach Fürbittengebet und dem "Vater Unser" folgte mit "Gelobet seist du Jesu Christ" ein weiterer Gemeindechoral mit Texten von Martin Luther. In einem kunstvoll improvisierten Orgelvorspiel griff Ferdinand Ehni das Themenmotiv des Eingangschors auf und modulierte es zur Choralmelodie. Zum Abschluss griff der Gottesdienst die Symmetrie der Weihnachtskantate auf, indem die Gemeinde die zehnte Strophe des Eingangschorals sang und die Kantorei nach dem Segen den Eingangschor "Jauchzet, Frohlocket" wiederholte. Dabei war allen Beteiligten die große Fröhlichkeit über die Menschwerdung Gottes anzumerken, der Wolfgang Ehni durch ein überschwängliches Tempo Ausdruck verlieh, das Sänger und Instrumentalisten in ein jubelndes Forte umsetzten.