Stefan Herre gehört dem neuen Landtag an. Foto: Maier

Überlegungen nach der Wahl: Stefan Herre geht davon aus, dass sich seine Partei in der Region fest etablieren wird.

Balingen - Nach der Wahl am Sonntag stehen für die künftigen Abgeordneten des Wahlkreises Balingen weitere Entscheidungen an. Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) will prüfen, in welchem Umfang sie ihre bisherigen Mandate und Ämter weiterführen kann. Die AfD hat derweil eine nachhaltige Verwurzelung in der Region im Auge. Und die SPD? Sie leckt ihre Wunden.

Nicole Hoffmeister-Kraut ist am Montagmorgen, nach dem Erreichen des Direktmandats im Wahlkreis Balingen, telefonisch schwer zu erreichen. Ihr Handy klingelt unentwegt. Trubel.

Von der Hektik anstecken lassen will sich die 43-Jährige derweil nicht. Wie es mit ihren Mandaten und Ämtern weitergeht, wenn sie ihre neue Aufgabe als Abgeordnete für die CDU im Stuttgarter Landtag antritt, sei noch nicht entschieden. Da mache sie sich "keinen Stress", sagt die Balingerin.

Sie wolle auf sich zukommen lassen, wie genau der Alltag als Abgeordnete aussehe – und ob dann noch Zeit bleibt für anderes. Hoffmeister-Kraut ist für die CDU im Balinger Gemeinderat; bei der Kommunalwahl 2014 war sie sogar Stimmenkönigin. Deshalb sei sie "schon enttäuscht", dass sie in ihrer Heimatstadt bei der Landtagswahl mit 27,6 Prozent nur den zweiten Platz hinter den Grünen und deren Kandidaten Erwin Feucht (30,5 Prozent) geholt hat. Ebenso sitzt Hoffmeister-Kraut im Kreistag des Zollernalbkreises und ist Mitglied im evangelischen Kirchengemeinderat in Balingen und Vorsitzende des Elternbeirats der Sichelschule. Ob das alles unter einen Hut passt?

Klar sei, sagt Hoffmeister-Kraut, dass sie "gute Arbeit auf allen Ebenen" leisten wolle. Gerade der Kontakt zur Basis sei ihr persönlich sehr wichtig, das sei das Fundament ihrer politischen Arbeit. Deshalb wolle sie keines ihrer derzeitigen Mandate im Gemeinderat- und im Kreistag und auch keines ihrer Ämter vorschnell aufgeben.

Zur künftigen Zusammenarbeit mit Stefan Herre, der für die AfD im Wahlkreis das Zweitmandat geholt hat, äußert sich Hoffmeister-Kraut zurückhaltend. Man müsse sehen, wie sich die AfD im Landtag positioniere.

Stefan Herre geht davon aus, dass sich die AfD in der Region, auch der Wahlkreis Hechingen-Münsingen hat mit Hans Peter Stauch nun einen AfD-Landtagsabgeordneten, fest etablieren werde. Daher sei auch die Einrichtung eines Wahlkreisbüros geplant – ob für beide Wahlkreise gemeinsam, steht laut Herre noch nicht fest. Der 24-Jährige hat in der Nacht nach seinem Wahlerfolg jedenfalls "gut" geschlafen und zeigt sich am Tag danach noch immer überrascht von dem "ganz tollen Ergebnis" seiner Partei – insgesamt und auch in den Wahlkreisen innerhalb des Regierungsbezirks Tübingen, in dem man drei Abgeordnete stelle. "Die kenne ich gut", sagt Herre, die anderen seiner künftigen Fraktionskollegen werde er noch kennenlernen.

Wie es bei ihm beruflich weitergehen wird, sei noch nicht klar. Herre ist freiberuflich tätig. "Wie sich das entwickelt, muss sich zeigen. Wir sind ja Neulinge im Politikbetrieb und müssen noch viel dazu lernen." Klar sei, dass der parlamentarische Betrieb in Stuttgart einen Großteil der Arbeitskraft und -zeit in Anspruch nehmen werde.

Der frisch gewählte Landtagsabgeordnete ist davon überzeugt, dass sich die AfD langfristig als politische Kraft im Land etablieren werde. Bereits bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr werde sich zeigen, "dass wir nicht nur eine kurzzeitige Erscheinung sind". Die CDU habe große Teile ihrer bisherigen Wählerschaft dadurch enttäuscht, dass sie immer weiter in die Mitte gerückt sei und konservative Werte aufgegeben habe. "Wir füllen dieses Vakuum aus", betont Herre. Dies sei sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland zu beobachten.

Den Erfolg der AfD führt er allerdings nicht nur auf das Flüchtlingsthema zurück. Ein Verdienst der AfD sei vielmehr, viele Nichtwähler mobilisiert zu haben, die in den etablierten Parteien keine politische Heimat mehr gefunden hätten.

Herre will sich im Landtag für regionale Themen wie den Ausbau der B 27 einsetzen: "Da muss man Druck machen." Dazu liegt ihm die Stärkung der Polizei, eine andere Flüchtlings- und Asylpolitik sowie der Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems samt Förderung der Realschule am Herzen. "Nicht jeder muss das Abitur machen. Wirtschaft und Handwerk brauchen gute Fachkräfte", betont er. Was jedoch gar nicht gehe, sei die "Frühsexualisierung" im Kindergarten und in der Schule. "Das lehnen wir total ab."

Die Enttäuschung über das Wahlergebnis der SPD und das Abschneiden der SPD- Landtagskandidatin Angela Godawa ist groß. Dass sich die Umfragen am Wahlabend bewahrheiten und der SPD im Wahlkreis Balingen mit 9,9 Prozent ein historisches Tief bescheren würden, damit hätte keiner gerechnet, sagt Kreisvorsitzender Alexander Maute. Und doch: "Der Blick richtet sich nach vorne", gibt er sich kämpferisch. "Das Ergebnis lässt wenig Spielraum zur Schönfärberei", so Maute weiter. Dabei habe Angela Godawa einen engagierten Wahlkampf geführt. Ihr sei es aber nicht ausreichend gelungen, mit politischen Inhalten die Wähler zu überzeugen und mit den Erfolgen der SPD aus der Vergangenheit und den Vorstellungen für die Zukunft dieses Landes durchzudringen.

Aus solch einem Wahlergebnis müsse man für künftige Wahlkämpfe Rückschlüsse und Konsequenzen ziehen. "Das wird nach intensiven Beratungen in den Gremien der Partei auch so passieren", kündigt der SPD-Kreisvorsitzende an. Eines dürfe man von der SPD vor Ort dagegen nicht erwarten: den politischen Rückzug. Der AfD und ihrem neuen Landtagsabgeordneten Stefan Herre traue die SPD im Zollernalbkreis nicht zu, die Interessen des Wahlkreises Balingen verlässlich und kompetent in Stuttgart zu vertreten. "Gewählt zu werden ist das eine, mit dieser politischen Verantwortung sorgsam umzugehen, ist das andere", so Maute.

"Wir sind über die erzielten 8,3 Prozent sehr glücklich", hält der FDP-Kreisvorsitzende Siegfried Rall fest. "Wir haben es jedoch nicht geschafft, uns als Alternative für die unzufriedenen Wähler von CDU und SPD darzustellen." Die Situation im Landtag werde schwierig. Vor allem in qualitativer Hinsicht trete nunmehr eine Schwächung der Parlamentsarbeit "durch drittklassige Abgeordnete der Grünen oder der AfD ein", so Rall weiter. Diese Wahl sei für die Partei ein sehr wichtiger Schritt, auch hinsichtlich der nächsten Bundestagswahl. Rall ist sich sicher: "Die FDP wird wieder benötigt."