Hält Geschichte lebendig: die Schellenbergbrücke. Foto: Stock Foto: Schwarzwälder-Bote

Schellenbergbrücke wird heute 100 / Technisches Kulturdenkmal

Von Michael Stock

Balingen. Brücken verbinden, überwinden Hindernisse, prägen Landschaften wie Städte. Und sie können Symbol für erlebte Geschichte sein, wie die Balinger Schellenbergbrücke. Sie wird heute 100 Jahre alt.

Am Anfang der Geschichte steht Niemandsland. Dann kam das Jahr 1911 und veränderte alles in der Umgebung hinter dem Heuberg. Eine Esslinger Maschinenfabrik erhält von der Königlich Württembergischen Staatsbahn einen Auftrag. Eine Brücke solle man bauen. Der Grund: Durch den Bau der neuen Bahnlinie von Balingen nach Rottweil wurde eine schnelle Verbindung zwischen der heutigen Sichelschule und der Innenstadt nötig. "Weg-Überführung" nennen es Behörden in ihrem Materialverzeichnis des Bauwerks.

Was sich in dem Dokument sonst noch findet, lässt ahnen, wie schweißtreibend das Handwerk gewesen sein muss. 31714 Nietköpfe, das entspricht einem Gewicht von 2485 Kilogramm, hämmern die kräftigen Arbeiter in den Stahl. "Die Köpfe wurden von Schmieden heiß gemacht, mit einem Steckeisen hat man den Platz fixiert, wo die Niet reinkommt. Eins ums andere, nicht wie bei einer Maschine", erklärt Waldemar Rehfuß vom Balinger Bürgerverein.

Bei ihm schlummern die Archivalien. Dann zieht er ein Bild hervor, das rußgeschwärzte Gastarbeiter auf einer zeitgenössischen Aufnahme zeigt. Flacheisen, Gitterstäbe, Bögen – rund 80 Tonnen Stahl veranschlagen die Planer. "Gebaut wurde gemäß dem Heiß-Nietverfahren, genau so wie beim Pariser Eiffelturm", weiß Rehfuß. Die massive Konstruktion sollte sich auszahlen. Beide Weltkriege hat die 24 Meter lange Brücke überlebt.

Just an diesem Ort hatte übrigens zuvor ein Unternehmer namens Schellenberg sein Domizil errichtet. Daher der Name für das spätere Bauwerk. Mit Fertigstellung der Brücke entpuppt sich das Gebiet um den Heuberg rasch als attraktives Wohngebiet. Rasend schnell werden Häuser hochgezogen, die Sichelschule 1924 errichtet. Die Querung wird für 80 Jahre den einen als nützliche Straße dienen, andere nennen ihn den Heldenweg.

Denn "wer Held sein wollte, ist zum Beispiel auf dem Weg zur Schule auf einem der Bögen rübergelaufen. Das galt als Mutprobe", erzählt Rehfuß. Wenn ein Zug darunter hindurch fuhr, sei man stehen geblieben und habe sich "anrußen" lassen. "Pingelig waren wir nicht, man hat sich kurz durchs Gesicht gewischt und ist weiter in den Unterricht. Ich war auch dabei".

Die Gründe für den Abriss waren nicht Abnutzung oder mangelnde Funktionsfähigkeit, sondern die Straßenausbaupläne der Stadt. Um sie vor der Verschrottung zu bewahren, bildeten 1990 fünf Balinger Bürger, darunter Rehfuß, die Interessengemeinschaft "Historische Schellenbergbrücke". Sie kauften das Material, lagerten es in Geislingen und Dotternhausen und machten sich für den Wiederaufbau stark.

"Der Gemeinderat war anfangs gar nicht begeistert", erinnert sich Rehfuß. Mit einer Stimme Mehrheit entschied sich das Gremium schließlich, die Brücke als Fußgängersteg über die Eyach zwischen der Roller- und Hindenburgstraße wieder aufzubauen, unter einer Bedingung: Dass sich der Bürgerverein mit 50 000 Euro an den 90 000 Euro Gesamtkosten beteilige. "Wir mussten ganz schön strampeln, um das Geld zusammenzukriegen. Aber was tut man nicht alles für so ein technisches Denkmal. So etwas kriegt man nie wieder", schwärmt Rehfuß.

Der Heimatforscher und die treibende Kraft beim Spenden sammeln hatte das von vielen unmöglich Geglaubte geschafft. Fast 92 Jahre später, am 17. Januar 2003, setzte Rehfuß als erster wieder einen Fuß auf die nun restaurierte Brücke. "Das ließ ich mir nicht nehmen", sagt er.