Abgeknickt wie Streichhölzer: Im Baiersbronner Ortsteil Röt mähte der Sturm ein ganzes Waldstück nieder. Foto: Rothfuß

Sturm richtet vor allem in Baiersbronn schwere Schäden an. 180 Einsatzkräfte im Einsatz.

Kreis Freudenstadt - Der Name "Lothar" machte schnell die Runde: Das schwere Unwetter, das in der Nacht von Samstag auf Sonntag über den Kreis Freudenstadt hinwegzog, erinnerte nicht nur die Einsatzkräfte an den Orkan von 1999. Auch diesmal hat der Sturm die Gemeinde Baiersbronn schlimm erwischt.

Eingeklemmte Menschen, Unfälle, Erdrutsche, beschädigte Dächer, vollgelaufene Keller, Überschwemmungen und Massen umgestürzter Bäume, abgeknickt wie Streichhölzer: "Wie im Schulbuch" für den Katastrophenfall seien ihm Zahl und Verschiedenartigkeit der eingegangenen Notrufe vorgekommen, berichtete Martin Frey gestern Mittag nach einer nicht nur für ihn kurzen Nacht. Zahlreiche Kollegen des Gesamtkommandanten der Baiersbronner Feuerwehr waren zu dieser Zeit immer noch im Einsatz.

Am späten Samstagabend war das schwere Unwetter mit Sturmböen, Starkregen und zum Teil auch Hagel über Baiersbronn und die Schwarzwaldhochstraße hereingebrochen. Ab 23 Uhr ging bei Polizei und Rettungsleitstelle eine Vielzahl von Anrufen ein, die Schäden aller Art zum Inhalt hatten. Martin Frey, der die Einsatzleitung im Baiersbronner Feuerwehrgerätehaus hatte, sprach gestern von 110 Einsatzstellen im Gemeindegebiet – "von Schönmünz- ach bis zum Ruhestein".

Die Eindrücke aus der Nacht bestätigen dies. Feuerwehrfahrzeuge kamen in Baiersbronn aus allen Richtungen – und fuhren in alle Richtungen. 28 Fahrzeuge, 180 Einsatzkräfte waren unterwegs – alle Baiersbronner Abteilungen und Hilfe aus Freudenstadt, von wo weitere Feuerwehrleute und das Technische Hilfswerk (THW) angefordert worden waren. Spätestens als parallel ein auf ein Auto gestürzter Baum und ein eingeklemmter Fahrer auf der Verbindungsstraße von Mitteltal zum Kniebis sowie ein Wohnungsbrand in Tonbach gemeldet worden seien, sei klar gewesen, dass die Baiersbronner Kräfte die Auswirkungen des Sturms nicht alleine bewältigen können, erklärte Frey. Die Feuerwehr befreite den Mann aus seinem Auto. Er und seine ebenfalls verletzte Beifahrerin, die sich hatte aus dem Wagen befreien können und zu Fuß Hilfe geholt hatte, wurden ins Krankenhaus gebracht. Der "Brand" in Tonbach entpuppte sich als harmlose Rauchentwicklung.

Feuerwehr gerät selbst in Gefahr

Vom Sturm war Tonbach allerdings schwer betroffen. "Da sieht's bitterböse aus", formulierte es Martin Frey. In der Pudelsteinhütte waren in der Nacht 20 Menschen eingeschlossen. Die Feuerwehr kam erst gar nicht zu ihnen durch. Mit schwerem Gerät war ein Forstunternehmer mit einem Spezialfahrzeug im Einsatz, um sie zu befreien. Auch die Feuerwehr selbst geriet in Gefahr: Ein umstürzender Baum bohrte sich durch die Frontscheibe eines Einsatzwagens. Mehr sei zum Glück nicht passiert, so Frey.

Von "Glück im Unglück" wusste gestern auch Sebastian Finkbeiner, Junior-Chef der "Traube Tonbach", zu berichten, der sich an Orkan Lothar erinnert fühlte und nach einer aufregenden Nacht noch immer erschüttert war. Am Hotel habe der Sturm ein Dach auf einer Fläche von fast 300 Quadratmetern "abgehoben und seitlich weggetragen", so Finkbeiner im Gespräch mit unserer Zeitung. In zwei Zimmer drang Wasser ein, die Gäste wurden umquartiert. "Vom Schaden her sind wir relativ glimpflich davongekommen." Finkbeiner dankte der Feuerwehr und einem örtlichen Zimmermann, die mit vereinten Kräften eine Folie aufs Dach gehämmert und so weitere Gäste vor einem Umzug bewahrt hätten.

In Mitteltal und Obertal waren zu dieser Zeit Menschen in den dunklen Straßen zu beobachten, die mit Taschenlampen und größeren Strahlern anderen Licht spendeten, die wiederum Baumteile von Gehwegen zerrten oder über Leitern Dachziegel ersetzten.

Auf der B 500 im Bereich Zuflucht waren laut Polizei mehrere Bäume auf die Straße gestürzt und hatten diese blockiert. Aus demselben Grund waren auch die Zufahrtsstraßen über Oppenau, Bad Griesbach und Obertal zeitweise gesperrt. Das THW Freudenstadt sperrte die B 500 und räumte Bäume zur Seite, damit dort festsitzende Autofahrer weiterfahren konnten. Die Straßenmeisterei räumte weitere blockierte Straßen an der B 294 und in Göttelfingen.

Auch im Murgtal wütete der Sturm erheblich. Insbesondere auf der Bundesstraße 462 zwischen Huzenbach und Heselbach waren mehrere Bäume auf die Fahrbahn gestürzt, und es war zu Erdrutschen gekommen, die die Straße teilweise blockierten. Sie wurden mit einem Schaufellader beseitigt. In Heselbach stürzte ein großer Baum auf ein Haus. Durch Geröll wurde die Bahnstrecke zwischen Röt und Huzenbach stark beschädigt. Gestern war in diesem Bereich den ganzen Tag über ein Schienenersatzverkehr im Einsatz.

Partiell schwerste Schäden richtete der Gewittersturm in den Wäldern des oberen Murgtals an. Besonders betroffen sind die Waldbestände rund um Röt. Entwurzelte oder abgerissene Stämme auf der kompletten Waldfläche dürften manchem Privatwaldbesitzer die Tränen in die Augen treiben. Das gesamte Ausmaß der Schäden ist wohl erst in den kommenden Tagen erkennbar. Anhand der Art der Schäden ist aber abzulesen, dass die Geschwindigkeiten des Sturms mit denen von "Lothar" vergleichbar sind.

Fast überall, wo am Wochenende Feste gefeiert wurden, habe der Sturm die Zelte weggerissen, sagte Martin Frey. In Huzenbach, wo die Feuerwehr ihr 125-jähriges Bestehen beging, habe das Zelt zwar gehalten, sei aber total überflutet worden. In Göttelfingen, wo die Sportfreunde ihr 90-Jähriges feierten, mussten während des Sturms 250 Besucher aus dem Festzelt evakuiert werden. Sie wurden ins Bürgerhaus gebracht, das nach dem Stromausfall, von dem weitere Gemeinden betroffen waren, mit Notstrom versorgt war. Zum Feiern war den Gästen in dieser Nacht allerdings nicht mehr zumute.

In Baiersbronn waren die Einsatzkräfte und auch Bürgermeister Michael Ruf, der in der Einsatzleitung mithalf, noch lange wach. Bis 6 Uhr am Sonntag seien die Helfer im Einsatz gewesen, berichtete Martin Frey, einzelne Feuerwehrabteilungen und der Bauhof der Gemeinde auch noch tagsüber, um Straßen und Wege zu räumen. "Die Aufräumarbeiten werden noch ein paar Tage in Anspruch nehmen", vermutete der Feuerwehrkommandant.