Beim Abschluss der Literaturtage Nordschwarzwald in Baiersbronn (von links): Ko-Kurator Walle Sayer, Autor Kai Wieland, Zimmerer Thomas Springmann sowie die Kuratoren Sascha Falk und Matthias Kehle. Foto: Keck Foto: Schwarzwälder Bote

Literaturtage: Kai Wieland setzt mit Lesung in der Zimmerei Schleh den Schlusspunkt hinter die aktuelle Auflage des Poetenfestivals

Mit einer Lesung von Kai Wieland in der Zimmerei Schleh endeten die siebten Literaturtage Nordschwarzwald. Der Jungautor, er ist gerade mal 30 Jahre alt, erwarb mit seinen Lebensgeschichten aus dem Roman "Amerika" auf Anhieb die Sympathien des Publikums.

Baiersbronn. Thomas Springmann vertrat den Firmenchef und freute sich darüber, dass die Zimmerei erneut Gastgeber sein konnte. Verschmitzt merkte er an, dass Kai Wielands Auftritt auch Anlass gewesen sei, die Werkhalle richtig aufzuräumen. Matthias Kehle, Ko-Organisator der Literaturtage, moderierte die Lesung.

"Amerika" entfaltet keine aktionsbeladene Handlung. Es geht um Lebensentwürfe und verpasste Gelegenheiten einer Handvoll Personen, die sich im Schankraum eines Lokals im fiktiven Ort Rillingsbach in der schwäbischen Provinz trifft. "Boizerin" Martha steht dem "Schippen" vor, einem Lokal, das über die Jahrzehnte hinweg seinen ehemals "formidablen Ruf" eingebüßt hat. Hier, wo sich die Stammgäste eingerichtet haben und man so ziemlich alles vom anderen weiß, versucht ein Chronist, auf die Geschichten hinter den Gesichtern zu kommen.

Der Mikrokosmos aus der Chefin Martha, dem kleinen Alfred mit den wässrigen Augen, dem übellaunigen Frieder und Hilde mit dem Beinamen "die Wilde" begegnet dem Reingeschneiten zunächst mit Misstrauen. Gibt es doch im Ort auch einen ungeklärten Todesfall mit dem Kopfschlächter Erwin, der eines Morgens mit "einem fleischigen Loch im Gesicht", verursacht von einer Gewehrkugel, im Holzschuppen gefunden wurde. Mord, Selbstmord? Für die Polizei ist der Fall klar: Suizid! Im schwäbischen Wald wollte man sich nicht unnötig mit Geschichten von Eigenbrötlern herumschlagen. Spekulationen über die wahren Hintergründe sind seinerzeit ins Kraut geschossen und halten noch an.

Nach und nach geben die Erzähler ihre Zurückhaltung auf, aber der Chronist registriert, dass die Erinnerungen lücken- und fehlerhaft sind. Wer würde seine eigene Geschichte, so sie denn öffentlich werden sollte, nicht gerne kosmetisch behandeln? Am Ende fühlt sich der Chronist unwohl: "Es ist ein wenig, als habe er das Dorf nackt gesehen und schämte sich nun dafür."

Erstaunliche erzählerische Reife

Kai Wieland legt in seinem Debütroman eine erstaunliche erzählerische Reife an den Tag. Der Text fließt stilistisch ausgefeilt, nirgends holpert es. Lediglich die Lesegeschwindigkeit hätte man sich etwas moderater vorgestellt. Dass er zudem seinen schwäbisch unterlegten Duktus nicht verhehlte, gereichte ihm nach Ansicht eines Besuchers durchaus zur Ehre.

Wielands Überraschungscoup auf literarischem Gebiet ist auch mit das große Verdienst seines Lektorats, das Ecken und Kanten schleifte und ihn zu sachlichen Ergänzungen ermutigte. Dass das Werk überhaupt erschien, verdankt er dem Internet. Nach erfolglosen Angeboten an Verlage stellte sich zunächst verständlicher Verdruss ein. Schließlich schaffte er es, in das Finale des Preises der Literaturblogger in Hamburg einzuziehen und dort eine gute Rolle zu spielen. Man wurde auf ihn aufmerksam und so fand er seinen Verlag.

Der Titel des Buchs erklärt sich daraus, dass über dem Tresen des "Schippens" eine ausgebleichte amerikanische Flagge hängt als besondere Reminiszenz an die Historie. Aber "Amerika" hat auch mit einer Reise Alfreds über den großen Teich zu tun. Er hatte einen "Narren an dem Land gefressen" und legte eine "oftmals peinlich anmutende Schwärmerei für Countrymusic, Barbecue-Smoker, erschossene amerikanische Politiker und, natürlich, Hollywood" an den Tag. Sehnsucht nach dem Großen wegen der Bedeutungslosigkeit des Kleinen! Oder Urbanität statt Provinz.

Erschrocken sei er, so Kai Wieland, über die Qualifizierung von Großkritiker Denis Scheck, der in ihm einen "schwäbischen William Faulkner" sieht. Die Fallhöhe des amerikanischen Nobelpreisträgers zu ihm irritiere ihn. Schließlich attestierte dem studierten Buchwissenschaftler das Publikum eine "wohltuende Darstellung" seiner Person und seines Werks.

Zum Schluss war es an Ko-Kurator Sascha Falk, dem Schriftsteller für dessen "sympathische, inhaltvolle Lesung" zu danken. An das Publikum appellierte er, dem Angebot der künftigen Literaturtage und der Kreisvolkshochschule gewogen zu bleiben.

Die Gäste hatten noch die Gelegenheit, am Stand der Buchhandlung Osiander Ausgaben zu besorgen und von Karl Wieland signieren zu lassen.

Das Buch: Kai Wieland, Amerika, Roman, Klett-Cotta-Verlag Stuttgart 2018, 240 Seiten gebunden, 20 Euro.