Es sind absurde Zustände, die momentan auf der Kulturbahn zwischen Nagold und Pforzheim herrschen: Völlig überfüllte Züge und Fahrgäste, die am Bahnsteig stehen bleiben müssen oder nicht aussteigen können. Die Bahn scheint dem Chaos nicht mehr Herr werden zu können – und räumt das auch ein.
Kreis Calw - Am Montag dieser Woche ist es wieder passiert: Eine Leserin, die in Unterreichenbach um 8.50 Uhr den Zug in Richtung Nagold genommen hat, konnte sich zwar noch mit Mühe durch die Tür pressen. "Fünf andere Leute mussten aber am Bahnsteig stehenbleiben. Sie wurden richtig vom Lokführer angeschnauzt, nicht mehr einzusteigen", beobachtete sie mit Erschrecken und fasst zusammen: "Es waren bestimmt zwei komplette Schulklassen mit Betreuern und Lehrern im Zug – plus die normalen Leute. Wie in der Sardinenbüchse. Die Kinder haben rumgeschubst, es war richtig schlechte Stimmung. Eine Luft da drin und dann auch noch die Masken auf."
Zu Stoßzeiten ging es in den Zügen auf der Kulturbahn zwischen Nagold und Pforzheim schon häufig eng zu, doch seitdem im Juni das 9-Euro-Ticket eingeführt wurde, ist eine neue Dimension erreicht. Fahrgäste müssen nun bangen, noch in den Zug zu kommen. Und wer einmal drin ist, der hat stellenweise Mühe, ihn an seinem Zielbahnhof wieder zu verlassen, weil Fahrräder die Türen blockieren. "Können Sie nicht an einer anderen Tür aussteigen?", heißt es dann. Wohlgemerkt: Die Kulturbahn-Züge verfügen nur über zwei Türen. Der Tiefpunkt wurde schließlich zuletzt in den Tagen vor dem Beginn der Sommerferien erreicht, als viele Schulklassen traditionell Ausflüge unternahmen.
Schlechte Kommunikation
Besonders ärgerlich: Über ihren DB-Navigator informiert die Deutsche Bahn eigentlich auf vielen Strecken, wie hoch die Auslastung eines Zuges ist. Auf der Kulturbahn ist das aber offensichtlich nicht der Fall. So berichtet auch unsere Leserin: "Ich habe vorher extra noch geschaut, aber da stand nichts. Dabei weiß ich, dass Schulklassen sich doch eigentlich bei der Bahn anmelden müssen." Ihr Wunsch: eine bessere Kommunikation.
Unsere Redaktion hat nun die zuständige Pressestelle der Deutschen Bahn in Stuttgart mit den absurden Zuständen auf der Kulturbahn konfrontiert. Angesprochen auf die Schulausflüge in den vergangenen Tagen räumt die ein: "Gruppenreisen können während des 9-Euro-Tickets im Nahverkehr nicht mehr disponiert werden. Viele Anfragen zu Gruppenreisen in den vergangenen Monaten wurden unter den damaligen Rahmenbedingungen zugesagt. Aktuell können wir nicht garantieren, dass die seinerzeit getroffenen Zusagen auch tatsächlich eingehalten werden können und eine Mitfahrt zur gewünschten Fahrplanroute möglich ist."
Überblick verloren
Doch auch abgesehen von den Schulausflügen scheint die Bahn den Überblick verloren zu haben. Die Sprecherin aus Stuttgart gesteht: "Wann und wo es in den Zügen voller werden kann, lässt sich nur schwer vorhersagen. Je nach Tageszeit, Beliebtheit der Strecke oder Rahmen wie Ferien oder Feiertag sind unsere Züge unterschiedlich stark besetzt. In den Monaten Juni bis einschließlich August ist aufgrund des 9-Euro-Tickets eine seriöse Auslastungsprognose im Nahverkehr kaum möglich. Wer einen Ausflug oder eine Urlaubsreise mit dem 9-Euro-Ticket entlang der touristischen Strecken plant, sollte mit einem höheren Fahrgastaufkommen rechnen." Man empfehle seinen Kunden, weniger nachgefragte Züge zu wählen. Wie das etwa im Nagoldtal mit seiner einzigen Bahnstrecke funktionieren soll, lässt die Pressestelle allerdings unbeantwortet.
Nicht brauchbar ist im Nagoldtal auch der Tipp der Bahn an unsere Redaktion, bei einer prognostizierten Verspätung von mindestens 20 Minuten auf den Fernverkehr umsteigen zu dürfen – denn zwischen Pforzheim und Nagold fahren überhaupt keine Fernzüge.
Keine Entschädigung
Auf eines weist die Bahn-Sprecherin zum Schluss aber noch ausdrücklich hin: Mit einer finanziellen Entschädigung haben Inhaber des 9-Euro-Tickets bei einer Verspätung nicht zu rechnen. Eigentlich ist die Bahn im Rahmen der EU-Fahrgastrechte verpflichtet, Zeitkarten-Inhabern – wozu auch das 9-Euro-Ticket zählt – 25 Prozent des Fahrpreises zu erstatten, wenn sie mindestens 60 Minuten später als vorgesehen an ihrem Ziel ankommen. Bei einem 9-Euro-Ticket wären das 2,25 Euro. Beträge unter vier Euro zahlt die Bahn jedoch nicht aus, betont die Sprecherin.