Hier fällt am kommenden Dienstag eine Entscheidung: Bahntower in Berlin. Foto: dpa

Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn soll am kommenden Dienstag zusätzlich 1,657 Milliarden Euro für Stuttgart 21 genehmigen und so das Projekt retten. Der stellvertretende Aufsichtsratschef Alexander Kirchner kann sich aber auch Alternativen zum Tiefbahnhof vorstellen.

Stuttgart – Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn soll am kommenden Dienstag zusätzlich 1,657 Milliarden Euro für Stuttgart 21 genehmigen und so das Projekt retten. Der stellvertretende Aufsichtsratschef Alexander Kirchner kann sich aber auch Alternativen zum Tiefbahnhof vorstellen.

Herr Kirchner, Stuttgart 21 steht am Dienstag auf der Tagesordnung der Aufsichtsratssitzung. Hat der Bahnvorstand alle Fragen dazu beantwortet, so dass Sie entscheiden können?
Wir haben nicht nur Fragen an den Vorstand gestellt, sondern auch an das Land Baden-Württemberg und an die Stadt Stuttgart. Wir hoffen, bis Montag alle Antworten zu haben. Dann wollen wir uns ein abschließendes Bild machen.

Stehen noch Gutachten zur Kostenentwicklung aus?
Die letzten Gutachten externer Prüfer haben uns am Mittwoch erreicht. Ob damit alle Fragen abschließend geklärt sind, kann ich erst sagen, wenn wir diese Papiere in Gänze durchgearbeitet haben.


Hat Sie der Bahnvorstand ausreichend und rechtzeitig informiert?
Ob ausreichend, kann ich erst nach Bewertung aller Unterlagen sagen. Noch können wir die erhaltenen Antworten nicht abschließend bewerten.

Und rechtzeitig?
Wir wurden spät informiert, weil noch Gutachten erstellt werden mussten. Allerdings hätte sich wohl kaum etwas geändert, wenn wir die Information ein paar Monate früher bekommen hätten.

Immerhin wären dann die Verträge von Vorständen noch nicht verlängert gewesen.
Ich glaube nicht, dass das etwas an den Vertragsverlängerungen geändert hätte.

Wie konnte es zu der gigantischen Kostensteigerung von bis zu 2,3 Milliarden Euro kommen?
Es hat sich leider mal wieder bewahrheitet, dass auch bei Stuttgart 21 das eintritt, was bei allen Großprojekten eintritt, dass nämlich zwischen Planung und Bau neue Kosten kommen. Wir brauchen deshalb künftig andere Verfahren, um realistische Annahmen zu erhalten.

Kostenexplosionen scheinen im Unternehmen Bahn eine unheilbare Krankheit zu sein.
Das ist keine Krankheit der Bahn allein, sondern eine des Systems. Wir erkennen in Berlin und Hamburg ja das gleiche Phänomen. Erst wird oberflächlich kalkuliert, in der Realität sind dann ganz andere Annahmen da. Wir brauchen ein Umdenken, nicht nur bei der Bahn. Großprojekte dürfen außerdem keine 20 Jahre mehr dauern.

„Die Bahn wollte das Projekt ja eigentlich nicht“

Warum sollen nun Land und Stadt mehr zahlen. Wo bleibt der Bund?
Bei dieser Forderung haben Sie meine volle Unterstützung. Der Bund ist Eigentümer der Bahn, und er ist verantwortlich für die Finanzierung auch der Schieneninfrastruktur. Er muss sich bei Stuttgart 21 erklären. Bisher haben wir keine Aussage von Verkehrsminister Ramsauer. Spätestens am Dienstag werden wir nochmals nachfragen.

Und wenn Ramsauer Nein sagt?
Für den Fall, dass er Nein sagt, hat der Vorstand der Bahn einen Vorschlag zur Finanzierung eingebracht. Wir müssen sehen, ob der für das Unternehmen tragbar ist.

Ist Stuttgart 21 für Sie alternativlos?
Nein, alternativlos ist das Projekt für mich nicht. Es gibt eine ganze Reihe von denkbaren Alternativen. Die Bahn wollte das Projekt ja eigentlich nicht. Die frühere Landesregierung und die Stadt haben es eingefordert. Wenn Stadt und Land bereit wären, ihre zugesagten Zuschüsse auch in ein Folgeprojekt einzubringen, wäre möglicherweise die finanzielle Grundlage für eine Alternative gegeben. Aber diese Zusage habe ich bisher nicht vernommen.

Wie würde eine solche Zusage das Abstimmungsverhalten des Aufsichtsrats beeinflussen?
Es würde das Abstimmungsverhalten hoffentlich des ganzen Aufsichtsrats beeinflussen. Dann wäre ja eine andere wirtschaftliche Grundlage da. Wenn nur der Ausstieg die Alternative ist, die Bahn die Kosten dafür aber allein tragen muss, dann stellt sie dafür kein Geld zur Verfügung. Es wäre schön, wenn sich alle Beteiligten darüber verständigen könnten, ob es eine Alternative gibt.

Könnte die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat bei Stuttgart 21 einen Deal schließen? Zustimmung gegen höhere Löhne der Mitarbeiter? Sie verhandeln gerade die Tarifrunde.
Nein, auf keinen Fall. Ich halte nichts von Koppelgeschäften. Unser Job ist es, für das Wohl des Unternehmens zu entscheiden. Allerdings: In der Tat könnte die DB AG bei einem so tollen Ergebnis auch eine vernünftige Lohnerhöhung bezahlen.

Verkehrsminister Ramsauer hat gesagt, bei Stuttgart 21 könne es kein Zurück mehr geben. Merkel und Schäuble wollen das Projekt auch. Befürchten Sie, dass die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat damit von außen nur noch als Stimmvieh wahrgenommen wird?
Wir sind auf keinen Fall Stimmvieh. Ich darf mal daran erinnern, dass wir nach dem Datenskandal bei der Bahn die Ablösung des damaligen Konzernchefs Hartmut Mehdorn eingeleitet haben. Wir als Arbeitnehmervertreter haben bewiesen, dass wir in die Sitzungen des Aufsichtsrats mit einer sehr eigenen Haltung reingehen.

Wie schwer fällt Ihnen die Entscheidung am Dienstag?
Sehr, sehr schwer. Es geht um die Zukunft des Eisenbahnknotens in Baden-Württemberg. Da sollte sich keiner die Entscheidung leichtmachen, auch die Projektpartner nicht.