Judith Bruckner mit einer 150 Jahre alten Zeichnung des Nagolder Bades. Foto: Kunert

Der Kreis Calw ist bekanntlich der "Bäderkreis". Aber Nagold rechnet man eigentlich nicht zu diesen "Bädern", den Heilbädern des Nordschwarzwalds dazu. Dabei gibt es auch hier eine immerhin 173-jährige Geschichte als Heilbad. Im Norden der Stadt, entlang des Rötenbachs. Das Rötenbad.

Nagold - Wo genau die ab 1726 als "edler Bronn" gepriesene Quelle heute liegt – da muss auch Judith Bruckner vom Nagolder Geschichtsverein sehr genau in den Lageplan des längst vergangenen Heilbads schauen. Heute hat auf dem historischen Gelände das Aus- und Fortbildungszentrum Straßenbauverwaltung seinen Sitz. Das nutzt das ehemalige, eigentliche Badehaus für Büros. Die alte "Wunderquelle" soll nördlich davon liegen, heute unter einem schnöden Gullydeckel verborgen. Nach einigen Suchen, Ausmessen und Vergleichen der alten Lagepläne mit der Situation heute legt sich Bruckner fest: "Das ist sie!" Die alte Quelle, die Nagold am Beginn ihrer "Entdeckung" zumindest einigen Ruhm einbringen sollte.

Heilendes Quellwasser im Rötenbachtal

Der ging vom damaligen Nagolder Amtsarzt David Brotbeck aus, der sich mit Beschreibungen der Quelle, ihrer Wirkungen und vermeintlichen Heilleistungen an die Obrigkeit wandte, um für Anerkennung des Nagolder "Gesundbronnen" zu werben – mit Erfolg. Aus heutiger Sicht wirken die Beschreibungen Brotbecks und seine wissenschaftlichen Erkenntnisse jedoch bestenfalls naiv: So soll der Nagolder Tuchmacher Heinrich Rockenbauch durch Zufall entdeckt haben, als er auf der von dem Quellwasser durchflossenen Wiese arbeitete: Seine schon länger schwer entzündete Hand heilte ab – was nicht nur er sofort dem heilenden Quellwasser im Rötenbachtal zuschrieb.

"Wahrscheinlich wurde die Hand mit der Wunde in dem fließenden Wasser einfach ordentlich gereinigt", analysiert Judith Bruckner mit der Rationalität der Gegenwart. Doch solche Erkenntnisse kannte das frühe 18. Jahrhundert noch nicht. Da herrschte ein aus heutiger Sicht eher romantisierender Blick auf die Heilkräfte der Natur. Zumal hier im Besonderen die hochherrschaftliche Bäderkultur im Nordschwarzwald längst weit entwickelt war – etwa in Bad Wildbad oder Bad Teinach. "Daher war da sicher auch ein wirtschaftliches Kalkül" bei den Nagoldern im Spiel, mutmaßt Bruckner – die bis vor ein paar Jahren öfter mal Interessierte auf einer Stadtführung vom Mörike-Garten hier herauf zum Rötenbach und seinem vergangenen Heilbad führte.

Eduard Mörike war der berühmteste Gast

Denn: Der über die Jahrzehnte und fast eine eindreiviertel Jahrhunderte berühmteste Gast im Nagolder Heilbad war eben der schon zu Lebzeiten bekannte Dichter Eduard Mörike. Im Jahr 1862 kurte er einige Wochen hier, fertigte in der Zeit unter anderem eine Zeichnung des Rötenbads an, das ein großes Fachwerkhaus – das damalige Wirts- und Gästehaus – mit viel Naturidylle drumherum zeigt. Vielleicht sollte es die Tragik des Rötenbads sein, dass ein Bekannter während dieses Kuraufenthalts Mörike mit dem damaligen Nagolder Apotheker und "Naturforscher" Gottlieb Heinrich Zeller bekannt machte. Eine folgenschwere Begegnung – die aus Zellers damals privaten Garten heute Nagolds Attraktion, den "Mörike-Garten", machte, weil der hier im Gartenhaus einige seiner Gedichte wirkungsreich rezitierte.

Aber zuvor hatte der bis heute Nagold prägende Apotheker Zeller auch ein ziemlich vernichtendes Gutachten über den "Gesundbronnen" in seiner Heimatstadt angefertigt. Er fand mit seinen schon deutlich wissenschaftlicheren Methoden als beim alten Brotbeck heraus, dass sich das Wasser des Rötenbads kaum von dem "normalen" Nagolder Trinkwasser unterschied. Gleichwohl war dem Rötenbad auch vorher schon kein wirklich durchschlagender Erfolg beschieden. "Die Anlagen war wohl sehr einfach", fasst Judith Bruckner beim Rundgang die Eindrücke der überlieferten zeitgenössischen Beschreibungen und Berichte zusammen. "Glichen mehr einem landwirtschaftlichen Betrieb als einem vornehmen Kurbad". So waren es wohl auch eher die einfachen Leute, die hier vor allem ihre Sommerfrische und Erholung suchten.

Gestartet war das Heilbad Rötenbach – oder auch Bad Rötenbach – dabei mit viel Ambitionen. Nachdem ein damaliger Nagolder Bürgermeister vom Pferd gestürzt war und sich schwere Quetschungen zugezogen hatte, die er mit dem Wasser des Rötenbads wieder zu heilen wusste, investierte die Stadt in einen ersten Ausbau. Ein Badhaus mit Badekabinen entstand. Doch rentabel war das alles nie, so dass die Stadt die Anlage erst zu verpachten versuchte, und dann bereits 1746 – also nur 20 Jahre nach der "Entdeckung" des Heilbrunnens – an den Tuchmacher Jakob Heinrich Essich verkaufte, dessen Familie das Heilbad einige Generationen lang betrieb.

"Es ist einfach schön hier"

Aus dem Jahr 1879 ist noch ein Brand des Wirtschaftsgebäudes überliefert – das dann moderner und größer wieder aufgebaut wurde. Noch einmal erlebt des Rötenbad eine kleine Blüte – vor allem Familien mit Kindern nutzten wohl lebhaft die idyllische Sommerfrische hier. Bevor das ganze Anwesen letztlich 1899 an die württembergische Landesversicherungsanstalt verkauft wurde. Die machte erst ein Erholungsheim für Arbeiter und Angestellte daraus, im ersten Weltkrieg ein Militärlazarett und – ein "dunkles Kapitel" – ab 1933 eine Gauführerschule für das Gau Württemberg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Rötenbad erst wieder ein Erholungsheim, vor allem für Lungenkranke. Bevor schließlich ab 1977 die Straßenbauverwaltung hier mit ihrem Ausbildungszentrum einzog – und erst vor einigen Jahren mit einer aufwendigen Sanierung den Bestand für die nächsten Jahrzehnte sicherte.

Bäderkultur der Römer

Und doch – es ist noch etwas da von der alten Magie dieses Ortes. Der, vermutet Judith Bruckner, einst auch bereits "die Römer" erlegen sein müssten. Nicht weit von hier gab’s eine "Villa Rustica", etwas südlich des heutigen Rötenhöhehofes an der Straße nach Emmingen gelegen. "Das kann eigentlich kein Zufall sein", bei der ausschweifenden Bäderkultur, die schon die alten Römer pflegten.

Auch aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges gäbe es Berichte über eben diesen Heilbrunnen im Rötenbachtal. Heute ahnt man zum Beispiel am irgendwie wirklich verwunschen wirkenden alten Kellergebäude des vergangenen Heilbades, wie es einst hier gewesen sein muss – mitten in der Natur, schwelgend im reinen Wasser. Judith Bruckner zeigt alte Bilder, hilft der Imagination nach, das Idyll am Rande des Waldes. Und trifft’s auf dem Punkt: "Es ist einfach schön hier!"