Verdopplung innerhalb dreier Jahre realistisch. Wann heulen ganze Rudel im Schwarzwald?
Bad Wildbad - 2018 war das Jahr des Wolfes für Baden-Württemberg und besonders für Bad Wildbad (Kreis Calw). Denn gerade hier sorgte "GW852m", so die offizielle Bezeichnung des Wolfs, der mittlerweile im Nordschwarzwald sesshaft geworden ist, für große Bestürzung, als bei einer Attacke des Tiers am 30. April 2018 mehr als 40 Tiere getötet wurden. Nach diesem denkbar schlechten Start in die Beziehung zwischen Raubtier und Mensch ist es um den einsamen Wolf wieder etwas ruhiger geworden.
Insgesamt gab es laut Landes-Umweltministerium im vergangenen Jahr 30 gesicherte "C1"-Nachweise in Baden-Württemberg bis zum 24. November. C1 steht für eindeutige Nachweise und harte Fakten, also entweder Lebend-fang, Totfund, genetischer Nachweis, Foto-/Videoaufnahmen oder Telemetrieortung. Von den 30 Nachweisen sind 25 aus dem Nordschwarzwald und dürften auf das Konto von "GW852m" gehen, eine genaue Identifizierung ist nur durch eine genetische Analyse möglich, Bilder reichen dafür nicht aus. Zum ersten Mal konnte dieser Wolf am 26. November 2017 nach einem Nutztierriss in Bad Wildbad-Meistern im Nordschwarzwald sicher nachgewiesen werden.
Zwischen Huzenbach und Gernsbach aktiv
Insgesamt gehen vier gemeldete Nutztierrisse in Baden-Württemberg auf das Konto von Wölfen. Den Anfang machte 2018 dabei aber nicht "GW852m", der Wolf aus dem bekannten Schneverdinger Rudel aus Niedersachsen, sondern sein entfernter Verwandter "GW883m". Der Wolf aus der Alpenpopulation oder italienischen Population riss am 14. Januar bei Sersheim in der Nähe von Ludwigsburg eine Ziege. Danach gab es nur noch im Nordschwarzwald gemeldete Nutztierrisse. Nach dem Angriff auf die Schafherde bei Bad Wildbad-Nonnenmiß im April, tötete "GW852m" zwei Schafe in Baiersbronn-Huzenbach (Kreis Freudenstadt) – ein Lamm war danach ebenfalls verschwunden. Vier Schafe wurden schließlich am 7. September in Gernsbach-Reichental (Kreis Rastatt) Opfer von "GW852m".
EU-Kommissar Hogan erläutert Pläne in Berlin
Bei der EU ist man unterdessen einigermaßen erstaunt über die Schärfe, mit der in Deutschland über die Wolfspolitik gestritten wird. Aus anderen EU-Staaten kennt man dies so nicht. In den sogenannten FFH-Richtlinien ist der Schutz bedrohter Tierarten verankert. Daran soll auch nicht gerüttelt werden. Besagte Flora-Fauna-Habitat-Bestimmungen sollen der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen dienen. Angestrebt wird für die Wolfspopulation ein "guter Erhaltungszustand", so der entscheidende Begriff. Bislang sei dieser europaweit noch nicht erreicht.
Bei der EU-Kommission hat man allerdings erkannt, dass die Politik geschädigte Nutztierhalter "nicht im Regen stehen lassen kann", wie ein Kommissionssprecher es formuliert. Bestätigt wird unser Zeitung der Vorstoß von EU-Kommissar Phil Hogan, der es ermöglichen soll, Tierhalter bis zu 100 Prozent für Schutzmaßnahmen vor dem Wildtier sowie Schäden durch Wolfsrisse zu entschädigen. Schon an diesem Freitag wird Hogan dem zuständigen Bundestagsausschuss in Berlin seine Pläne erläutern. Für die umfassende Unterstützung der Tierhalter bedarf es Änderungen der Beihilferegelungen. Die Vorstellung der Kommission in Brüssel: Landwirte und Schäfer sollen nach Wolfsrissen in ihrem Viehbestand "möglichst keine Nachteile haben".
Verdopplung innerhalb dreier Jahre realistisch
Ein Wolfsmanagement mit begrenzten Beständen und wolfsfreien Zonen hatte zuletzt das Aktionsbündnis Forum Natur (AFN) gefordert. Nach Schätzungen des Deutschen Jagdverbandes (DJV) wächst die Zahl der Wölfe in Deutschland jedes Jahr um etwa 30 Prozent. Eine Verdopplung der Population innerhalb von drei Jahren sei realistisch.
Die im AFN zusammengeschlossenen Verbände der Grundeigentümer und Landnutzer fordern, die einzelnen Bundesländer sollten eine Obergrenze definieren, die auch die Weidetierwirtschaft garantiert. Sie sprechen sich für drei Kategorien aus. So könnten sich die Wölfe in Schutzarealen wie großen Waldgebieten oder auf Truppenübungsplätzen unbeeinflusst entwickeln. In Managementarealen würde der Wolf grundsätzlich toleriert werden, seine Bestände sollen aber auf Basis der Akzeptanzgrenzen in den einzelnen Ländern reduziert werden. In Ausschlussarealen mit hohem Konfliktpotenzial werden territoriale Rudel nicht geduldet.
Naturfreunde betrachten das unterdessen nicht nur fachspezifisch. Der Theologe und Forstwissenschaftler Friedrich Burghardt sieht es beispielsweise als eine Aufgabe der Kirche an, sich im Geiste der Bergpredigt für die Rechte der Tiere und der Natur einzusetzen. In seinem Vortrag bei der Tourismusmesse CMT rief der Mitarbeiter des Wildtiermanagements Nationalpark Schwarzwald die Kirchen dazu auf, einen Beitrag dazu zu leisten, dass Wildnisgebiete nicht in ihrer Eigenart durch politischen Druck verwässert werden und durch Massentourismus zum Ramschniveau verkämen.