Historiker Chaim Eisenberg aus Tel Aviv (Martin Olbertz, links) und der schwäbische Großbauer Adolf Oberhuber (Franz Xaver Ott) im Rededuell über ihre Vorfahren. Foto: Bechtle Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Schauspieler von "Lindenhof Melchingen" begeistern ihr Publikum auf ungewohntem Terrain

Zwar mag das Klubhaus des 1. FC Calmbach auf den ersten Blick ein ungewöhnlicher Ort für eine Theateraufführung sein, doch der Erfolg gibt dem tournierenden Theater "Lindenhof Melchingen" Recht. Am Ende feiert das Publikum die Gäste mit reichlich Beifall.

Bad Wildbad-Calmbach. "Wenn die Leute nicht ins Theater kommen, dann muss das Theater eben zu den Leuten kommen!" Diese Aussage eines Schauspielers realisieren die Tourneetheater, die ihre Aufführungen auf den Bühnen unterschiedlicher Orte anbieten. Das Theater "Lindenhof Melchingen", einem Stadtteil von Burladingen, ist das einzige Regionaltheater Deutschlands und besteht seit über einem Vierteljahrhundert. Es spielt allerdings nicht nur auf Theaterbrettern, sondern auch in Schulen, Gasthäusern, Gerichten, Kirchen, Gefängnissen und anderen manchmal recht ungewöhnlichen Orten. Und dies mit großem Erfolg.

Am Freitagabend war ihr erster Auftritt in der Gaststube des Klubhauses des 1. FC Calmbach mit dem ziemlich genau vor einem Jahr uraufgeführten Stück "Chaim und Adolf". Wenn man den Titel hört, empfindet man bereits den Widerspruch, denn Chaim ist ein jüdischer Name und Adolf erinnert an die schreckliche Zeit des Dritten Reichs.

Stefan Vögel (geboren 1969 in Bludenz), ein österreichischer Theaterautor und Kabarettist, hat "Chaim und Adolf" geschrieben, in dem es um die Begegnung eines israelischen Touristen mit einem schwäbischen Bauern in einem Gasthaus geht. Zunächst nichts Außergewöhnliches, denn Chaim Eisenberg, von Beruf Historiker, kommt schon seit Jahren in das gleiche Gasthaus und spielt gerne Schach. Er begegnet dabei einem scheinbar überlegenen Schachgegner, dem Großbauern Adolf Oberhuber, der Chaim mit "Heil, ich bin der Adolf" begrüßt. Dass damit Ressentiments geweckt werden ist klar, auch wenn sich Adolf entschuldigt, dass man das hier eben so sage, und es gebe ja auch Skiheil, Petriheil, Jagdheil oder Schachheil.

Ein Spiel mit spitzen Argumenten

Während des Schachspiels wird deutlich, dass auch Chaim hervorragend spielt. Aus der Unterhaltung erfahren die anderen Gäste des Restaurants, dass Chaims Großmutter, eine verheiratete polnische Christin, bei Oberhubers Großvater (der auch Adolf hieß) als Zwangsarbeiterin eingesetzt war und die beiden sich liebten. Chaim hat ein Foto dabei, das auf der Rückseite von Adolf beschriftet worden war. Ihr jüdischer Ehemann hatte Auschwitz überlebt und nach seiner Rückkehr übersiedelten sie nach Palästina, wo sie nach fünf Monaten einen Sohn zur Welt brachte, Chaims Vater.

Dass Chaims Großvater ein schwäbischer Bauer war, erfuhr Chaims Vater allerdings erst nach dem Tode des Großvaters, der dies niedergeschrieben hatte, sodass also schließlich Chaim und Adolf echte Cousins waren.

Das Stück "Chaim und Adolf" lässt sich nicht als Komödie oder Drama einordnen, es ist ein Schauspiel mit ausgezeichneten oft spitzfindigen Argumenten beider Seiten, die bisweilen in Wut und dann wieder in Komik ausarten. Denn die Wahrheit weiß Chaim bereits, als Adolf erst zugibt, dass sein Großvater Ortsbauernführer war und während des Krieges sieben polnische und ukrainische Zwangsarbeiterinnen auf seinem Hof beschäftigt hatte.

Versöhnlicher Ausgang befriedigt Publikum

Auch der Wirt Martin, Nachbar der deutschen Großmutter, ahnte dies, denn jährlich wurden ihm von einem Unbekannten 5000 Dollar überbracht, die er an Adolfs Großmutter weitergab – eine Art Schweigegeld. Während des Krieges wurden Liebschaften zwischen "Herren und Untermenschen" streng bestraft, und nach dem Krieg in Israel jüdische Mütter mit Kindern von christlichen Vätern bloßgestellt, verachtet und ausgegrenzt.

Chaim hatte vor einigen Jahren den Berghut von Adolfs Vater für 50 Euro gekauft, und nach einer DNA-Analyse eines Haares festgestellt, dass sein Großvater auch Adolfs Großvater war.

Es waren 90 Minuten perfektes Theater, das die Wirtshausgäste hautnah miterlebten, mit glänzenden und einzigartigen Rededuellen, typischen Ausreden, heiklen Feststellungen und Behauptungen überaus spannungsgeladen, bis Adolf in Wut das Schachbrett vom Tisch fegte. In dem Stück "Chaim und Adolf" geht es darum, womit man auch heute noch zu kämpfen habe, "nämlich überhaupt das auszusprechen und zu benennen, was geschehen ist. Denn wie im Stück erbt sich dieses Schweigen und die damit verbundenen Schuldgefühle bis heute über Generationen fort, wodurch die Nachfahren im wahrsten Sinne des Wortes ›stillschweigend‹ zu Komplizen werden, wenn nicht der Taten, so doch zumindest des Schweigens", so Autor Stefan Vögel. Das Stück um die einzigartige Lebensgeschichte der beiden Protagonisten endet versöhnlich nach dieser Spurensuche in der Vergangenheit.

Die beiden Schauspieler Martin Olbertz als Chaim Eisenberg und vertretungsweise Franz Xaver Ott in der Rolle des Adolf Oberhuber verstanden es ausgezeichnet, die Handlung der so gegensätzlich scheinenden Charaktere von Chaim und Adolf hervorragend umzusetzen und, für die Gäste durchaus erlösend, zu einem undramatischen Abschluss zu führen. Ergänzt wurde das Schauspiel durch den Wirt Martin (Peter Höfermayer). Ott führte zudem Regie. Mit einigen "jiddischen Liedeln", darunter "L’Chaim" (Auf das Leben), boten die beiden Schauspieler mit Gitarrenspiel und Rhythmus-Ukulele einen Abschluss, den das begeisterte Publikum mit langem und herzlichem Beifall belohnte.

"Chaim und Adolf" wurde von der Volkshochschule Calw und der Projektgruppe "Spuren jüdischen Lebens in Wildbad" veranstaltet.