Tagebuch: Berichte einer Vertrauten der Kronprinzessin

Eveline von Massenbach (1830-1904), Hofdame und Vertraute der Kronprinzessin und späteren Königin Olga von Württemberg, berichtet in ihrem Tagebuch aus einer Zeit mit strenger Etikette und höfischen Zeremonien.

Bad Wildbad. Vor 30 Jahren erschien dieses Buch. In ihren Erinnerungen hat die in Stuttgart geborene Baronin von 1851 bis 1866 ein Abbild ihrer Zeit und Umgebung hinterlassen. Sie gibt als aufmerksame Beobachterin Einblicke in das höfische Zeitgeschehen sowie Reisen mit dem württembergischen Kronprinzenpaar in europäische Residenzen und mondäne Badeorte, bei denen sie viele Staatsoberhäupter ebenso wie Künstler kennenlernte.

Belebende Kur in Wildbad

Zu den Kuraufenthalten des württembergischen Königshauses zählte neben Kissingen, Brückenau, Schlangenbad und Bad Ems auch der ärztlich empfohlene Badeort Wildbad, dem damals einzigen Kurbad in Württemberg. Auslösender Faktor für den Besucherstrom an Kurgästen ist eine Veröffentlichung des Londoner Allgemeinmediziners Augustus Bozzi Granville (1783-1872), der Wildbad im Jahr 1837 unter den "Spas of Germany", also den Thermen des deutschsprachigen Raums, als Nummer eins titulierte. In seiner Schrift wirbt er für die heilende Kraft der Mineralwässer und beschreibt diese als großen Segen für den unter körperlicher Krankheit leidenden Menschen und ist damit Auslöser für die vielen weiteren Gäste – darunter auch gekrönte Häupter – von denen Wildbad in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts profitiert. Durch die verwandtschaftlichen Beziehungen zum württembergischen Königshaus rieten auch russische Ärzte am Hof von Petersburg der Zarin Alexandra Fjodorowna (1798–1860) zu einer solch "belebenden Kur in Wildbad".

Im Juni 1856 reiste die Mutter von Kronprinzessin Olga aus gesundheitlichen Gründen zur Badekur in den kleinen Schwarzwaldort. Ihr Arzt ist Dr. Ludwig aus Berlin, der sich eine "nachhaltige Hilfe von einer Kur in Wildbad" verspricht und sein Vertrauen hauptsächlich auf das Wasser setzt, "das er der Zarin in kleinen Mengen zu verschiedenen Stunden zu trinken vorschreibt", erinnert sich Baronin von Massenbach, die am 25. Juni in ihr Tagebuch notiert: "Die Tage vergehen hier gleichförmig, sind angenehm, nicht unbequem. Frühstück um halb acht Uhr – an den Tagen wo ich Dienst habe großer Spaziergang mit der Kronprinzessin – dann habe ich frei bis zum Mittagessen um zwei Uhr, sofern mich die Zarin nicht rufen lässt, um ihr vorzulesen". Üblicherweise speiste dann die Baronin an der "Marschallstafel", die sich "bis vier Uhr hinzieht".

Im Anschluss folgten lange Spaziergänge in die Umgebung. Massenbach schwärmt: "Die Wege für alle Spaziergänge sind reizvoll, mit feinem Sand bestreut, der (auch bei Regen) keine Spuren hinterlässt, so dass man jeden schönen Augenblick nützen kann" und abends trifft man sich um halb neun bei ihrer Majestät im Salon, wo es Lektüre und Unterhaltung gibt. Um die schlechten Augen zu schonen lässt sich die 62-jährige Zarin die Biografie von Stein (Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein 1757-1831, Reformer in Preußen) vorlesen. Ein Privileg für Massenbach, bei dem ihr unvergessen bleibt, dass sie von der Zarin, der ältesten Tochter von Königin Luise und geborene Prinzessin Charlotte von Preußen, unterbrochen wird, indem diese "in inniger Weise ihre Erinnerungen an die Königin Luise zitierte".

Durch die Anwesenheit der Zarin gab es zusätzlichen Besuch in Wildbad. Die Großherzogin Stephanie von Baden, Nichte der Kaiserin Josephine Beauharnais, ebenso wie König Wilhelm und Königin Pauline von Württemberg, taten ihr Möglichstes, um "den ersten Besuch der Zarin im Lande zu ehren und erschienen abwechselnd in Wildbad". Bei so viel Prominenz strömten auch "Neugierige aller Art" in den Kurort, um dort Zar Alexander I. (1818-1881) zu sehen, der "seine Mutter mehrere Male von Kissingen aus mit einem Besuch" überraschte. Dann wurden in dem großen Saal des Hotel Bellevue "thé dansants" improvisiert.

In England wurde der "Tanztee" als private nachmittägliche Gesellschaft schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführt. Er begann üblicherweise zur Teezeit um 16 Uhr und endete gegen 19 Uhr. Dabei wurde aber nicht nur getanzt. Neben Tee und kleinen Appetithäppchen diente die gesellschaftliche Veranstaltung dazu, Gleichaltrige des anderen Geschlechts kennenzulernen und damit eine meist erfolgreiche Heiratspolitik zu führen. In der adeligen Gesellschaft diente die Heirat in erster Linie dazu, den Fortbestand des Geschlechtes und des Familienbesitzes zu sichern. Gesellschaftliches Ansehen erlangten daher die Töchter des Adels erst durch eine Heirat. Wirtschaftliche Versorgungschancen nutzten allerdings auch einige wenige durch das Amt einer Hofdame oder Gouvernante, um sich damit einen hohen Rang in der Hofgesellschaft zu verschaffen und somit Karriere zu machen.

1856 wurde in Wildbad Großfürst Michael Nikolajewitsch Romanow (1832-1909), der vierte Sohn von Zar Nikolaus I. und Charlotte von Preußen, dann Prinzessin Cäcilie Auguste von Baden (1839-1891) versprochen. Am 11. Juli notiert die Baronin: "Das ist die Neuigkeit, die seit einer Stunde durchs Haus eilt". Die 16-jährige Prinzessin, wird als "frisch, braun, hat schöne Augen" beschrieben und Massenbach fügt hinzu: "Sie muss sich wie im Himmel fühlen, einen so charmanten Verlobten zu haben".

In das Jahr 1856 fällt auch ihre Notiz über den berühmten Gesellschaftsmaler Franz Xaver Winterhalter (1805-1873), dessen Bilder bis heute unsere Vorstellung von herausragenden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts prägen: "Sitzungen für das Portrait." Gemeint ist das Gemälde von Kronprinzessin Olga von Württemberg, das 2006 für die stolze Summe von 1,58 Millionen Euro für das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart ersteigert werden konnte. Das Gemälde von Franz Xaver Winterhalter zeigt die russische Großfürstin, Olga Nikolajewna Romanowa in einem weißen Ballkleid mit Rosenblüten im Schoß. Die strahlende Erscheinung Olgas, die überall Bewunderung auslöste wirkt dank "Winterhalters Inszenierungskunst" bis heute. Der Bildnismaler der europäischen Hocharistokratie wurde 1864 ein zweites Mal an den württembergischen Hof gerufen, um ein offizielles Staatsportrait von Olga als Königin mit Diadem und Katharinenorden in großer Robe zu malen, wie Massenbach berichtet. Mehr als 40 Jahre lang war Eveline von Massenbach die Hofdame und Vertraute der Kronprinzessin und späteren Königin Olga von Württemberg (1822-1892).