Gabriel Stängle (rechts) bei seinem Vortrag über die Judenverfolgung im Kreis Calw. Foto: Bechtle Foto: Schwarzwälder Bote

Vortrag: Gabriel Stängle berichtet über die "Ausgrenzung und Vernichtung der Juden im Kreis Calw"

Für Lehrer Gabriel Stängle war ein Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten der Anstoß, etwas mit Schülern zum Thema "Anders sein. Außenseiter in der Geschichte" zu erarbeiten. Daraus entstand das Projekt "Ausgrenzung und Vernichtung der Juden im Kreis Calw".

Bad Wildbad. Stängle, Realschullehrer an der Christiane-Herzog-Realschule in Nagold, berichtete im voll besetzten VHS-Raum der Bad Wildbader Forum König-Karls-Bad über diese Arbeit, die ihren Niederschlag im Buch "Wir waren froh, als es vorbei war" fand.

Dabei setzte Stängle seinen Schwerpunkt auf das Ausmaß der Judenverfolgung im Kreis Calw, in besonderem Maß auf den westlichen Teil des Kreises, also unter anderem Wildbad, Enztal und Herrenalb.

In einem geschichtlichen Rückblick stellte Stängle dar, dass in der frühen Neuzeit keine Juden in dem Raum wohnten, da die Niederlassung von Juden im Herzogtum Württemberg seit 1477 verboten war. Dagegen gab es in Baden zahlreiche jüdische Gemeinden.

Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gab es im Landkreis Calw einen stetigen Zu- und Wegzug jüdischer Mitbürger. In Kurorten wie Wildbad und Herrenalb betrieben Juden Hotels und Pensionen. In Wildbad waren dies das koscher geführte Hotel Weil (Max Weil), das einen Betsaal hatte, sowie das Hotel am Kurgarten (Aurel Radowitz).

In Herrenalb standen das Hotel Schwarzwaldhof Sternen (Familie Weil) und die Pension Fortuna (Familie Scheer) unter jüdischer Leitung.

Wurde in ländlichen Orten der Viehhandel von Juden betrieben, so waren es in den Kurorten jüdische Kurärzte, so in Wildbad Max Günzburger, der in der Wilhelmstraße während der Sommermonate seine Praxis von 1919 bis 1938 führte, in Neuweiler Eugen Marx, der gleichzeitig Badearzt in Teinach war.

Weitere typische Berufe waren im kaufmännischen Bereich. In Wildbad hatten die Schwestern Babette und Johanna Freund ein Geschäft für Kurzwaren, in Schömberg führte die Familie Eckstein eine Drogerie, in Calw das Ehepaar Michelson ein Manufakturwarengeschäft. Allerdings bestand in keinem der genannten Orte aktives jüdischer Gemeindeleben, sondern diese Familien waren gut integriert.

Die Ausgrenzung der Juden begann im November 1933, als die Juden in den württembergischen Oberämtern systematisch erfasst wurden, wozu auch jüdische Ehefrauen christlicher Ehemänner sowie deren Nachkommen gehörten. 1935 wurde durch das Buch "Deutscher, kaufe nicht beim Juden" zum Boykott jüdischer Geschäfte und Firmen aufgerufen.

Gleichzeitig wuchsen die Propagandaaktivitäten gegen die Juden. Auch von den Gemeindeverwaltungen erfolgten ausgrenzende Vorschriften, die Stängle beispielhaft an einem Schreiben vom April 1937 des Wildbader Bürgermeisters Paul Kießling erläuterte. Juden wurde die gemeinsame Nutzung der Bäder mit Nichtjuden verboten, was sich zuerst nur auf inländische Juden bezog.

1935 untersagte der Wildbader Gemeinderat, eine jüdische Pension in der Kurstadt zu errichten, da "der Zuzug jüdischer Kurgäste nicht auf diese Weise noch gefördert werden darf".

Zu Bürgern zweiter Klasse geworden

Durch die Nürnberger Gesetze wurden Juden zu Bürgern zweiter Klasse gestempelt und Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden verboten. Mit der Reichspogromnacht im November 1938 verstärkte sich der Druck auf Juden erheblich. Juden mussten "Sühneleistungen" in nicht unerheblicher Höhe bezahlen, sie wurden vom sozialen Leben ausgeschlossen durch Ausgangsbeschränkungen, durften keine Radios und Telefone besitzen und mussten schließlich den Judenstern tragen.

In den Kriegsjahren 1939 bis 1945 wurden die Juden deportiert. Anfang Dezember 1941 ging der erste große Transport mit etwa 1000 Juden aus Württemberg nach Riga in Durchgangs- oder Vernichtungslager.

Im Sommer 1942 liefen die meisten Deportationen über Theresienstadt (Tereszin in Tschechien), wo auch Max Günzburger starb.

Juden aus Herrenalb und Schömberg wurden von dort nach Treblinka und Auschwitz transportiert und ermordet, Aurel Radowitz starb im November 1942 im Konzentrationslager (KZ) Auschwitz.

Am 12. Januar 1945 gab es in Wildbad ein Geheimtreffen zwischen dem SS-Reichsführer Heinrich Himmler und dem Schweizer Altbundespräsidenten Jean-Marie Musy, in dem vereinbart wurde, dass alle zwei Wochen 1200 bis 1300 Juden aus den KZs in die Schweiz und von dort in die USA gebracht werden sollten. Am 5. Februar 1945 verließ der erste und einzige Zug Theresienstadt, der zwei Tage später in Kreuzlingen ankam. Als Hitler von dieser Vereinbarung erfuhr, verbot er sofort jeden weiteren Transport und enthob Himmler von seinen Ämtern.

Gabriel Stängle, der Referent des Vortragsabends, betonte, dass für ihn solche Vorträge schwierig seien, weil er sich intensiv mit den Schicksalen dieser Menschen beschäftigt habe. In der regionalen Erinnerung spiele die "Shoa," der nationalsozialistische Völkermord an den Juden, kaum eine Rolle, obwohl eine nicht geringe Anzahl von Bürgern aus dem Kreis Calw dabei umkamen. Die "Decke des Schweigens, die heute noch besteht, muss durchbrochen werden", so Stängle in seinem Fazit.