In den Sommermonaten verlegt Renate Maier ihr Büro auf die sonnenbeschienene Terrasse des Familienwohnsitzes. Dort hat sie sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem der Arbeit in verschiedenen kommunalen und kirchlichen Gremien gewidmet. Foto: Ferenbach Foto: Schwarzwälder Bote

Renate Maier hat den besonderen Blick. Nicht nur von ihrem hoch

Renate Maier hat den besonderen Blick. Nicht nur von ihrem hoch über Calmbach in der Mittleren Steige gelegenen Haus über das Enztal und die umliegenden Wälder. Sondern auch im übertragenen Sinn: den Blick über den Tellerrand und über den Kirchturm hinaus.

(kf). Neben der Verabschiedung von Renate Maier als Vorsitzende bestimmen fast nur Wahlen die Tagesordnung der konstituierenden Sitzung der Kirchenbezirkssynode am Donnerstag, 24. September, ab 17 Uhr in der Stadthalle Neuenbürg. Nach der Zuwahl neuer Mitglieder wird der oder die neue Vorsitzende der Synode gewählt. Es folgen die Wahlen zum Kirchenbezirksausschuss und zum Diakonischen Bezirksausschuss. Weiterhin wird über die neue Zusammensetzung des Leitungskreises Erwachsenenbildung und des Netzwerkes 60 plus entschieden. Zur Wahl stehen ferner die Bezirksvertreter für die Besetzungsgremien für Gemeindepfarrstellen sowie für das Dekans- und das Schuldekanswahlgremium.

Bad Wildbad-Calmbach. Und im Alter von zwischenzeitlich 77 Jahren auch den – durchaus zufriedenen – Blick zurück auf 50 Jahre Ehrenamt, sowohl im kirchlichen als auch im kommunalpolitischen Bereich. Sämtliche ehrenamtlichen Funktionen – bis auf den Bibelgesprächskreis – hat sie bereits abgegeben. Und am Donnerstag, 24. September, wird sie nach 26 Jahren als Vorsitzende der Bezirkssynode verabschiedet.

"Bei all meinen Aufgaben hat es sich für mich als wichtig und zielführend herausgestellt, gestalterisch zu wirken und neben den kirchlichen auch in den kommunalen Gremien dabei zu sein. Es werden die gleichen Themen behandelt wie etwa die demografische Bevölkerungsentwicklung, wenn auch zum Teil aus unterschiedlichen Blickwinkeln", meint Maier im Interview mit dem Schwarzwälder Boten. Und ist schon mitten drin im Thema des Projektes, das sie im evangelischen Kirchenbezirk Neuenbürg über sechs Jahre intensiv begleitet hat und dessen Ergebnisse in der gebundenen Dokumentation "Veränderungen gestalten – Demografischer Prozess im Kirchenbezirk Neuenbürg 2013 bis 2018" festgehalten wurden. "Da berühren sich Kommunal- und Kirchenpolitik im Hinblick auf Bedarfsentwicklungen in Kindergärten, Altenheimen, Familienbildung oder Diakonie und den damit verbundenen Herausforderungen", schildert Maier, die von 1989 bis 2020 Zweite Vorsitzende im Kirchenbezirksausschuss (KBA), von 1989 bis 2013 und von 2017 bis 2020 Mitglied im Kirchengemeinderat Calmbach (davon 2001 bis 2013 Zweite Vorsitzende) und von 1999 bis 2014 Mitglied im Gemeinderat der Stadt Bad Wildbad (UBKL-Fraktion) war.

Zudem gehörte sie von 1999 bis 2009 der Fraktion der Freien Wähler im Kreistag des Landkreises Calw an. "Die Kirche ist Teil der Gesellschaft und steht keineswegs außerhalb, muss aber lernen, in größeren Einheiten – wir reden heute von Distrikten – zu denken und zu agieren", ist die Calmbacherin überzeugt. Besonders die stetige Abnahme an Kirchengemeindemitgliedern stimmt sie nachdenklich. "Bei sinkender Geburtenrate und hoher Sterbeziffer an älteren Gemeindegliedern blieben den Kirchengemeinden immer weniger Mitglieder, was durch die nach wie vor hohe Anzahl an Kirchenaustritten noch verschärft werde. "Da brechen zum einen finanzielle Mittel weg, zum anderen bekommen wir immer weniger Pfarrstellen zugewiesen", führt Maier aus. Der Schwerpunkt der Projektbegleitung in mehreren Arbeitsgruppen mit mehr als 100 Beteiligten lag bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen und der Altersgruppe 60 plus. Auch der vierte Pfarrplan für den Kirchenbezirk ist laut Maier in das Konzept mit eingeflossen.

Die am 6. Mai 1943 als Pfarrerstochter in Bad Urach geborene und in Schorndorf aufgewachsene Mutter von vier Kindern und vierfache Großmutter kam 1969 mit ihrem Mann Ulrich nach Calmbach. Dieser war zum Bürgermeister der damals noch selbstständigen Gemeinde gewählt worden. Die studierte Grundschulpädagogin unterrichtete noch bis zur Geburt ihrer ersten Tochter an der Grund- und Hauptschule in Calmbach. Nach anfänglichen Vertretungen schied sie mit der Geburt der weiteren Kinder schließlich aus dem Schuldienst aus.

Erste weibliche Spitze

Während der Familienphase war sie aber immer wieder als Dozentin für Deutsch als Zweitsprache beim Berufsförderungswerk und bei der Volkshochschule tätig. Im Jahr 1970 übernahm sie beim örtlichen CVJM den Mädchenkreis, den sie bis 1973 leitete, ehe sie dann den Jugendkreis für weitere zehn Jahre führte.

Über den Mitarbeiterkreis und den CVJM-Ausschuss wurde sie schließlich an die Spitze des lange Zeit von Männern dominierten Vereins gewählt und war von 1976 bis 1991 dessen erste weibliche Vorsitzende. "An den zum Teil merkwürdigen Kommentaren habe ich mich nicht weiter gestört", schildert sie ihre Erfahrungen. Im Gegenteil, auch beim evangelischen Jugendwerk Neuenbürg wurde sie nach drei Jahren Mitgliedschaft in dessen Bezirksarbeitskreis im Jahr 1973 als erste Frau zunächst zur Zweiten und drei Jahre später zur Ersten Vorsitzenden gewählt.

1982 gab sie das Amt ab, um dann 1989 ihre ehrenamtliche Arbeit im Kirchenbezirk als Mitglied im Kirchenbezirksausschuss fortzusetzen. Auch hier erinnert sie sich noch gut an den Tag ihrer Wahl zur Vorsitzenden im Jahr 1995. "Es gab bereits einen männlichen Kandidaten, als ich in der Sitzung von der Synode vorgeschlagen wurde. Ich nahm die Herausforderung an und wurde zu meiner großen Überraschung tatsächlich gewählt", so Maier rückblickend. "Alle Beteiligten sind mit dieser neuen Situation gut klargekommen und die Synode ist seither auch von der Besetzung deutlich weiblicher geworden. Zudem haben mir mein Beruf und meine sonstigen Ämter das Handwerkszeug mitgegeben, um diese Position entsprechend auszufüllen", führt Maier, die auch langjähriges Mitglied im Ausschuss und Leitungskreis der Evangelischen Erwachsenenbildung Nördlicher Schwarzwald war, aus. Erst nachdem ihr Mann im Jahr 1990 nach zwei Amtsperioden als Bürgermeister von Bad Wildbad ausgeschieden und der zeitliche Abstand groß genug war, ließ sie sich auf Wunsch ihres persönlichen Umfeldes in den Gemeinderat der Bäderstadt wählen. "Da mein Mann schon als Bürgermeister und danach bis 2011 als Aufbauhelfer Ost in den neuen Bundesländern oft unterwegs war, musste ich vieles alleine machen und entscheiden. Allerdings war es mir und meinem Mann auch stets wichtig, sich eine eigene Meinung zu bilden, weshalb wir uns eigentlich nie zu kommunalpolitischen Themen ausgetauscht haben", berichtet Maier.

Vier Dekane – Werner Zeeb, Martin Holland, Werner Trick und Joachim Botzenhardt – hat Maier in ihren vier Amtsperioden als Vorsitzende der Kirchenbezirkssynode erlebt. "Ich konnte mit allen gut zusammenarbeiten, auch wenn man sich in manchen Dingen immer wieder umgewöhnen musste", meint sie. Gerne denkt sie auch an die Kirchenbezirkstage zurück, die zuletzt alle drei Jahre stattfanden und in deren Organisation sie stark eingebunden war. "Eigentlich hätte er in diesem Jahr in Bad Wildbad stattfinden sollen. Aber wegen Corona ist ja alles anders", gibt sie zu verstehen. "Zu meinem Leben gehörte von Anfang an dazu, sich für Menschen einzusetzen, die Hilfe und Begleitung brauchen. Daneben die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat und das Voranbringen des sozialen Raums", beschreibt Maier ihre Motivation für jahrzehntelanges ehrenamtliches Engagement, zu dem auch ihre Arbeit mit Migrantenkindern zur Förderung der Sprachfähigkeit sowie ihre Mitgliedschaft und Mitarbeit im Förderverein Ludwig-Uhland-Stift gehören. Jetzt möchte sie erst einmal abwarten, welche Aufgaben noch auf sie zukommen. "Ich bin offen, werde mich aber nicht aufdrängen", betont die Hobbygärtnerin, die dank ihres großen Gemüse- und Obstgartens samt kleinem Weinberg quasi Selbstversorgerin ist und sich immer auf den Besuch ihrer weit verteilten Enkelkinder freut. "Ich sehe all mein Tun und Wirken als große Bereicherung an. Es sind tolle Erfahrungen, die ich sonst nicht hätte machen können und die meinen Horizont erweitert haben." Sagt es und lenkt entspannt den Blick auf die langsam sich neigende Nachmittagssonne über den Schwarzwaldwipfeln.