Drei Wochen pflegte Rolf Berlin den verletzten Bussard. Foto: Fuchs

Senior-Chef von Hotel Krone-Lamm findet verletztes Tier am Straßenrand. Herz für Vögel.

Bad Teinach-Zavelstein/Calw-Speßhardt - Wenn über Rolf Berlin gesagt wird, er habe schon wieder einen Vogel, dann ist das ganz wortwörtlich gemeint. Ob Bussard, Elster oder Krähe, der Inhaber des Familienunternehmens Hotel Krone-Lamm nimmt sich gerne der kranken und verletzten Federtiere an.

"Mein Vater hat früher Brieftauben gezüchtet", sagt Berlin. So sei er schon mit Vögeln aufgewachsen und habe früh gelernt, sie einzufangen. Eine Nummer größer ist sein aktueller Mitbewohner, den er im ehemaligen Hühnerstall des Theurerhofs bei Speßhardt untergebracht hat.

Den historischen Hof aus dem frühen 17. Jahrhundert hat der Senior-Restaurant-Chef vor vier Jahren erworben. Noch sieht alles sehr marode aus, doch die Bauarbeiten sind in vollem Gange. Mit viel Liebe zum Detail will Berlin den Hof restaurieren. "Die Kinder übernehmen nun langsam das Restaurant, da muss ich ja auch noch etwas zu tun haben", erklärt der Mann und lacht. Tiere wolle er sich anschaffen und die oberen Räume sollen an Gäste vermietet werden, die in historischem Ambiente feiern wollen. Bereits Ende 2019 könne der Hof voraussichtlich in Betrieb genommen werden.

Von Artgenossen angegriffen

Den Bewohner des Hühnerstalls scheint der Baulärm nicht sonderlich zu stören. Berlin öffnet die Tür zum Holzschuppen. Drinnen sitzt ein Bussard auf der Hühnerstange. "Ich war in Stuttgart und musste auf dem Rückweg wegen einer Baustelle über Bad Wildbad fahren", erklärt er. "Kurz vor dem Autohaus Braun habe ich den Greifvogel am Straßenrand entdeckt." Ein kurzer Blick genügte Berlin, um zu sehen, dass das Tier am Boden flattert und nicht wegkommt. Er habe sofort angehalten und dabei einen anderen Bussard wegfliegen sehen. Es schien, als habe dieser seinen Artgenossen angegriffen. Berlins Bussard blieb am Boden liegen. "Ich habe ihn in einen Mantel gepackt, in den Kofferraum gelegt und bin losgefahren", erinnert er sich. Daheim habe er einen großen Käfig für den Gast herausgesucht. Den habe er für die letzten Pflege-Vögel schon des Öfteren gebraucht. Der Bussard habe keine offensichtlichen Wunden gehabt, doch ein Flügel sei demoliert gewesen.

Sofort habe er bei Achim Klumpp in Baiersbronn angerufen, das sei die erste Adresse, wenn es um verletzte Wildvögel gehe. Der habe ihm zwei Möglichkeiten vorgeschlagen. "Ich hätte selbst mit dem Vogel zum Tierarzt gehen, oder auch zwei Tage warten können, um zu sehen, ob es von alleine besser wird." Berlin entschied sich für die zweite Variante. Nach zwei Tagen habe sich der Bussard tatsächlich gut erholt gehabt. "Die frohe Nachricht konnte ich Achim Klumpp überbringen. Aber ich musste ihm auch sagen: Der Vogel sitzt auf meiner Hand!" Es sei sehr ungewöhnlich, dass wilde Vögel derart zutraulich werden. Daraufhin hatten die Männer eine Vermutung. "Gut möglich, dass der Bussard schon bei Menschen aufgewachsen ist. Vielleicht wurde er schlecht ausgewildert", erklärt Berlin. Das wäre fatal, weil damit die Wahrscheinlichkeit sinke, dass er in freier Natur alleine klar komme.

Dass Berlin den Vogel gefunden hat, ist nun drei Wochen her. Anfangs habe er nur auf dem Boden gesessen, nun sitze er meistens auf der Stange.

Berlin geht zu seinem Patienten und streichelt ihn. Der Vogel lässt es sich gefallen. "150 Gramm Rindfleisch hat er pro Tag gebraucht", sagt Berlin. Außerdem habe Klumpp gesagt, Berlin solle Hundehaare ins Fleisch mischen. Für den Vogel sei das gesund. An alle Anweisungen habe sich Berlin gehalten und damit hat er für den Bussard getan, was er konnte. "Ich habe mir fest vorgenommen, ihn heute fliegen zu lassen", kündigt er an.

Ein wenig ungut ist ihm zumute, als er mit dem Vogel unter dem Arm nach draußen geht.

Auf der Suche nach eigenem Revier

Ob er sich Sorgen mache, dass der Bussard nicht alleine zurechtkomme? "Eindeutig ja", sagt er. "Aber was wäre die Alternative? Ich kann ihn nicht ewig eingesperrt lassen. Und selbst wenn ich es könnte, das wäre kein Leben für einen Wildvogel." Damit lässt Berlin seinen Bussard schweren Herzens ziehen. Fliegen kann er noch gut. Auf dem nächsten Baum landet er auf einem Ast. Ein paar Sekunden vergehen. Und dann kommen die ersten Krähen. Sie umkreisen den Bussard. Es sieht aus, als würden sie ihn angreifen. Mehr Krähen kommen und noch dazu zwei weitere Bussarde. Berlins Vogel fliegt vor ihnen davon, doch es scheint nicht, als würden sie ihn in Ruhe lassen.

Die Horde bewegt sich in Richtung Waldrand und Berlin rennt los. Er will seinen Vogel noch nicht aus den Augen verlieren. Irgendwann bleibt er auf offenem Feld stehen, als die Vogelschar hinter dem Waldrand verschwindet. "Dass er es in den Wald geschafft hat, ist schon einmal ein gutes Zeichen", sagt Berlin, aber sehr beruhigt sieht er nicht aus. Eigenartig, dass der Bussard schon wieder angegriffen wurde, kaum dass er wieder frei ist. Gibt es Mobbing sogar bei Vögeln? "Nein. Das ist nur Futterneid", weiß Berlin. "Das ist fremdes Revier. Wenn hier ein Bussard-Pärchen ist, dann verteidigen die ihr Gebiet. Mein Bussard muss sich nun sein eigenes Revier suchen." Es bleibt nur zu hoffen, dass er es schafft.