Wie der Angeklagte seinen Vermieter angegriffen hat, weiß keiner mehr so genau. (Symbolfoto) Foto: dpa

Nachbarschaftsstreit verhandelt. Zu viele Fragen bleiben ungeklärt. Keiner erinnert sich mehr richtig.

Bad Teinach-Zavelstein/Calw - Ein Nachbarschaftsstreit, der letztendlich vor dem Amtsgericht landet. Nichts Ungewöhnliches. Wäre da nicht eine Messerattacke, an die sich irgendwie keiner mehr so recht erinnern kann.

Folgendes soll sich laut Anklageschrift am 27. und 28. Dezember 2018 in Bad Teinach-Zavelstein zugetragen haben: Zwei Nachbarn eines Mietshauses kommen sich verbal ins Gehege – der triviale Grund, wie sich später herausstellt: eine nicht sachgerecht zurückgestellte Mülltonne. Daraufhin gerät der 64-jährige Angeklagte derart in Rage, dass er seine Nachbarin mit dem wenig schmeichelhaften Wort "Zigeunerschlampe" beleidigt. Das räumt er im Laufe des Prozesses auch ein.

Vermieter thematisiert Streit des Vortages

Tags darauf spricht laut Anklage der Vermieter den Angeklagten auf die Situation des Vortags an. Im Laufe eines Gerangels soll der 64-Jährige den Vermieter mit einem zehn Zentimeter langen Messer an der Hand verletzt haben. Dass er ein Küchenmesser aus Keramik in der Jackentasche hatte, das bestreitet der Angeklagte gar nicht. Doch was genau geschah, als der Vermieter auf ihn an jenem kalten Dezembermorgen zukam, da gibt es unterschiedliche Varianten. "Der hat sofort angefangen rumzublöken, ist ausgestiegen und hat auf mich eingedroschen. Ich habe mich dann verteidigt und irgendwie muss da das Messer aus der Tasche gerutscht sein und ihn verletzt haben", gab der auf der Anklagebank sitzende Delinquent zu Protokoll. Überhaupt sei sein Vermieter ein "Psychopath", mit dem man über nichts normal reden könne. Im Haus habe es Probleme gegeben mit der Müllentsorgung, doch das habe sein Vermieter nicht gesehen und ignoriert.

Doch warum hatte der Angeklagte überhaupt ein Messer in der Tasche, als er sich an diesem Morgen mit seinem Hund auf den Weg zur Gassirunde machte? Das habe er zuvor in der Garage gebraucht und daher noch in der Tasche gehabt, so seine Erklärung.

Die erste Zeugin, die vom Angeklagten beleidigte Nachbarin, hatte nicht sonderlich viel gesehen am Tatmorgen. Das Fenster war zu, der Rollladen unten. Doch das Gehör der Frau hatte funktioniert: "Ich habe einen Schrei gehört draußen und dass jemand vor einem Messer gewarnt hat."

Sie war es auch, die dann schlussendlich die Polizei zur Hilfe rief. Der Angeklagte ging nach dem Vorfall übrigens ungerührt weiter mit seinem Hund spazieren, wurde erst später von der eingetroffenen Polizei vernommen.

Als zweiter Zeuge im Calwer Amtsgericht war dann der Geschädigte selbst geladen. Er wisse nur, dass er mit dem Messer angegriffen worden sei, nachdem er seinen Mieter zur Rede gestellt hatte, gab er an. Doch an Details, beispielsweise ob und wie der mutmaßliche Täter zugestochen haben soll, konnte er sich nicht mehr erinnern. Das schien Richter Stefan Pfaff irgendwann zu nerven: "Ich muss Ihnen hier jedes Wort aus der Nase ziehen", beklagte er sich beim Geschädigten. "Das ist mittlerweile siebeneinhalb Monate her, keine Ahnung, wie das im Detail war", gab der Zeuge zurück.

Dass der Angeklagte nach dem Vorfall aber weggelaufen war, wusste der Geschädigte noch. Paff dazu: "Das wissen Sie, aber den Kern dessen, was wir herausfinden wollen, nicht. Das finde ich ehrlich gesagt etwas unfair." Nach etwaigen Nachfragen räumte der Geschädigte ein, dass es auch sein könnte, dass er selbst angefangen habe, aggressiv zu sein. Doch schlussendlich sei der Angeklagte mit dem Messer auf ihn zugekommen, habe zudem nach ihm "getreten wie ein Weltmeister". Gleichwohl habe er das Messer zunächst nicht gesehen, gab der Zeuge an. Das machte Staatsanwältin Schmied dann doch stutzig: "Sie sprechen von einer Messerattacke, aber wie lief die ab, wann haben Sie das Messer zum ersten Mal gesehen?", hakte sie nach.

Auch das konnte der Geschädigte nicht sicher sagen, widersprach sich gar mit seiner Aussage, die er bei der Polizei getätigt hatte. Fakt ist: Nach der Auseinandersetzung hatte der Geschädigte eine Schnittwunde im rechten Zeigefinger. So weißt es jedenfalls ein ärztliches Attest aus.

Die Ehefrau des Geschädigten sprach ebenso von "Bruchteilen von Sekunden", konnte sich also auch nicht mehr ganz genau an den Tathergang erinnern. Was sie noch wusste war ein angeblicher Satz aus einem Wortgefecht aus früherer Zeit: "Da hat er gesagt ›Ich stech dich ab du Schwein‹."

Nur Stichworte, wenig Konkretes in Aussagen

Doch vom 28. Dezember 2018 wusste sie ebenso wenig zu berichten, wie ihre Vorredner. Eine klaffende Stichwunde am Finger, das Gerangel mit den Füßen und das Blut. Mehr Stichworte konnte auch die Gattin des Geschädigten nicht liefern. Wie es konkret zur Attacke kam, unter welchen Umständen oder wie sie ablief. Das wusste keiner so recht.

Das Gericht setzte nun die Hoffnung auf den letzten Zeugen, der an diesem Tag als Aushilfe dem Geschädigten zur Hand gehen wollte, und in der Nähe stand. "Es gab eine Rangelei zwischen den beiden und dabei hat der Angeklagte ein Messer gezückt", führte der Zeuge aus. Auch von einer gezielten Bewegung auf Bauchhöhe war die Rede. Doch die Aussage des Zeugen trieb derartige Blüten, dass ihn die Staatsanwältin irgendwann vor einer Falschaussage warnte. "Bei der Polizei haben Sie gesagt, keine stoßartige Bewegung gesehen zu haben", mahnte Schmied. Laut des Zeugen soll sich die Auseinandersetzung zudem auf der Straße hinter dem Auto abgespielt haben. Nach der Aktion hätte er nur noch die blutverschmierte abgebrochene Klinge auf dem Fußboden liegen sehen.

Am Ende bleibt nur die Beleidigung übrig

Doch wie und überhaupt hatte der Angeklagte genau zugestochen? Wer hatte im Laufe des Streits angefangen, handgreiflich zu werden? War das Messer aus der Tasche gefallen oder wurde es doch aktiv eingesetzt? Alles fragen, die am Ende des Prozesses nicht geklärt werden konnten, weil nicht nur die Schnittwunde im Finger, sondern vor allem die Erinnerungslücken klafften.

Weshalb auch Staatsanwältin Schmied in ihrem Plädoyer lediglich die Verurteilung wegen Beleidigung und Freispruch beim Anklagepunkt "gefährliche Körperverletzung". "Wer hat das Messer denn gesehen? Vom Stich kann keiner was sagen, wir haben dazu nichts von den Zeugen gehört", sagte die Staatsanwältin zusammenfassend. Dieser Meinung schloss sich auch Richter Pfaff an und verhängte 20 Tagessätze zu je 30 Euro Strafe wegen Beleidigung. "Am Ende bleibt eine Nachbarschaftsstreitigkeit übrig", schloss Pfaff die Sitzung.