Dehoga-Chef Rolf Berlin (links) begrüßte neben Sigmar Gabriel (Zweiter von links) auch zahlreiche prominente Gäste aus der Region. Foto: Fritsch

Ex-Außenminister und Rolf Berlin finden deutlichen Worte. Zahlreiche Gäste folgen Einladung.

Bad Teinach - Beide scheuen nicht die verbale Attacke. Beide scheuen nicht das deutliche Wort. Denn beide sind Mitglied im Verein für deutliche Aussprache. Beim Neujahrsempfang der Hotellerie und Gastronomie in Bad Teinach trafen mit Dehoga-Chef Rolf Berlin und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel zwei meinungsstarke Männer aufeinander, die sich trotz so mancher Meinungsverschiedenheit vielleicht irgendwann wiedersehen.

Das Interesse der Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Region war so groß wie selten zuvor. So viele Gäste wie lange nicht waren der Einladung des Kreisverbands des Deutschen Hotellerie- und Gastronomieverbands zum Neujahrsempfang im Residenzsaal des Hotels Therme in Bad Teinach gefolgt. Möglicherweise lag das am Ehrengast der Veranstaltung: Sigmar Gabriel von der SPD. Denn wann hat man schon einmal die Gelegenheit, einen ehemaligen Vizekanzler, einen ehemaligen Außenminister und einen ehemaligen Wirtschaftsminister in einer Person von Angesicht zu Angesicht zu erleben?

Bei aller Freude und Stolz über den prominenten Besuch hatte der Gastgeber, Dehoga-Kreischef Rolf Berlin, die politischen Samthandschuhe offenbar zu Hause gelassen. Er machte dem Gast aus Goslar unmissverständlich klar, dass in seiner Branche die Meinung über die SPD nicht unbedingt die allerbeste ist. "Die Große Koalition hat bisher viel zu viel SPD-Wirtschaftspolitik durchgebracht", hielt er seinem Gast vor und beklagte unter anderem die aktuelle Arbeitszeitregelung, die die Betriebe seiner Branche ausbremse.

"Diese Ungerechtigkeit akzeptieren wir nicht"

Darüber hinaus kritisierte Berlin die überbordende Bürokratie, die vor allem die kleinen Betriebe überfordere, und trat für eine Anhebung der Entgeldgrenze für Geringverdiener ein. Besonders kämpferisch zeigte sich Berlin beim Thema Mehrwertsteuersatz für gastronomische Leistungen. Es sei eine Ungerechtigkeit und "nicht darstellbar", dass Essensangebote zum Mitnehmen mit dem reduzierten Satz von sieben Prozent besteuert würden, das Essen im Restaurant aber mit 19 Prozent. "Diese Ungerechtigkeit akzeptieren wir nicht", machte er klar und kündigte an, dass die Branche in dieser Sache kämpfen und nicht zurückziehen werde. "Wir werden da dran bleiben", so Berlin.

Die Stimmung in seiner Branche beschrieb der Hotelier und Gastronom aus Zavelstein als zugleich "paradox" und "kritisch". Zwar stiegen die Umsätze und Übernachtungszahlen, doch kämen trotz dieser positiven Voraussetzungen am Ende nur "unbefriedigende Ergebnisse" heraus. Zudem leide die personalintensive Branche unter eklatantem Mitarbeitermangel. Konsequenz aus all dem – auch aus dem Handeln der Politik – sei, so Berlin, dass sich zwischen 2008 und 2016 im Kreis Calw die Zahl der Betriebe um 19 Prozent verringert habe. Andere müssten zumindest ihre Öffnungszeiten einschränken. Trotz all der deutlichen Kritik ging Berlin in seiner Rede auch wieder auf die Politik zu, regte nicht nur einen Dialog zwischen Gastrobranche und Regierenden an, sondern zeigte sich auch selbst dialogbereit.

Sein Gast Sigmar Gabriel störte sich offensichtlich nicht an den klaren Worten. Im Gegenteil: Sie zeigten, dass er und Berlin im gleichen Verein seien: dem "Verein für deutliche Aussprache", meinte Gabriel anerkennend, um kurze Zeit später mit eben solchen deutlichen Worten den Vorwürfen Berlins entgegen zu treten. Für den Boom der heimischen Gastronomie in der Vergangenheit sei nicht nur der niedere Mehrwertsteuersatz für Hotelleistungen sondern auch die Sicherheitslage in manchen Urlaubsländern verantwortlich gewesen, die viele Deutsche dazu gebracht habe, wieder in ihrer Heimat zu urlauben.

Bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten zeigte sich Gabriel gesprächsbereit – allerdings unter einer Bedingung: "Ich bin sehr für die Flexibilisierung, aber nur wenn Sie in der Branche einen Tarifvertrag hinbekommen", machte der Sozialdemokrat aus Niedersachsen deutlich und beklagte, dass die Tarifbindung in der Wirtschaft auf einen Wert unter 50 Prozent gesunken sei. Bei der Frage des Mindestlohns sei man im Übrigen an der Uneinigkeit innerhalb des Dehoga gescheitert, rief der ehemalige Minister in Erinnerung.

Bei aller Kritik, so Gabriel weiter, müsse die Regierung doch "irgendetwas richtig machen", sagte er unter anderem mit Blick auf die stark gestiegene Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze im Land. "Wir haben derzeit das beste Deutschland, das wir je hatten", stellte der Ex-Außenminister fest. Doch in diesem Deutschland müsse trotzdem einiges passieren. Eindringlich forderte Gabriel, überall mehr für kleine Kommunen zu tun. Genau dafür könne und solle man den in die Diskussion geratenen Solidaritätszuschlag verwenden. Darüber hinaus müsse man deutlich mehr in Bildung investieren.

In der Folge weitete der ehemalige Vizekanzler den Fokus und richtete ihn auf Europa. Angesichts des drohenden Brexit gehe es derzeit darum, ob Europa in Zukunft in der Welt überhaupt eine Rolle spielen wird – neben den großen Zwei, China und den USA. "Wir werden viel tun müssen, um Europa zu erhalten", mahnte Gabriel.

Am Ende zollte der prominente Gast seinem Gastgeber dann doch noch einmal Respekt für dessen offene Worte. "Zuhören und sich kabbeln, das gehört zur Diskussion einfach dazu", sagte er und stellte klar, dass er angesichts der Kritik nicht nachtragend sei. Im Gegenteil: "Ich würde sogar wiederkommen", meinte er zum Abschied mit einem schelmischen Lächeln.